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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 27.1915/​1916

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Raphaël, Gaston: Gewerbeschulen und Kunstgewerbe in Deutschland: Auszug aus einem an den Minister des öffentlichen Unterrichts erstatteten Bericht
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https://doi.org/10.11588/diglit.4828#0105

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Schüler, die eine selbständige Arbeit zu machen
imstande sind, 18 bis 19 Jahre beträgt, doch
gibt es viele, die ihr 20. Jahr (manche sind
25 Jahre) überschritten haben, und wenn man
hier die Resultate bewundert, wenn man (im
Vergleich) mit ihnen die Leistungen franzö-
sischer Schulen verachtet, so vergißt man viel-
leicht nur allzu oft, ein wie wichtiger Faktor
das Alter des Schülers ist.

Auch eine Vorschrift, von deren Erfüllung
die Aufnahme der Schüler bedingt ist, werden
wir uns merken müssen. Die meisten dieser
Schulen verlangen nämlich von ihnen den
vorangegangenen Besuch einer Fortbildungs-
schule, d. h. die Erlernung eines Handwerks,
wenigstens zwei Jahre praktische Arbeit in
einer Werkstatt. Darnach können sie immer-
hin ihre Schüler vom Besuch der Werkstatt
dispensieren und sie in der Theorie ihres
Handwerks unterrichten, ohne Gefahr zu
laufen, daß sich ihr Unterricht ins Wesen-
lose verliert.

Fügen wir endlich hinzu, daß diese
Schulen, mit der Elastizität, die für alle deut-
schen Erziehungsanstalten charakteristisch ist,
nicht nur eine einzige Kategorie von Schü-
lern, sondern deren zwei bis drei zählt. Die einen nehmen
an allen Lehrstunden teil und sind lediglich Schüler,
ohne eine andere Beschäftigung zu haben, die anderen
nehmen nur einige Stunden, die sie selbst wählen, und
widmen den übrigen Teil des Tages ihrem täglichen Ge-
schäft, und wieder andere sind Teilnehmer an einem
Kursus, der in den Nachmittagsstunden eigens für sie ein-
gerichtet worden ist, und diese letzteren, oft alte Grau-
köpfe, sind sicherlich die interessantesten. Es sind Ge-
hilfen, Gesellen, Musterzeichner usw., oder selbst Meister,
die ihre technischen Kenntnisse erweitern wollen, um da-
durch in ihrem Fach oder im sozialen Leben ein paar
Stufen höher hinauf klimmen zu können.

Was nun die Auswahl von Lehrern betrifft, so wollen
wir vorausschicken, daß die Deutschen nicht im Traum
an die Einrichtung von Schulen gedacht haben, in denen

Aus dem Garten »Hoppe-Böhm« auf der Deutschen Werkbund-Ausstellung

Köln 1914

Aus dem Garten

»Hoppe-Böhm« auf der Deutschen Werkbund-Ausstellung
Köln 1914

Schüler, die das Reifezeugnis erhalten oder eine Konkurrenz-
prüfung abgelegt haben, zu künftigen Lehrern herangebildet
werden. Und in der Tat, warum sollten sie ein System
annehmen, das so wenig nach ihrem Geschmack ist? Sie
legen bei der Wahl ihrer Lehrer bei weitem größeres Ge-
wicht auf ihre praktischen Fähigkeiten als auf ihre theo-
retischen Kenntnisse. Das Verfahren einer Konkurrenz-
prüfung kennen sie nicht. Die Realschullehrer, so aus-
gezeichnet als hätten sie an der Universität studiert oder
ihre Examen bestanden, beginnen ihre Tätigkeit als Probe-
kandidaten, das heißt, als provisorisch angestellte Hilfs-
lehrer, und erhalten erst nach mehrjähriger Übungszeit, in
der sie Beweise ihrer Befähigung abzulegen Gelegenheit
hatten, eine feste Anstellung.

Außerdem hatten wir Gelegenheit, zwei andere, speziell
deutsche Gebräuche kennen zu lernen. Bei Anstellung von
Lehrern für den höheren Unterricht ist der
Einfluß der Regierung auf ein Minimum be-
schränkt. Das Lehrerkollegium selbst wählt
den Kandidaten, der ihm am fähigsten er-
scheint, und begnügt sich dann damit, seine
Wahl dem Minister zur Bestätigung zu unter-
breiten, der sie sozusagen niemals verweigert.
Wenn die gehobenen Schulen städtisch sind,
wie das z. B. in Frankfurt, Stuttgart, Dresden
der Fall ist, und für gewisse Fachschulen ge-
nügt die Bestätigung des Magistrats. Bei
Schulen, die von Vereinen gegründet worden
sind (wie die Kunstgewerbeschule in Frankfurt)
wird die endgültige Entscheidung in der
Vereinssammlunggetroffen. Andererseits findet
die französische Zentralisation kein Äquivalent
in Deutschland. Noch bestehen die kleinen
Staaten, und ihre Fürsten lieben es, in ihrem
Staate wenigstens, Beweise ihrer Unabhängig-
keit und ihrer Tatkraft zu liefern. Sie können
in ihre Residenz oder an ihre Schulen berufen,
wen sie wollen. So hat z. B. der Großherzog
von Hessen sozusagen im Handumdrehen
eine ganze Kolonie von Künstlern und Pro-
fessoren nach Darmstadt kommen lassen, und
der Großherzog von Sachsen-Weimar einen

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