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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 27.1915/​1916

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Pudor, Heinrich: Kunst in der Maschine
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https://doi.org/10.11588/diglit.4828#0084

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in der Mitte ein horizontal umlaufendes Profil, das mehr
einer Naht gleicht3). Räder, Gestänge und Drehgestell
drängen sich nicht auf, der obere Teil der großen Lauf-
räder ist gar nicht sichtbar, sondern durch Kulissen ver-
deckt, die sehr geschickt mit dem Rahmen verbunden sind
oder in diesen übergehen. Sehr günstig wirkt es auch,
daß die Esse ganz kurz ist und nicht viel mehr als ein
Ventil darstellt: In der Tat bildete bisher die Esse der
Lokomotive das hauptsächliche Hindernis einer ästhe-
tisch befriedigenden Wirkung. Der Tender ist in dem-
selben Sinne gearbeitet und ergibt mit der Maschine ein
harmonisches Bild. Die Räder sind durchaus organisch
mit dem Rahmen des Wagens verbunden.

Ähnliches gilt von der neuen 3/4 gekuppelten Zwillings-
Schnellzugslokomotive derselben Eisenbahn. Etwas weniger
befriedigend dagegen die neue Zwillings-Tenderlokomotive
mit innen liegenden Zylindern, für schwerste Züge be-
rechnet. Der Rahmen, aus 25 mm starken Blechplatten
bestehend, verbindet hier Tender und Lokomotive, so daß
nur für den Führerstand eine Öffnung gelassen ist.

Ganz unbefriedigend ist ferner die neue Doppel-
lokomotive von Beyer, Placok & Co. in Manchester. Die
zweiachsigen Drehgestelle liegen hier vorn und hinten, der
starre Rahmen mit dem Kessel dazwischen. Das ergibt
ein durchaus unharmonisches Bild. Auch der Führerplatz
ist ungeschickt und aufdringlich angeordnet, und die hohe
Esse scheint die ästhetische Entwicklung wieder um zehn
Jahre zurückzuschrauben. Gern wendet sich der Blick von
hier wieder der neuen Verbund-Schnellzugslokomotive der
Midland-Eisenbahn dar, die man als die erste künstlerische
Lokomotive bezeichnen darf.

Wir hoffen, mit unserer Forderung der Beschränkung
der Materialmasse auf Grund der Qualitätssteigerung des
Materials und mit der Absicht, den gewollten Zweck mit
den geringsten Mitteln zu erreichen, der Lösung der Frage
nach den Ursachen der ästhetischen Wirkungen bei Ma-
schinen und Bauwerken um ein gutes Stück nähergekommen
zu sein, zugleich in direktem Anschluß an die Folgerungen
von Otto Schultze (vgl. dessen »Schönheit und Zweck-
mäßigkeit von Maschinen und Bauwerken«, Zeitschrift für
Architektur und Ingenieurwesen 1909, Heft 1), der eben-
falls sagt: »Je vollkommener, zweckmäßiger, besser, d. h.
exakt gesprochen, je mehr dem Prinzip des kleinsten
Zwanges gemäß, desto schöner auch ist ein Bauwerk.«
Aber Schultze macht noch nicht die Nutzanwendung auf
das Material und dessen Verwendung. Und doch gehen
die »geringsten Mittel« eben gerade das Material an. Aus
diesem Grunde sind die dem Prinzip des kleinsten Zwanges
folgenden Maschinen und Bauten auch die wirtschaft-
lichsten. Damit geben wir die Bestätigung auf die Ver-
mutung oder Überzeugung Schultzes: Wir müssen uns
eine darauf bezügliche, ins Einzelne gehende Untersuchung
hier versagen, sind aber fest überzeugt, daß eine solche
ergeben würde, daß dasjenige technische Bauwerk das
wirtschaftlichste ist, das dem Prinzip des kleinsten Zwanges
am besten entspricht.«1)

1) Die dann unmittelbar folgende Annahme Otto
Schultzes: daß Reuleaux gesagt habe, eine Maschine soll
zuerst gut, dann billig und zuletzt schön sein, ist irrig.
Ganz im Gegenteil hat Reuleaux, und zwar gerade im
Hinblick auf die deutsche Maschinenindustrie auf der Aus-
stellung in Philadelphia gesagt, daß nur durch die Devise
»teuer, aber gut« der Wohlstand eines Volkes zu heben sei.

