Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 27.1915/​1916

DOI article:
Hillig, Hugo: Kunstgewerbliche Symbolik, [1]
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4828#0126

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
ist1); sei es, daß die Verständlichkeit in seiner Klarheit
bedingt ist, oder sei es, daß das Symbol verständlich ge-
worden ist durch die Zeit seines Bestehens.

Man darf allerdings diese Verständlichkeit nicht ver-
gleichen mit der Allgemeinverständlichkeit der Schrift. Auch
die Schriftzeichen sind ja ausgegangen von Symbolen, und
zeitweise, wie im alten Griechenland, waren sie auch nach
der Umwandlung in abstrakte Lautzeichen noch nebenbei
Zahlensymbole, die später in den römischen Zahlen fort-
lebten; auch die arabischen Zahlzeichen sind ja noch heute
Zahlensymbole. Aber mit der Zergliederung der Schrift,
die aus der Begriffsschrift, aus den Hieroglyphen Laut-
zeichen, abstrakte Linearformen werden ließ, mußte sich
auch die Verständlichkeit für das einzelne Lautzeichen ver-
lieren, das einstmals in seiner Urform einen ganzen Begriff
bezeichnet hatte. Die Schrift ist sachlich geworden.

Und diese Sachlichkeit steht, wie es scheinen könnte,
auch einer neuen Symbolik entgegen. Wir mögen keine
langwierigen Umschreibungen mehr. Wir suchen nach
dem kürzesten Ausdruck für einen Begriff. In den ange-
wandten Wissenschaften ist dafür die Formel gefunden,
die aus Zahlen oder Zeichen besteht und von der niemand
die allgemeine Verständlichkeit erwartet, weil sie für einen
gegebenen Rahmen bestimmt ist und nicht darüber hinaus
verständlich zu sein braucht. Aber in der angewandten
Kunst ist es nicht so leicht, diesen kürzesten Ausdruck zu
finden. Denn die angewandte Kunst soll ja keine Kabba-
listik sein, sondern ihr Zweck erfüllt sich um so mehr, je
verständlicher sie ist. Ich wüßte keine besseren Beispiele
dafür anzuführen, als einige Ausstellungsplakate der letzten
Jahre. Bei Plakaten ist ja für eine neue Symbolik eine
außerordentlich dankbare Anwendungsgelegenheit gegeben.
Da war 1911 die Dresdener Hygiene-Ausstellung, und in
einem Preisausschreiben waren Entwürfe für ein Plakat
eingefordert worden. Die Zahl der eingereichten Entwürfe
ist sicher sehr groß gewesen, und man geht wohl auch in
der Vermutung nicht fehl, daß die alte Symbolik der Hygiene
mit der Figur der Hygieia, mit dem Zeichen des Äsku-
lapius,mit Sonne, Heilquelle, Heilkräutern, Muskelmenschen,
vielleicht auch mit Arzneiflaschen und Salbenbüchsen und
was man sonst noch in diesem Fache unterbringen kann,
auf den Entwürfen nicht sparsam angewendet worden ist.
Das Preisausschreiben hatte aber doch kein Ergebnis:
keiner der Entwürfe wurde genommen und Franz Stuck
erhielt den Auftrag, ein Plakat zu schaffen. Er zeichnete
das Plakat mit der Säulenarkade und dem blauen Sternen-
himmel darüber, in dem ein großes Menschenauge fragte.
Es war ein gutes Plakat, aber kein Symbol für das Wesen
der Ausstellung. Es wurde von niemandem verstanden,
der nicht bereit war, eine persönliche Deutung hinein-
zulegen; es hätte für jede andere Ausstellung auch gepaßt,
für eine Pferdeausstellung (etwa nach dem Motto: des
Herrn Auge macht die Pferde fett) so gut, wie für einen
eucharistischen Kongreß. Ein Jahr darauf war in Leipzig
die Baufachausstellung. Für die Plakatgestaltung hätten
die alten Baugewerksymbole, Wage und Lot, Zirkel und
Winkelmaß usw. bereitgestanden; aber Waschneks Plakat
mit der einsamen kyklopischen Säule war auch ein Bau-
symbol, wenn auch nicht ein historisch gewordenes, zu-
gleich aber auch eine gute Plakatidee. Das Plakat für die

1) Das Symbol bedingt in seinem eigentlichen alten
Sinn geradezu ein zweites; Symbole waren ursprünglich
die zwei Hälften eines auseinandergebrochenen Tafelchens
oder Ringes; die zueinander passenden Hälften wurden zu
Merk-, Gedenk- oder Erkennungszeichen. Fritz Reuter hat in
Hanne Nute diesen ursprünglichen Symbolbegriff mit zwei
Ringhälften in die Dichtung eingeflochten.

