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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 27.1915/​1916

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Pudor, Heinrich: Kunst in der Maschine
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https://doi.org/10.11588/diglit.4828#0082

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Jede Maschine besteht aus einem Gehäuse und aus
einem Werkzeug. Dazu kommt noch der Antrieb. Diese
drei Teile finden wir sowohl bei der Haus- und Heim-
maschine unserer Großmütter, dem Spinnradrahmen, Spindel,
Tretbrett, als auch beim modernen Fahrradrahmen, Kette,
Treter. Auf dem gegenseitigen Verhältnis dieser drei Teile
einer jeden Maschine beruht zunächst das Ästhetische.
Beim Spinnrad ist das Verhältnis durchaus nicht so be-
friedigend als man annehmen sollte, ebensowenig bei der
Nähmaschine, bei welcher der Rahmen nicht zierlich genug
und der Kolben meist zu schwer gebaut ist. Das Fahrrad
ist eine ästhetisch nahezu vollkommene Maschine, wenigstens
das gewöhnliche Tourenrad, während das Rennrad schon
überspannt und gewissermaßen übertrainiert erscheint.

Zuvörderst ist es also das Gehäuse der Maschine, oder,
wie man auch sagt, das Gestell oder der Ständer, auf den
wir unser Augenmerk richten müssen. Denjenigen Teil
des Gehäuses oder Ständers, in dem die eigentliche Ma-
schine ruht, nennt man das Bett. Oft ist das Bett zu-
gleich der Ständer der Maschine, es besteht meistens aus
Gußeisen. Das Bett hat nun den Druck und Stoß der
arbeitenden Maschine aufzunehmen und den nötigen Wider-
stand zu leisten. Diese Kräfte sind manchmal rechnerisch
schwer festzulegen, deshalb baut man die Maschine so
stark als möglich und huldigt dem Grundsatz »je stärker,
desto bester«. Infolgedessen aber liegt es nahe, daß die
Maschine ein plumpes Ansehen erhält. Man sieht es ihr
häufig genug auf den ersten Blick an, daß man ihrem
Gestell nicht genug zugetraut hat, daß man quantitativ
zugab, was man qualitativ nicht verbürgen konnte. Wir
sehen also, daß die Hauptvoraussetzung der Ästhetisierung
der Maschine darin liegt, die Materialqualität zu verbessern,
um Materialmasse zu sparen. Und das gilt nicht nur von
dem Bett und Ständer der Maschine, sondern auch von
den Konstruktionsteilen der Maschine selbst, vom Werk-
zeugträger, von den Kurbeln, Wellen und Rädern, von dem
Gestänge und Getriebe bis zur einfachen Schraube. Je
besser die Materialqualität ist, desto geringeren räumlichen
Umfang und desto weniger den Widerstand aufnehmende
Masse braucht ein Maschinenteil zu haben, desto höher
aber steigen die ästhetischen Qualitäten. Diesen Gang der
Entwicklung zeigt auch die Eisenarchitektur; immer luftiger,
immer mehr einem feinmaschigen Spinngewebe gleichend
werden die Eisenhallen, die Laufbrücken und Krane, und
immer leichter, graziöser, eleganter werden auch die Ma-
schinen. Man vergleiche nur das heutige Fahrrad mit dem
Modell vor zwanzig Jahren. Ähnlich verhält es sich mit
dem Automobil. Und so sind auch bei den Ständern der
Maschinen die kreisrunden oder dreieckigen Löcher, die
man ausspart, um jene leichter zu machen, im Verlaufe
der Zeit immer größer geworden, so daß heute vielfach
die Seitenwände gitterartig durchbrochen gearbeitet werden.
Oft genug aber ist der Kasten, auf dem das Bett der Ma-
schine ruht, noch plump und schwer.

Beim Entwurf des Kastens, der Ständer und der Füße
müßten die Maschinenkonstrukteure, was Form und Linie
betrifft, von der modernen Kunstempfindung sich leiten
lassen, sie sollten aber zugleich auch die charakteristische
Richtungslinie der Maschine selbst hierbei verkürzt wieder-
holen oder anklingen lassen, so daß das ganze Stück ein
harmonisches Aussehen gewinnt. Natürlich darf der räum-
liche Umfang der stützenden Teile der Maschine nicht so
weit verringert werden, daß die Maschine federt und stark
vibriert. Vielmehr ist auch bei dem besten Material ein
gewisser räumlicher Umfang der Masse Bedingung. Aber
auch von der Art der Versteifung und Lagerung der
den hauptsächlichen Druck und Stoß aufnehmenden Kon-
struktionsteile wird es abhängen, wieviel Masse sie in

sich selbst haben müssen, um genügend stabil zu sein.