Nahe kommt Otto Schultze unserer Begründung der
ästhetischen Wirkung, wenn er in dem philosophischen Nach-
wort seiner Abhandlung sagt: »Und dieses sichtbare System
von Eisenteilen einer Maschine erscheint schön, wenn das
System von Kräften, das es verkörpert, möglichst gut dem
Weltgesetz des kleinsten Zwanges gerecht wird, technisch
gesprochen: einen möglichst hohen Wirkungsgrad hat.«
Die Antwort, warum wir Menschen diejenigen Formen,
die das Prinzip des kleinsten Zwanges besonders rein zum
Ausdruck bringen, als schön anerkennen, findet Schultze
dann endlich darin, daß »auch uns Menschen, als Elementen
des allgemeinen Welt-Willens, jenes Prinzip im Fleisch
und Blut steckt«. Nein, weniger im Fleisch und Blut als
in den Knochen! Unser Kochenaufbau ist ebenfalls nach
diesem Prinzip geschaffen, auch bei ihm ist das Bau-
material genau längs der Richtungen der Spannkräfte an-
geordnet, wie an der Euplectella aspergillum. Professor
Hermann von Meyer war es, der im Jahre 1867 diese
Innenstruktur der Knochen, insbesondere den Verlauf der
Spongiosabälkchen, entdeckt hat.

Kehren wir nun wieder zu unseren Ausführungen zu-
rück. Kaum einen Wunsch lassen in ästhetischer Beziehung
die modernen Werkzeugmaschinen für elektrischen Antrieb
übrig, wie sie z. B. die Allgemeine Elektrizitätsgesellschaft in
Berlin baut. Das gilt besonders von den kleinen Horizontal-
Handbohrmaschinen, den Schleif- und Poliermotoren und
dem Polierumformer, während die Vertikal-Bohrmaschinen
noch ungelenk wirken und wahrscheinlich auch praktisch
nicht die ersteren erreichen und der fahrbare Motor mit
Bohrapparat geradezu archaisch in seinem schwerfälligen
Bau wirkt1) und an Trevithicks Dampfmaschine aus dem
Jahre 1800 erinnert. Interessant ist bei diesen elektrischen
Werkzeugmaschinen, daß sie die Entwicklung der Maschine
wieder zum Anfangspunkt in dem Sinne zurückführen, daß
sie wieder Apparate oder Werkzeuge, nicht eigentlich
Maschinen sind; denn die Kraft zur Arbeit erzeugen sie
nicht selbst, sondern empfangen sie von außen durch den
elektrischen Antrieb, wie das Werkzeug in der Hand des
Menschen.

Einen ganz besonderen Genuß in ästhetischer Beziehung
bieten ferner die großen Schiffsmaschinen, die gewisser-
maßen die Gebirge in der Maschinentopologie darstellen,
bei denen die von den eigentlichen Maschinengliedern
geleistete Arbeit so ungeheuer ist, daß Gehäuse, Bett,
Gestell, Rahmen, Füllung verschwinden und man in
einen überweltlichen Gehirnmechanismus hineinzusehen
glaubt.

Dabei muß man bedenken, daß wir eigentlich in der
Kindheitsperiode der Maschinenkonstruktion als einer In-
genieurkunst stehen. Gerade in ästhetischer Beziehung
wird uns die Maschinentechnik als Ingenieurkunst erst in
der Zukunft das geben, was wir hier im Sinne haben.
Haben wir doch erst seit dreißig Jahren die elektrische
Lokomotive! In früheren Jahren aber gab es noch keine
eigentlichen Maschineningenieure, sondern die Mechaniker
vertraten ihre Stelle. Schuckert war Mechaniker, Siemens
Artillerieoffizier, Fröhlich Physiker. Maschinen als Kunst-
werke im höherem Sinne werden uns erst dfe Ingenieure
geben; jetzt, da wir einsehen, daß der Maschinenbau
eine Kunst ist ebenso wie der Eisenbau und die Archi-
tektur.

J) Ähnliches gilt von den Transformatoren wagen für
landwirtschaftliche Zwecke.

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