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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 27.1915/​1916

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Grobler, Johannes: Erker und Balkon
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https://doi.org/10.11588/diglit.4828#0154

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Becker-Tempelburg, Berlin
Gedenktafel in Mosaik

Becker-Tempelburg, Berlin Oedächtnisfenster

Ausführung: Puhl & Wagner — Gottfried Heinersdorff,

Berlin-Treptow

überzeugen kann, daß der Balkon häufig genug nur ein
zugiges Winkelchen ist, gerade groß genug, um einem
kleinen Tischchen und einem Stuhl Raum zu gewähren,
zu klein dagegen zu einem wirklich gemütlichen Plätzchen.
Man kann die Beobachtung machen, daß die sogenannten
»Schwalbennester« bei weitem nicht so ausreichend benutzt
werden, daß sich ihr Bau für den Mieter wie für den Ver-
mieter lohnt.

Es ist mit Sicherheit anzunehmen, daß sich bei völliger
Ausnutzung aller Vergünstigungen der Bauordnung eine
ästhetisch befriedigende Lösung der Fassade kaum finden
läßt. Die besseren und anerkannten Architekten haben das
wohl gefühlt; sie haben, soweit ihnen das möglich war,
mit aller ihnen dank ihres Ruhmes zu Gebote stehenden
Autorität auf den Bauherrn eingewirkt, daß er im Interesse
des Straßenbildes und auch der eigenen Wohnhausfront
auf die Vorbauten teilweise verzichtete.

Ganz eigenartig stellen sich die Behörden bei ihren
Bauten zum Erker und Balkon. Nehmen sie sonst alles,
was sie irgend bekommen können, hier sind sie bescheiden.

Kein Staats- oder Kommunenbau, sei es eine Schule, ein
Rathaus, ein Gerichtsgebäude oder Wohnhaus, hat Erker
oder Balkons, abgesehen von einigen seltenen Ziervorbauten;
denn selbstverständlich ist hier stets nur von der vollen
Ausnutzung der Bauordnung die Rede. Aber gerade dieser
Verzicht der Behörden gibt zu denken. Wenn z. B. ein so
vielbeschäftigter Architekt wie der Stadtbaurat von Berlin,
der Geheimrat Hoffmann, der sich sonst an alle Aufgaben
der Baukunst herangewagt hat, eine Straßenfront mit allen
Vorteilen der Bauordnung noch nicht versucht hat, so kann
man das schon als einen Beweis auffassen, daß er an eine
befriedigende Lösung einer solchen Fassade nicht glaubt.
Es soll hier selbstverständlich nicht einer völligen Aus-
rottung der Erker und Balkons das Wort geredet werden.
Ab und zu recht sparsam und nur an geeigneten Stellen
angebracht, können beide das Straßenbild unendlich be-
leben. Aber jedes Zuviel, selbst wenn es im einzelnen
noch so reizvoll ist — und wir besitzen an neueren städti-
schen Mietshäusern recht viele Beispiele schöner Erker und
Balkons —, wirkt langweilig und ermüdend.

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