Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 27.1915/​1916

DOI Artikel:
Hellwag, Fritz: Ästhetik und Reklame: aus einem Referat, gehalten im Reklame-Ausschuss des Ältesten-Kollegiums der Korporation der Kaufmannschaft von Berlin
DOI Artikel:
Kunstgewerbliche Rundschau
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4828#0062

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
kleidezimmer einer Lebedame mit Bett, Spiegel, Bade-
wanne, verstreuten Kleidungsstücken, mit Teppichen,
Bildern und Seidentapeten usw. Von seiner Ware keine
Spur; nur vor dem Bett der Dame stand das entzückendste
Pantöffelchen, das er je gemacht hatte. Und wieder
wars verkehrt! Wohl blieben die Leute massenhaft
vor dem Laden stehen und nahmen gierig das präch-
tige und pikante Bild in sich auf. Kein Mensch betrat
den Laden; aber manche der schönen Beschauerinnen
schwor sich, daß so und nicht anders ihr — Boudoir
daheim aussehen müsse. Aber von der nüchternen
Vergrößerung des Riesenplakats wandten sich die
Menschen mit Protest ab und schimpften über ameri-
kanische Brutalität. — So ging es vielen, den meisten
Kaufleuten im Anfang. Und sie würden die Kunst,
die sie so in der Irre herumführte, bald wieder davon-
gejagt haben, wenn nicht inzwischen einige kluge
Künstler hinter das Wesen der Sache gekommen wären,
und ihr Erfolg bewiesen hätte, daß in der Tat die
Kunstanwendung möglich wäre. Allmählich bildete
sich die richtige Einschätzung der ästhetischen Ge-
fühle des Publikums heraus, und die Künstler lernten
begreifen, daß hier die Kunst nicht Selbstzweck, sondern
nur der geschäftliche Helfer sein dürfe; sie lernten
die ästhetischen Gefühle und Forderungen unvor-
bereiteter Passanten verstehen und allmählich zu sich
heranzuziehen. Folgende Erwägungen über das Was
der Reklame haben endlich zum Ziele geführt und
die vorher geschilderten Fehler vermeiden lassen:

Im Schaufenster wird die Ware selbst ausgestellt.
Jedermann kennt sie aber schon und braucht an ihr
Vorhandensein nicht mehr erinnert zu werden. Die
Ware brauchte nicht im Fenster zu liegen, um zu
sagen, hier wohnt ein Schuster oder ein Schneider,
denn das interessiert nicht, weil ja zwei Häuser weiter
schon wieder einer wohnt. Es muß also so aus-

gestellt werden, daß man fühlt, hier mußt du stehen
bleiben, hier wohnt ein guter Schneider. Also die
besondere Güte der Ware muß zum Bewußtsein ge-
bracht werden. Das läßt sich nicht auf impressio-
nistische Weise oder mit Worten erreichen, sondern
die konkrete Ware muß betrachtet werden, mög-
lichst sorgfältig. Dazu gehört Zeit, und der Be-
schauer muß verweilen. Das tut er nur, wenn wir
ihm einen Genuß verschaffen und ihn geistig be-
schäftigen. Variationen des Gegenstandes müssen ihm
die Wahl schwer machen und zugleich das Gegen-
einanderabwägen ermöglichen. Der Hintergrund muß
Ware von sich abheben. Farbe, Linie und Aufbau
müssen von einem zum anderen überleiten und bei aller
Einzelschilderung zu einem Gesamteindruck führen,
der entweder mit harmonischer Erinnerung entläßt oder
magnetisch in das Innere des Ladens lockt. Immer
muß die Ware vor dem Dekorationswerk die Haupt-
sache bleiben und im Schaufenster^«/« möglichst
körperhaft dargestellt werden, niemals aber als flächiges
Erinnerungsbild, das nicht zum Verweilen einladet.
Beim Plakat ist alles umgekehrt. Der Beschauer
hat keine Zeit und will sofort alles erfassen, kann
also durch unnötiges Beiwerk nur auf falsche Bahnen
gelenkt werden. Wohl sind für die eindringliche
Darstellung der Ware erst recht künstlerische Mittel
notwendig, doch müssen sie auf direktestem Wege zu
dem geschäftlichen Zweck führen. Durchaus zu ver-
meiden sind Erklärungen, tendenziöse Überraschungen
und Scherze, die nur mit einem Wortspiel auf den
Gegenstand bezogen werden können. Das ist alles
außerordentlich schwer und nur mit größter künst-
lerischer Konzentration zu erreichen. Die nicht mehr
zu überbietende Prägnanz hat Lucian Bernhard in
seinem Plakat der Priesterhölzer erreicht, wo neben
zwei Streichhölzern nur noch der Name Priester steht.



KUNSTGEWERBLICHE RUNDSCHAU







AUSSTELLUNGEN

Mannheim. Ausstellung für künstlerische Modeentwärfe.
Die deutsche Mode war bis vor Kriegsausbruch fast gänz-
lich von Paris abhängig. Nicht nur die Konfektion, sondern
auch das Schneiderkleid. Einige Künstler und kleinere,
oft sehr gediegene Ausstellungen von Künstlerkleidern ver-
suchten dagegen aufzutreten. Allein diese Schöpfungen
waren zu subjektiv empfunden, als daß sie Allgemeingut
hätten werden können. Sie waren zu sehr auf dekorative
Wirkung gestimmt und daher zu wenig individuell auf-
gefaßt. Zu sehr aus männlichem Geist geboren, brachten
sie nichts im weiblichen Empfinden zum Erklingen, und
die Trägerinnen solcher Kleider fühlten sich selbst nur als
Kleidbilder. In Paris dagegen sprach letzten Endes das
Urteil über einen Entwurf doch das Weib und sei es auch
die Halbwelt.

Eigentümlich muß es erscheinen, daß die Frauen-
vereine, denen das Verdienst nicht abgesprochen werden
kann, ständig die deutsche Mode verfochten zu haben,

auch nicht vorwärts kamen. Sie vergaßen über dem Kampf
um das Korsett (vielleicht doch keine so schlimme Ein-
richtung, nachdem alle unsere so leistungsfähigen, aus-
dauernden Soldaten in der Zeit des Korsetts geboren
wurden) ihr ideales Ziel, verknöcherten im Reform- und
Eigenkleid. Dadurch hatten sich diese Versuche das Ver-
trauen der deutschen Frauenwelt verscherzt. So stand
schließlich der Begeisterung für ausländische Erzeugnisse
kein Stolz auf nationale Leistungen gegenüber: der deutsche
Käuferkreis fiel vollkommen den fremden Einflüssen zum
Opfer.

Erst der Krieg zeigte uns die Härte dieser Fesseln.
Heute wissen wir, daß auf diese Weise Millionen in das
Ausland abgeführt wurden, wir wissen ferner, daß die
deutsche Arbeit erst über dem Umweg nach Paris zur
Geltung kam, daß Berliner und Wiener Modeblätter in
Paris erscheinen und in französischer Sprache gedruckt sein
mußten, um unseren Schneidern und Schneiderinnen und
deren Kundschaft genehm zu sein. Nun sind wir ein-
gekreist, leben mit den Streitgenossen gleichsam auf einer

52 —
 
Annotationen