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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 27.1915/​1916

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Mhe, Herbert: Zur Architektur der City: Prinzipielle Anmerkungen zu Hamburgs neuen Geschäftshäusern
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https://doi.org/10.11588/diglit.4828#0092

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geht auf Wirtschaft; alles, was wir besitzen, an geistigen
und materiellen Gütern der Kultur und des Reichtums;
Geschäftshausarchitektur; und es erweist sich, daß alle
anderen Baugebilde, uns ferner, fremder liegend, mehr
was wir sind, in gutem und bösem Sinne, ist wirt-
schaftlich bedingt. Doch ist zum Beispiel ein Ge-
schäftshaus wie Peter Behrens' Mannesmannhaus der
reine Ausdruck dieses zeitlichen Geistes, gelangt er
in einzelnen Werken klar zur Erscheinung, so kommt
er in jenem Gesamtgebilde, das wir Stadt nennen,
und das eine Organisation einzelner Baugebilde be-
deutet, durchaus noch nicht architektonisch rein zur
Sprache. Unsere Geschäftshaus-Architektur bildete
noch keine Geschäftsstadt-Architektur; der unser
ganzes Dasein bestimmende wirtschaftliche Geist be-
stimmte doch noch nicht allgemein und selbstverständ-
lich die Äußerungen, die Formen unseres, seines
Lebens. Es herrscht noch die furchtbare krampfhafte
Umbildung einer Entwicklung zur vollkommenen Voll-
endung. Kulturell und eben auch architektonisch ist
die Stadt heute in dem Zustand solcher Umbildung;
man nennt seine Form, besser Unform: — Großstadt!

So ist also die Großstadt ein Übergangsgebilde,
in dem die neue Form einer überwiegend auf Wirt-
schaft eingestellten Energie des Volkes mit alter Form
sich noch mischt und — verwirrt. Großstadt heißt:
Zustand einer Entwicklung zu einem Zentrum der
Wirtschaft, der Weltwirtschaft.

Vor noch nicht einem halben Jahrhundert »grün-
dete« sich der wirtschaftliche Geist in allen durch
Lage oder günstige wirtschaftliche Bedingungen irgend-
wie bevorzugten Städten; damit langsam die Ver-
nichtung dessen beginnend, was bis dahin Sinn,
Wert, Schönheit der Stadt gewesen war.

Stadt war immer Gemeinsamkeit, Gemeinschaft,
Gemeinde; so ist denn auch die Familie, und zwar
die bürgerliche nicht die feudale, das lebendige
Moment der Stadt. Bürgerliche Familienkultur ist
Stadtkultur; die Stadt war oder wurde der Zusammen-
schluß einer Demokratie, die, konservativ gesinnt, sich
behaupten und dauern wollte. Wie die Burg stets
ihren Sinn in der Geschichte des einzelnen Geschlechts
hat, so ist auch die Stadtgeschichte eine Geschichte des
Geschlechts, doch eben mehrerer zusammen. Darin
prägt sich der demokratische Charakter aus; doch in
dem Willen zur Dauer, Veredelung, Macht liegt ein
aristokratisches Moment. Und so wird die Stadt-
geschichte, als Familiengeschichte, oft Geschichte eines
demokratischen Adels. Je prägnanter sich eine Stadt
behauptete und auswuchs, um so deutlicher wird
dieser Geist. Der prinzipielle Entwicklungsweg der
Stadt ist, vom Zusammenschluß Familie wollender
und bildender Einzelner in stärkende und schützende
Gemeinschaft (die sich oft gegen den Adel richtet)
zu machtvoller, Adelsmacht gleicher Stufe, zur Be-
freiung von fürstlicher Oberhoheit, zur Bildung einer
»freien« Stadt, das ist: einer eigenen, demokratischen
Hoheit, zum Stadtstaat, in dessen Regierung die ein-
zelnen Bürgeradelsfamilien sich teilen. Wenn auch
nur wenige Städte diesen Weg zu Ende gegangen
sind, gehen konnten, über das primäre Ziel, ein Platz

zu sein, der gemeinsam mit vielen bewohnt, dadurch
größere Sicherheit, Schutz, durch Arbeitsteilung leich-
teren Erwerb, größere Bequemlichkeit bot, hinaus-
gekommen sind: was der Sinn der Stadt ist, nicht
wie weit er sich im einzelnen verwirklichen konnte,
ist wichtig zu wissen!

