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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 27.1915/​1916

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Eberhardt, Hugo: Beispiele für die Verwundetenbeschäftigung des Lazaretts für Berufsübungen, technische Lehranstalten, Offenbach a. M.
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https://doi.org/10.11588/diglit.4828#0172

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werbemuseum in Darmstadt folgte eine solche an der
Wirkungsstätte Pazaureks im Landesgewerbemuseum
Stuttgart. Peter Jessen widmete unserer Sache einen
Abend des Vereins für Deutsches Kunstgewerbe im
Berliner Künstlerhaus, und im Anschluß daran stellte
das in seiner Arbeit so erfolgreiche Zentralinstitut für
Erziehung und Unterricht Pallats die Arbeiten zehn
Tage in Berlin zur Schau. Von dort wandert die
kleine Sammlung auf Veranlassung Grauls an das
Städtische Kunstgewerbemuseum zu Leipzig und dann
an das Königliche Kunstgewerbemuseum in Dresden.
Man kann also mit Freuden feststellen: an Interesse
für derartige Dinge fehlt es im deutschen Volke nicht.

Unsere Arbeiten sind nun allerdings in einer recht
viel bescheideneren Absicht entstanden, als der, sie der
breiten Öffentlichkeit in gewerblichen und kunstge-
werblichen Museen als Musterbeispiele der Lazarett-
beschäftigung vor Augen zu führen.

In erfreulichster Zusammenarbeit mit dem Chefarzt
des Reservelazaretts Offenbach, Medizinalrat Dr. Reben-
tisch, wollten wir rein für uns im Interesse unserer
Verwundeten im Lazarett für Berufsübungen Kriegs-
beschädigter die Möglichkeiten prüfen, wie die Be-
schäftigung sich durch künstlerische Beeinflussung auf
geschmacklich gute Bahnen bringen läßt. Bei diesem
Bestreben kamen uns die vorzüglich eingerichteten,
dem Lazarett zur Verfügung gestellten Werkstätten der
Technischen Lehranstalten und verschiedentliche dan-
kenswerte Anregungen von Herren des Lehrkörpers
dieser Anstalt, der Maler Franz Franke und Richard
Throll sowie des Architekten Karl Hotter sehr zu-
statten.

Besonders erfolgreich wurde die Arbeit da, wo
ein kleiner Kreis Verwundeter sich um einen ge-
schmackbegabten Kameraden gruppierte; durch das
gute Beispiel und die gemeinsame Kritik wurde einer
nach dem andern so weit gebracht, daß er einige
Stücke unserer Sammlung einfügen konnte.

Die Lehrkräfte des Lararetts, unsere Unteroffiziere
Reiner und Hennings, unsere Reservisten Unger und
Holz, unser Krankenwärter Jochheim, wuchsen immer
mehr in ihre Lehraufgabe hinein. Die Klasse für
künstlerische Schrift, zu der sich unsere Verwundeten
drängen und aus der sie für ihre Berufe viel Nütz-
liches zu holen haben, untersteht der Anleitung Otto
Reicherts, der einzigen kunstgewerblichen Lehrkraft in
Zivil im Lazarett.

Soviel über die Arbeit im Lazarett für die Berufs-
übungen Kriegsbeschädigter in Offenbach.

Was nun im allgemeinen die Lazarette unseres
deutschen Vaterlandes anbelangt, so ist es heute ja
nicht mehr erforderlich, die Notwendigkeit der Be-
schäftigung im Krankensaal zu begründen. Was aber
doch immer noch einer recht eindringlichen Fürsprache
bedarf, das ist der Wunsch, die Arbeit allerorts so zu
gestalten, daß sie auch geschmackvollen Menschen er-
freulich erscheint.

Wir müssen loskommen von der sentimentalen
und schlappmachenden Anschauung, daß in den Ar-

beiten unserer verwundeten Soldaten so tiefgehende
Pietätsweüe niedergelegt seien, daß man sich ihnen
nicht mit dem Maßstabe des Geschmacks oder des
Ungeschmacks nähern dürfte.

Wir müssen auch loskommen von der wenig
respektvollen Ansicht, es handle sich um »Soldaten*-
arbeit und der »Soldaten«geschmack müßte respektiert
werden. Unser Heer ist doch so sehr ein Volksheer,
daß es nicht angängig erscheint, zu unterscheiden
zwischen Soldatengeschmack, bei dem man die fürchter-
lichsten Dinge als selbstverständlich hinnehmen könne,
und dem Geschmack des übrigen Volkes — nämlich
der Frauen, der Männer unter 20 und über 45 Jahren
und der Kinder —, dem im Gegensatz zu ersterem
die Aufgabe zufällt, unsere Repräsentation als Kultur-
volk zu übernehmen.

Wir stehen vielfach noch stark unter dem Eindruck
der allerprimitivsten Auffassung des Zweckes der La-
zarettbeschäftigung: die Langweile aus dem Kranken-
saal zu bannen. Die lange Kriegsdauer müßte uns
andere, höhere Ziele aufzwingen. Die Lazarettbeschäf-
tigung darf nicht darauf ausgehen, die Zeit tot zu
schlagen, wir müßten im Gegenteil besorgt sein, sie
recht lebendig zu gestalten.

Es ist nötig, sich Gedanken darüber zu machen,
was ist nun der Effekt der Beschäftigung in Hun-
derten von Lazaretten, in den Tausenden von Lazarett-
sälen während Hunderttausenden von Stunden emsiger
Arbeit? Was ist das Ergebnis dieser Unsumme an
Arbeitskraft, an Arbeitszeit, an Arbeitsmaterial und an
Arbeitsfreude? Es mag sein, daß das Vergnügen an
den sogenannten »Lazarettkunstausstellungen« durch
solche Gedanken etwas herabgestimmt wird.

Was wird aus den Tausenden von wenig erfreu-
lichen Dingen, die dem Beschäftigungstrieb unserer
Lazarettsäle ihr Entstehen verdanken? Auch diese
Machwerke wandern als Geschenke hinein in Tausende
von Familien, und begreifliche Pietät bereitet den
Wahrzeichen banger Sorge um einen lieben Ange-
hörigen einen Ehrenpfaiz im deutschen Hause, einen
Dauerphiz. —

Wann werden wir diese Gegenstände aus dem
deutschen Hause wieder herausbringen und wie
werden spätere Zeiten über diese Erzeugnisse denken,
wenn das sorgende Herz Entschuldigungsgründe für
diese Sachen nicht mehr vorzubringen vermag?

Wir müssen Einkehr halten. Den üblen und un-
würdigen Dingen, an die noch so manche unserer
Lazarette Zeit und Freude verschwenden, muß ein
Ende gemacht werden. Künstlerisch tätige, oder we-
nigstens künstlerisch empfindende Beiräte müssen zu-
sammen mit handfertigkeitsgeschulten Kräften An-
regung in die Lazarette tragen und die Verwundeten-
beschäftigung überwachen.

Die geschmacksichere Anleitung breiter Massen
müßte auf die künstlerische Entwicklung unseres Volkes
von allergrößtem Einfluß sein. Die im Lazarett er-
lernte Kunstfertigkeit müßte auch in dem entlegensten
Dorf auf Jahre hinaus den langen deutschen Winter-
abend mit Schaffensfreude füllen.

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