Buchgewerbeausstellung im Kriegsjahr 1914 aber griff
wieder ein altes Symbol auf, den Greifen, der auf baby-
lonische Zeit zurückgeht und der im 15. oder 16. Jahr-
hundert zum Buchdruckerzeichen geworden ist. Auch der
darauf sitzende Genius (oder war an Prometheus gedacht?)
ist antiken Ursprungs. Ein Symbol für die Buchgewerbe-
ausstellung wäre natürlich auch anders zu finden gewesen,
aber ich möchte doch nicht behaupten, daß das antiki-
sierende Symbol Tiemanns unzeitgemäß gewesen wäre;
über die Plakatwirkung können ja die Meinungen aus-
einandergehen.

Wo das Symbol über das Ornament oder über die
ornamentmäßige stilistische Darstellung hinausgeht, ver-
schwimmen die Grenzen der Symbolik; man kann da sehr
oft im Zweifel sein, ob die Reichweite des Symbols in
seinem eigentlichen Sinne schon überschritten ist oder
nicht. Allerdings macht ja nicht nur die Darstellungs weise
das Symbol aus und man darf die Idee nicht übersehen.
Klingers Randzeichnungen zu vielen seiner Radierungen,
die stilistisch gebunden sind, haben trotz dieser Darstellungs-
weise nicht mehr symbolischen Gehalt, als die Idee zu
seinem Christus im Olymp. Aber wir wollen hier nicht
von Symbolismus im allgemeinen sprechen, sondern von
der kunstgewerblichen Symbolik, und so sehen wir auch die
Grenzen deutlicher, die gezogen sind.

Für die kunstgewerblichen Zwecke ist das Symbol
zunächst Ornament. Die Sachlichkeit, die die Periode ihrer
Übertreibung nun hinter sich hat, war ja während dieser
Zeit auf und daran gewesen, das Ornament ganz auszu-
schalten. Aber damit hatte man der angewandten Kunst
nicht nur wirtschaftlich den Boden abgegraben, und das
Ornament kam eher wieder, ehe es sich seine Feinde ver-
sahen, und zwar aus einer Richtung, die sie weder ver-
mutet, noch gewünscht hatten, aus den historischen Stil-
arten. Immerhin mag diese »Los-vom-Ornamentbewegung«
etwas genützt haben; im ganzen genommen, liegen die
Dinge in dieser Hinsicht wieder so wie früher.

Die Sachlichkeit hätte aber gerade dem Symbol, als
der zusammengedrängten Ausdrucksform, das Wort reden
sollen: das Symbol kann ja die ornamentalen oder gar
figürlichen Umschreibungen ersparen. Das träfe jedoch
nur zu, wenn wirklich ein Bedürfnis nach solcher Art kon-
zentrierter Zeichen besteht. Diese Bedürfnisfrage können
wir aber nicht verneinen. Vielleicht wird die Zeit nach
dem Kriege mit ihren neuen Anstrengungen und Erforder-
nissen dieses Bedürfnis nach Wegverkürzung, nach Kraft-
ersparnis, nach Zeitausbeutung, nach Platzausnützung noch
weiter steigern. Wir hatten vor dem Kriege schon be-
gonnen, Wortsymbolismen zu erfinden, es sei nur an die
Wortbildungen für die langen Ausstellungstitel und die
Namen von großen Unternehmungen erinnert. Für eine
solche zusammengedrängte Wortbildung einer Fabrikmarke
hat Behrens auch ein bildliches Symbol geschaffen, das
AEG in drei achsial-symmetrischen Sechsecken, ein Zeichen,
das in der geometrischen Straffheit neben die alten Symbol-
formen des Pentagramms und des Hexagramms zu setzen
ist. Ähnliche Aufgaben stellen die Warenzeichen, die Schutz-
marken, die Warenverpackungen, für die solche Symbole ge-
schmackvoller und vielleicht auch wirksamer sein könnten,
als die beliebten schnörkelhaften Wortungeheuer, die in
ihrer Fülle und Unsinnigkeit kein Menschmerken mag. Auch
die Verlagssignete bieten Platz für moderne Symbole, und
die Ex-libris-Kunst ist kaum ohne Symbolisierung zu denken.

Das sind indessen Dinge, die nicht eigentlich greif-
bar praktische Zwecke vorstellen. Aus der Sachlichkeit
heraus legen wir auf solche praktische Zwecke ja oft so
viel Gewicht, daß alles andere sehr leicht unwesentlich,
nebensächlich, entbehrlich erscheint. Der Krieg hat diese

116
 
Annotationen