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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 27.1915/​1916

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Hellwag, Fritz: Der deutsche Werkbund und seine Künstler, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4828#0072

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Werkbund fällt die schwierige Aufgabe zu, diesen
unter seinen Mitgliedern sich auftuenden Gegensatz
zu überbrücken und beiden Parteien nach Möglich-
keit gerecht zu werden. Was soll er tun? Wenn er
sich nur um die Kunst kümmert, so ist seine große
und immer mehr in die Breite wachsende Organisation
ohne Arbeit; verlegt er sich nur auf das Organisieren
der Geschmackswerte, so würde es bald unverständlich
erscheinen, weshalb er denn hierfür alle führenden
Künstler in sich vereinigen müsse.

Aus diesem Dilemma kommt der Werkbund nur
heraus, wenn er mit aller Deutlichkeit durch die Tat
zu erkennen gibt, daß Kunstpflege und Geschmacks-
ausbreitung sich im Vereinsprogramm keineswegs aus-
schließen, sondern sehr gut nebeneinander gepflegt
werden können. Was seine Geschmacksausbreitung
bedeutet, spricht sich am besten in dem soeben er-
schienenen »Deutschen Warenbuch« aus; wie er die
Kunstpflege ausüben will, zeigte die »Deutsche Werk-
bundausstellung Köln 1914«, wo er als z. T. vorbild-
licher Auftraggeber gehandelt hat. Aber eins darf
nie vergessen werden: ohne die Mitarbeit der Künstler
hat der Werkbund seinen Zweck verfehlt und wird
keine der beiden Aufgaben erfüllen können, denn
auch in Geschmacksdingen mißt man ihm nur deshalb
eine Autorität bei, weil jeder mit Recht hinter seinen
Handlungen die künstlerische Leitung vermutet. (Auch
bei der Auswahl der im Warenbuch abgebildeten Gegen-
stände haben maßgebend die Künstler mitgewirkt und
die letzte Sichtung ist geschehen durch einen beraten-
den Ausschuß, in dem unter anderen genannt sind:
Peter Behrens, Theodor Fischer, Josef Hoffmann, Her-
mann Muthesius, Bernhard Pankok, Bruno Paul und
Richard Riemerschmid. Einer solchen Führung ver-
traut sich das deutsche Volk gern an und wir können
aus eigener Kenntnis versichern, daß die Auswahl
nicht geschehen ist mit der Frage: von wem? sondern
daß nur die Rücksicht auf das Wie der reinen Form
und der Materialbehandlung entscheidend gewesen ist).
Viel schwieriger als die Leitung und Bildung des
Geschmackes ist für den Werkbund die Förderung
der Künstler und der künstlerischen Gesamtentwick-
lung. Die Schwierigkeit entsteht scheinbar, weil sich
innerhalb des Bundes verschiedene Ziele herausgebildet
haben, von denen manche in erreichbarer Nähe zu liegen
scheinen, während andere in weiter Ferne schweben und
sich nie erreichen lassen, weil sie ewig sich in neuen
Formen wandeln. Hier nun scheint eine erneute Klar-
stellung der Bundesaufgaben, eine neue Klärung des
Bundesgeistes dringend notwendig. Die Geschmacks-
aufgaben haben großes Übergewicht bekommen und,
weil sie leichter zu erfüllen sind, hat die alte Be-
geisterung einem Realismus Platz gemacht, der sich
mit künstlerischen Problemen nicht leicht vertragen
kann. Die »außerordentliche Summe von Idealismus«,
die in der Geburtsstunde des Werkbundes versammelt
gewesen war, ist der Gefahr des Versiegens nahegerückt
und bedarf dringend der Auffüllung! Und wie geschieht
das? Indem der Bund seine Ziele wieder weiter steckt,
wie es, nach Theodor Fischers Wort, »dem Idealismus
eigentümlich ist«. Also: die Künstler an die Front!

Wir haben einleitend die Werkbundkünstler in drei
Gruppen eingeteilt, je nach der Art der Aufgaben,
vor die sie sich gestellt haben, in Raum- und Zweck-
künstler, in Baukünstler und in Formsucher. Den Künst-
lern aller drei Gruppen ist aber Eins gemeinsam, —
sie wären denn keine —, daß ihr Geist immer da-
nach strebt, das Schöne um des Schönen willen zu tun.
Wenn sie das tun dürfen, dann ist der Fortschritt
ohne weiteres gesichert. So ist es auch klar, was der
Werkbund zu tun hat. Er muß nicht nur Zwecke
erfüllen und Geschmack verbreiten, sondern er muß
in unablässiger Werbearbeit den Kreis Derjenigen ver-
größern, die bereit sind, sich von den Künstlern führen
zu lassen und nicht nur an die Befriedigung der
»Bedürfnisse« zu denken; die vielmehr den großen
Gewinn zu erkennen vermögen, der ihnen und der
Allgemeinheit zuwächst, wenn sie den Künstlern bei
den Aufträgen so viel Freiheit lassen, daß sie nicht
nur praktisch sein müssen, sondern bei der unum-
gänglichen Erfüllung der Zwecke sich selbst und ihre
Arbeit immer neu organisieren, kurz: das Schöne um
des Schönen willen tun dürfen!

Alle drei Künstlergruppen verstehen nichts anderes
unter der »Veredelung der gewerblichen Arbeit«, wie
sie in den Satzungen des deutschen Werkbundes als
erstes Ziel gesetzt wurde, als dies. (»Gerade die
Gewährleistung der künstlerischen Freiheit muß eines
der heiligsten Gebote der Werkbundbestrebungen
bleiben.« Peter Behrens.) Es hatten sich glücklicher-
weise recht viele begeisterte Industrielle und Hand-
werker gefunden, die den führenden Künstlern ge-
statteten, im Zusammenwirken mit ihnen »hohe Werte«
zu schaffen. Daneben sind aber sehr viel mehr Pro-
duzenten aufgetreten, die nicht aus eigenem Triebe,
sondern nur durch Erziehung und Propaganda ge-
wonnen wurden und, — bereits gesättigt von den
Begriffen: Zweck, Materialgerechtigkeit, Qualität — an
der Grenze des Geschmacks halt gemacht haben.
Leider beginnt der materielle Erfolg dieser »geschmack-
vollen Auswähler aus vorhandenen Werten« auch die
ersterwähnte kleinere Fabrikantengruppe müder und
bequemer in ihrem Streben zu machen. Deren Be-
geisterung wird um so mehr gedämpft, je tiefer der
Werkbund, was ja auch ganz folgerichtig ist, in die
Fabrikantenkreise hinuntersteigt. Wenn nun gar im
Deutschen Warenbuch meist solche Gegenstände ab-
gebildet sind, die ohne Mitwirkung der Künstler ent-
standen, so ist allerdings bewiesen, daß die hohen
Werte, die unsere besten Künstler einmal schaffen
durften, in entsprechender Verdünnung Allgemeingut
geworden sind und eine untere Geschmacksgrenze
gebildet haben.

Damit sind aber die Künstler nicht zufrieden. Sie
wollen persönlich in die Höhe wirken und erwarten,
daß die Tätigkeit des Werkbundes, wie sie den Kreis
der geschmackvollen Fabrikanten erfolgreich erweitert
hat, nun eine verstärkte Propaganda auf den Zusammen-
halt der Kunstfreunde richte, damit die hohen Werte
nicht aussterben, sondern stets neu und schön erzeugt
werden können. Die Gemeinde der Kunstfreunde
wartet auf solche Stärkung im Glauben.

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