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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 27.1915/​1916

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Taut, Bruno: Der Roland von Brandenburg
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https://doi.org/10.11588/diglit.4828#0122

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von Prinzipien und Theorien. Man erklärt und er-
klärt. Die wüstesten Zerstörungen des Gefühls hat
unter allem der leidige Gedanke von der »Zweckkunst«
angerichtet. Daß das Gefühl für ursprüngliche pla-
stische Werte damit ebenfalls ganz und gar zugrunde
gehen mußte, ist eine natürliche Folge; denn die
Plastik lebt von der Architektur. Wer sich nicht mit
Beglücktheit architektonischen Werken hingeben kann,
ohne gleich über das Wollen und die Prinzipien des
Schöpfers räsonnieren zu müssen, der wird auch nie
begreifen, daß in der Plastik in gleicher Weise nur
die Form, die abstrakte Form, alles ist. Ihr darf der
Künstler die Natur unterwerfen, soviel er will. Der
Begriff »Natur« hat in der ganzen Kunst nie einen
anderen Sinn, als den, daß der Künstler und sein
Werk selbst Natur ist, ebenbürtig allen anderen Dingen
der Natur. Mit ihnen hängt er wohl zusammen, aber
er hängt nicht so von ihnen ab, daß er sie nachäffen
müßte.

Der Brandenburger Roland ist eine der herrlichsten
Blüten der Kunst-Natur. Jede Fläche, jede Wölbung
an ihm hat kraftvolles angespanntes Leben, alles ist
aufs höchste über die Natur hinaus zum stärksten
Ausdruck gesteigert, so daß er, obgleich ganz anders
in jede Einzelheit als das menschliche »Vorbild«, ein
eigenes unwiderstehliches Leben zu atmen scheint:
Expressionismus im vollsten Sinne. Die Wucht dieser
Wirkung nennen wir monumental. Ein Vergleich
mit den in den letzten Zeiten aufgebauten sogenannt
monumentalen Plastiken zeigt, wie anders bei ihm
diese Wirkung entsteht. Bei den maßstäblich riesen-
haften Bismarck-, Völkerschlachtdenkmal- und Hinden-
burg-Nagelspielpuppen soll es die Vergröberung, Ver-
flachung oder, wie es auch genannt wird, Stilisierung
des Modells machen. Diese Stilisierung hat sich seit
den Zeiten des Jugendstils im Wesen durchaus nicht
geändert. Wie damals, so treibt man auch heute mit
den Naturformen ein frivoles Spiel. Man übernimmt
sie, übertreibt, rundet ab usw. und vergißt, daß die
Natur selbst ihre Formen als Künstlerin anwendet,
indem sie jede Form unlöslich mit dem Organismus
verbindet, dessen Funktion sie ausdrücken soll. Der
Künstler muß in jeder Form vollkommen neu von
einer inneren lebensvollen Idee heraus schaffen. Kein
äußeres Pathos kann sie ersetzen. Es bleibt ohne
sie nichts übrig, als eine hohle, lächerlich aufgestutzte
Theaterpose, wie sie für die genannten Figuren cha-
rakteristisch ist. Die Schuld daran ist nicht allein
den Künstlern aufzuhalsen, sie muß von der Masse
der Gebildeten mit getragen werden, die die Initia-
tive zu den Standbildern gaben. Sie gerieten dabei
in einen dem künstlerischen Irrwege analogen Fehler,
indem auch sie nachahmen wollten. Sie glaubten
die alten Zeiten mit ihren Rolanden nachahmen zu
können, und merkten nicht, daß der Auftrag zu einem
Kunstwerk von einem lebendigen Bedürfnis getragen
sein muß, welches jede Zeit sich selbst schafft und
nie und nimmer ungestraft einfach entlehnen darf.
Dazu huldigen sie der zersetzenden Ansicht, daß der
Künstler beim Konzipieren an den ästhetischen Ein-
druck dächte, den sein fertiges Werk machen soll —

während der echte Künstler immer streng von der
Sache ausgeht und dadurch ohne Theorie und ohne
Prinzip zu der besonderen Gestaltung seines Werkes
gelangt. Er erreicht Monumentalität, fast ohne sie zu
wollen, aber nicht jene Klischee-Monumentalität, mit
welcher sich im gleichen Maße die schlechten der
heutigen großen und leider auch kleinen Bauten
spreizen. So ist denn die Monumentalität guter Werke
immer mit großer Feinheit im Ausdruck und mit
wunderbarster Delikatesse in der Arbeit verbunden,
wie sie der Roland von Brandenburg zeigt. Er hält
sein scharfes Schwert so schlicht hoch, sein Gesicht,
seine ganze Haltung ist so einfach und ruhig —
und doch ist alles straff und streng und gleichzeitig
wunderbar elastisch. Das gleiche zeigen die Einzel-
heiten der Arbeit: Die Formen sind denkbar einfach,
aber wie präzis und scharf sind die Flächen geschnitten
und aneinander gesetzt! Klare, harte Kanten trennen
sie — alles klingt. Ein geschnittenes Ornament
auf dem Gurt erhöht durch seine Kleinheit diesen
Klang.

Der herrliche Roland ist Erfüllung und Verheißung.
Er bedeutet eine schöne Bestätigung allen Kräften,
die nach einer Erneuerung der Kunst streben. Die
»neue Kunst« findet in ihm ihr schönstes Wahrzeichen.
Er verkörpert das ewige Neuschaffen aller wahren
Kunst, um dessentwillen das Leben für den Künstler
nur lebenswert ist, und spricht mit seinem selbst-
verständlichen Sein für den unbekannten Sucher, der
ihn geschaffen hat. »Denn er sucht, der deutsche
Geist! Und ihr haßt ihn deshalb, weil er sucht und
weil er euch nicht glauben will, daß ihr schon ge-
funden habt, wonach er sucht.« (Nietzsche 1873.)

Wilhelm Ostwald,
Energetische Grundlagen der Kultur-
wissenschaft.
Leipzig 1909, Verlag von Dr. Werner KUnkhardt.

S. 170: »Die bloße Kenntnis der Vergangenheit
ist völlig wertlos, solange sie uns nicht befähigt, mit
mehr oder weniger großer Wahrscheinlichkeit daraus für
künftige Ereignisse Schlüsse zu ziehen. Und weshalb wollen
wir die Zukunft voraussehen ? Weil wir unsere Handlungen
so einrichten wollen, daß wir die erwünschten Verhältnisse
mit dem geringsten Energieauf wände erreichen. Also be-
ruht alle Kultur in erster und letzter Linie auf
der Wissenschaft, und diese muß gleichzeitig als
die höchste Blüte, wie als die tiefste Wurzel der
Kultur bezeichnet werden.

Um gleich einem naheliegenden Einwände zuvorzu-
kommen: in dem hier dargelegten allgemeinen Sinne ist auch
die Kunst eine Wissenschaft, denn ihre ganze Ausübung
beruht auf der Voraussicht der zu erzielenden Wirkungen . . .
Der Maler studiert sorgfältig die Wirkungen der Farben-
zusammenstellung und Formgebung, damit er mit ihrer
Hilfe den beabsichtigten Eindruck möglichst intensiv erreichen
kann. Es handelt sich also bei der Wissenschaft in diesem
Sinne um das ganze Gebiet der bewußten und voraussehen-
den menschlichen Tätigkeit, insofern diese auf Regeln oder
Vorschriften gebracht ist«.

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