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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 27.1915/​1916

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Zimmermann, Waldemar: Angewandte Kunst und soziale Reform
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Behne, Adolf: Majorität und Qualität
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https://doi.org/10.11588/diglit.4828#0200

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»Kriegsartikel«, für Kriegserinnerungszeichen, für an-
gewandte Kriegskunst und Kunstgewerbe rasch be-
mächtigt und drohen die Achtung vor der innerlich
gediegenen Wertarbeit zu untergraben. Die Aus-
beutung der Kriegszeit als einer einträglichen »Novi-
tätenkonjunktur« mit ihrer Schund- und Kitschfabri-
kation droht der durch Geschmack und künstlerische
Notwendigkeit geadelten Erzeugung von Kriegsschmuck
und Denkzeichen den Weg zu versperren. Und da
es sich hier um Dinge handelt, die den Menschen
ständig umgeben, die tagtäglich die Massen ansprechen
und ihr Gesichtsbild erfüllen, so besteht die Gefahr
einer dauernden Geschmacksverirrung, die alle die
eben geschilderten sozialkulturlichen Bestrebungen zur
Arbeits- und Daseinsveredelung beeinträchtigen muß.
Wer in der Förderung der Wertarbeit einen Faktor
zur Hebung unserer Massenkultur, die ein Stück des
neuen Deutschland ausmachen soll, erblickt, muß es
darum mit Genugtuung begrüßen, wenn durch einen
ausgewählten Anschauungsunterricht über die Kunst
im Kriege, der mit guten Beispielen und auch ab-
schreckenden Gegenbeispielen zu jedermann zu
sprechen sucht, der Künstelei und Kunstmache auf
kriegsgeschäftlichem Untergrunde ein heilsames Gegen-
gewicht geboten wird. Die soziale Erziehungsaus-
stellung macht die inneren Zusammenhänge zwischen
Sozialreform und angewandter Kunst weithin offenbar.
Aus solcher Förderung der Geschmackskultur und
der auf ihrem Grunde erblühenden Wertarbeit ergeben
sich neben dem sozialästhetischen Gewinn für die per-
sönliche Menschenkultur aber auch wichtige sozial-wirt-
schaftliche Vorteile für das schaffende Volk. Vor dem
Kriege hatte die deutsche »Qualitätsarbeit«, in der Stoff,
Zweck und Form zu einer möglichst vollkommenen Ein-
heit gebracht wurden, bereits eine achtunggebietende
und vielversprechende Stellung auf dem Weltmarkte sich

zu erringen gewußt, zunächst auf dem mehr gewerbe-
technischen, später auch auf kunstgewerblichem Ge-
biete. Gerade infolge der Absperrung der wertvollen
deutschen Erzeugnisse durch den Krieg ist es den
fremden Völkern besonders zum Bewußtsein gekommen,
was deutsche Qualitäts- und Geschmacksarbeit be-
deutet. Trotz aller feindlichen Absichten eines Handels-
krieges nach dem Kriege muß und wird die deutsche
Arbeit die alte Stellung auf der Völkermesse nicht
nur wiedererobern, sondern noch erweitern, wenn das
Streben nach gediegenen, in Zweck und Form voll-
kommenen Leistungen rastlos weiterwirkt. Das aber
ist nur auf dem Boden einer geläuterten Sinnes- und
Ausdruckskultur möglich. Gelingt es uns, diese zum
lebendigen Gemeingut des ganzen Volkes zu machen,
dann braucht uns auch um den wirtschaftlichen Sieg
der Zukunft nicht bange zu sein. Er aber bedeutet
Erhöhung des Volkswohlstandes für alle Klassen, er
ist eine wesentliche Grundlage für Verbesserung der
Arbeits-, Lohn- und Lebensbedingungen der arbeiten-
den Massen und somit eine starke Triebkraft für die
sozial-wirtschaftliche Höherentwicklung der breitesten
Schichten der Nation von unten auf. So dient die
Erziehung des Volkes für Wesen und Wert echter,
durch Können und Formvollendung geadelter Arbeit
zugleich den wirtschaftlichen Zielbestrebungen der
sozialen Reform neben ihren kulturlich-idealen Bil-
dungszwecken.

Es lösen sich also die anfangs unvereinbar er-
scheinenden Gegensätze zwischen angewandter Kunst
und »Sozialpolitik« letzten Endes in einer höheren
Harmonie auf, wenn man ihr Wollen und Wirken
auf den Menschen als Maß aller Dinge bezieht: als
Schaffender und als Genießender soll er ein Stück
Kulturpersönlichkeit entfalten! Dieses hohe Ziel eint
beide: Kunst und soziale Reform.

MAJORITÄT UND QUALITÄT

VON DR. ADOLF BEHNE

IN seiner sehr interessanten und lesenswerten »Psycho-
logischen Kunstlehre« spricht Max Deri gelegentlich
von der Notwendigkeit, einmal die »Kunstgeschichte
der Majoritätsurteile« zu schreiben. Es liegt in dem Ver-
hältnis der in der offiziellen Kunstgeschichte festgelegten
Werturteile zum Geschmack des allgemeinen Publikums in
der Tat ein bedeutsames Problem. »Diese Geschichte der
beliebtesten Kunstwerke, der zu ihrer Zeit am meisten ge-
lesenen Bücher, am liebsten gekauften Bilder, am öftesten
gehörten Musikstücke, am häufigsten gesungenen Lieder
würde eine völlig andere' sein als die Geschichte der
,wahrhaft' großen Künstler und Werke« (a. a. O., Verlag
F. Enke, Stuttgart 1912). Freilich müßte mindestens ebenso
notwendig die Kunstgeschichte der wahren Qualitäten ge-
schrieben werden. Denn die heute existierenden Kunst-
geschichten stellen in ihren Urteilen im Grunde genommen
ein Kompromiß zwischen dem Urteil der Menge und dem
Urteil des künstlerischen Kenners, zwischen Majoritäts-
und Qualitätsurteil dar.

Streng genommen wird das Problem einer »Kunst-
geschichte vom Publikum aus« erst mit dem Anfang der
modernen Kunst dringend. Für die ältere Kunst, sagen
wir vor Michelangelo, ist dieses Problem weit weniger
bedeutungsvoll, während umgekehrt das Problem einer
»Kunstgeschichte der wahren Qualitäten« gerade für die
ältere Kunst besonders brennend ist.

Darüber sind wohl einige Worte zu sagen.

Der Kunsthistoriker ist im allgemeinen geneigt, die
Qualität alter Kunst zu überschätzen, diejenige moderner
Kunst zu unterschätzen. Man wird stets beobachten, daß,
je älter ein Stück ist, die Frage seiner Qualität desto
liebenswürdiger behandelt wird. Ganz alte Dinge sind
einer Untersuchung nach ihrem inneren künstlerischen
Werte überhaupt nicht unterworfen. Doch moderner Kunst
gegenüber hat man den Historiker der Kunst noch selten
liebenswürdig gefunden. Der Grund ist ganz einfach: der
Vorrat an moderner Kunst ist unabsehbar groß; aber je
älter die Epoche, desto rarer die Monumente. Es wird

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