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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 27.1915/​1916

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Grobler, Johannes: Erker und Balkon
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https://doi.org/10.11588/diglit.4828#0152

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ERKER UND BALKON

VON JOHANNES GROBLER, DIPL.-ING., BERLIN-HALENSEE

ES ist bekannt, daß uns frühere Jahrhunderte im Städte-
bau unendlich überlegen waren. Durchwandern wir
ältere Städte, so müssen wir beschämt eingestehen,
daß in unseren Großstädten nicht ein einziger neuerer
Straßenzug aufzuweisen ist, der ähnliche Schönheiten be-
sitzt wie etwa Rothenburg. Ganz sicher trägt dabei die
große Höhe unserer fünfetagigen Mietshäuser eine gewisse
Schuld. Ein Gebäude mit 1, 2, höchstens 3 Stockwerken
repräsentiert sich stets besser als ein mehrstöckiges, weil
es übersichtlicher und daher auch im ganzen genommen
großzügiger und monumentaler ist. Jedoch noch wundere
Stellen als die große Höhe und die damit verbundene Un-
übersichtlichkeit sind bei den städtischen Mietshäusern —
und ausschließlich das Mietshaus bezw. die Mietskaserne
bestimmt unser Straßenbild — die Vorbauten: der Erker
und der Balkon. Diese ewigen gleichförmigen Kästen und
Kästchen nehmen der Häuserfront die Ruhe und Würde,
die uns an alten Bauten so wohltuend berührt.

Die Baupolizeiordnungen der größeren Städte gestatten
fast gleichlautend das Herausziehen von Vorbauten in den
Luftraum der Straßen. Und zwar dürfen Erker sowohl
wie Balkons je ein Drittel der Hausfront einnehmen, zu-

Becker-Tempelburg, Berlin

Studie zu einem Glasgemälde

saramen also zwei Drittel, so daß für die eigentliche
Straßenflucht des Hauses auch nur ein Drittel übrig bleibt.
Außerdem und sehr folgerichtig ist die Entfernung der Vor-
bauten unter sich und vom Nachbar genau geregelt. Daher
sind die Gestaltungsmöglichkeiten der Ansichtsfläche eines
Hauses bei voller Ausnutzung der Bauordnung sehr be-
schränkt: bei schmalen Grundstücken muß der Erker stets
in der Mitte liegen, es ist also nur eine einzige Möglichkeit
vorhanden. Bei Grundstücken mit sechs Vorderzimmern,
also schon immerhin breiten Fronten, hat man, abgesehen
von einigen unsymmetrischen Anlagen, zwei Variationen
für die großen Linien des Hauses: 1. Die beiden Erker
werden in der Mitte vereinigt und rechts und links davon
die Balkons gelegt, oder die Balkons werden in der Mitte
zusammengefaßt und rechts und links davon die Erker
angebracht.

Die Vergünstigung, noch einen Teil des Luftraumes
der Straße für sich unentgeltlich in Anspruch nehmen zu
dürfen, bedeutet für den Bauherrn einen so großen Vorteil,
daß man sein entschiedenes Verlangen nach der vollen Aus-
nutzung der Bauordnung in bezug auf Erker und Balkons
nur allzusehr verstehen kann. Auch dem Mieter sind sie
meist nicht unwillkommen, da sie neben
der Vergrößerung seiner Zimmer ihm auch
Gelegenheit geben zu lauschigen Winkeln
und Plätzchen. Nun aber bedeutet der
Bau eines jeden Mietshauses ein Geschäft.
In allererster Linie hat der Bauherr die
Absicht, den Überschuß aus dem Mietser-
trage möglichst hoch zu gestalten. Andere
Erwägungen wie geschäftliche kommen
für ihn kaum in Frage; sie stehen ganz
naturgemäß erst an zweiter Stelle, ohne
daß man ihm daraus einen Vorwurf ma-
chen kann. Daher sucht er auch alle Vor-
teile, die sich ihm in bezug auf Material,
Konstruktion, Grundriß und Baupolizei
bieten, in Anspruch zu nehmen. Die Bau-
ordnung ist nun aber von allen diesen
Dingen gerade in ihren Bestimmungen bzw.
Vergünstigungenfür die Erker und Balkons
die gefährlichste Feindin des Architekten.
Denn nach dem Gesagten kann man
sich in die Lage des Baukünstlers, also der
für das Straßenbild verantwortlichen Per-
sönlichkeit, leicht hineindenken. Im all-
gemeinen geht der Entwurf eines Miets-
hauses folgendermaßen vor sich: Zuerst
wird der Grundriß ohne jede Rücksicht auf
die Fassade meistens von dem »Grundriß-
architekten« entworfen; Erker und Balkons
werden dabei sowohl in ihrer Größe als
auch in ihrer Entfernung vom Nachbar
und unter sich durch die Bestimmungen
der Baupolizei in der Hausfront schema-
tisch genau festgelegt. Der Bauherr ist
dabei — mit Recht — sehr darauf bedacht,
daß ihm nicht der kleinste zustehende Vor-
teil entgeht. Oft oder fast immer sogar
wird auch die Lage und Größe der Fenster
bereits bestimmt. Sprach bis jetzt nur der
Geschäftsgeist des Bauherrn durch den
Mund des Grundrißarchitekten, so bleibt

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