Was nun diesen Sinn der Stadt für heute angeht,
so ist augenfällig, wie sehr er in der Entwicklung
der Großstadt verloren gegangen ist. Ihre Eigenschaft
einer Wirtschaftlichkeit, zur Welt drängend und gestern
noch sich selbst im letzten Grunde wollend, ist ganz
anders, als die der ehemaligen Stadt. Arbeitete früher
die Stadt für sich selbst, und innerhalb der Stadt die
Familie für sich, war es Aufgabe zu handeln, Wirt-
schaft zu treiben so viel, so weit es für die Ent-
wicklung und »das Leben« als solches (der Familie
und der Stadt im weiteren) notwendig war, war Wirt-
schaftlichkeit Mittel zum Zweck eines immer voll-
endeteren Daseins, so wird von nun an Wirtschaft-
lichkeit vorerst notwendig Selbstzweck in überpersön-
licher Zwangsläufigkeit, der die Familie, der Einzelne,
die alte Stadt als Ort zu leben und zu wohnen, zum
Opfer fallen. War ehemals die Stadt Wohnstadt und
die Umgebung des Landes Arbeitsort, so ist im Augen-
blick, in diesem furchtbaren Zwischenzustand Groß-
stadt Arbeits- und Wohnort miteinander verquickt; und
möglichst der Entwicklung zu einer reinlichen Lösung,
einer Überwindung der Großstadt zu helfen, ist die
Aufgabe; eine Aufgabe, die nicht nur kulturell organi-
satorisch ist, sondern auch architektonisch!

City (Arbeitsstadt) und Wohnstadt gehen heute
durcheinander; »bereichert« durch eine dritte Form,
der Vergnügungsstadt; das Gesamte ist die Großstadt:
ein Monstrum, ein Infernum; eine Schmach, wenn
man sie nicht bekämpft, indem man der Entwicklung
hilft, sich zu vollziehen!

Was die Architektur betrifft, so besteht die gleiche
Verwirrung. Großstädtische Geschäftshäuser stehen
hier und da in den Reihen alter Wohnhäuser, neben
den furchtbaren, renaissancisch sich gebärdenden Miets-
häusern aus den sechziger Jahren, mit denen archi-
tektonisch die Großstadt begann, und in die, ein
fünfzigjähriges Provisorium, das Geschäft, das Kontor
einzog. Welche Verhältnisse des Lichtes, der Luft
dadurch gegeben sind, wie kränkend Lebens- und
Arbeitsprinzip (noch dazu das moderne!) sich in
solcher Enge stoßen müssen, ist schon oft genug ge-
sagt worden.

Wie sehr der Sinn für das Leben, als etwas mehr
als ein Kampf um Selbsterhaltung, mehr als eine
Produktionszeit von Sachwerten, die nur magere
Spannen für hastigen Genuß und »Erholung« sich
entreißen läßt, verloren ist; wie sehr mit dem er-
sterbenden Sinn für das Leben, als etwas, das neben
der Arbeit um die nötigen materiellen Werte Pflichten
in sich selbst verbirgt, der Sinn für die Familie,
für Grund und Boden, für die Heimatsstadt, die
nationale Gesinnung starb, das wissen wir noch.
(Dieser Krieg erst riß das Volk zu sich selbst, gab
ihm den Begriff des Lebens, indem es dies in Frage
stellte und das, was in ihm enthalten ist: Familie,

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