Auf der anderen Seite begeht man heute häufig den
Fehler, daß man trotz einer großen Kompliziertheit der
Maschine an Rädern und Gestänge den Rahmen oder
das Gehäuse auf ein Minimum verringert, weil die Be-
anspruchungen auf Zug und Druck nicht groß sind. Hier-
von abgesehen, kommt es bei der Entwicklung der Ma-
schine in ästhetischer Richtung in der Hauptsache darauf
an, die Materialqualität zu steigern, so daß die Quantität
des Materials im Verhältnis zur höheren Qualität verringert
werden kann. Die Fortschritte in der Ästhetik der Ma-
schine sind also nach dieser Richtung von der Qualitäts-
steigerung der Baustoffe abhängig. Deshalb ist es für die
Maschinenkonstruktion von großem Vorteil, daß Titan als
Zusatz zum Eisen eine Qualitätssteigerung bewirkt, einen
dichteren Guß ermöglicht und die Zugfestigkeit des Eisens
bis zu 35 Prozent erhöht1). Für eine günstige Masse- und
Raumverminderung der Maschinengehäuse und der Kon-
struktionsteile ist deshalb die wissenschaftlich-technische
Materialprüfung von allergrößter Bedeutung.

Die Lokomobilen sind unter den Maschinen diejenigen,
die ästhetische Anforderungen am wenigsten zu erfüllen
geeignet sind. Sie stellen unförmliche Körper dar, denen
die Glieder fehlen. Sie zeigen noch weniger Gliederung
als im Tierreich die Seehunde, mit denen sie in der
Plumpheit des Aussehens in der Tat sich vergleichen lassen.
Und von den Verbund-Lokomobilen gilt das gleiche, wenn
auch hier die Anfänge einer Gliederung sich schon be-
merkbar machen.

Von den Dampflokomotiven ist nicht viel besseres zu
sagen. Aber ein Fortschritt in ästhetischer Beziehung ist
unverkennbar, darin beruhend, daß das Getriebe und Ge-
stänge schneller wächst als das Gehäuse und Gestell, so
daß mit der Zeit immer mehr organische Gliederung hervor-
tritt und die mechanische Denkarbeit sich in immer
knapperen Maßstäben formuliert. In der Tat sind die
großen neuen Schnellzugslokomotiven im Gegensatz zu den
groborganisierten Lokomobilen von hoher Leistung wahre
Wunder der Technik auch in ästhetischer Beziehung; Räder-
werk, Gestänge und Kolben verrichten hier als Füße eine
so gewaltige Arbeit, daß der große Umfang des Kessel-
leibes auch für das Auge berechtigt erscheint2), so daß
es leicht fällt, eine solche Lokomotive vor unseren Augen
sich in menschenähnlicher Gestalt vorzustellen und belebt
zu sehen, wie sie der englische Maler Turner schon vor
fünfzig Jahren sah.

In dieser Richtung stellen nun das Vollkommenste,
also gewissermaßen die Ideallokomotive, wie wir sie uns
heute denken können, die neuen Lokomotiven der Midland-
Eisenbahn in England dar. In der Tat ist deren neue
Verbund-Schnellzugslokomotive die erste ästhetisch voll be-
friedigende Lokomotive. Der Kesselleib ist organisch mit
dem Rahmen und dieser mit dem Drehgestell verbunden.
Die Ausführung im ganzen wie im einzelnen zeigt durchaus
glatte Oberflächen und knappe Formen im Sinne des
Materialstiles und im Sinne des ästhetisch-technischen
Grundgesetzes von dem geringsten Mittel und dem kleinsten
Zwange. Profile sind kaum zu sehen, und der Kessel zeigt

1) Ähnlich ist es mit den Vorzügen des Nickelstahles
und Vanadiumstahles, neuerdings spielt auch das Elektro-
eisen als Qualitätsmaterial eine wichtige Rolle.

2) Die neuen Lokomotiven der Pennsylvania-Eisenbahn
wiegen mit Tender 192 t. Ihre Laufräder haben einen
Durchmesser von 838 mm, die Triebräder einen solchen
von 1575 mm.

3) Der Bundkessel dieser Lokomotive ist 3,68 m lang
und hat im Mittel einen Durchmesser von 1,42 m.

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