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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 27.1915/​1916

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Brandt, G.: Volkskunst in den Kieler Lazaretten
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https://doi.org/10.11588/diglit.4828#0222

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Aber während in allen diesen Abteilungen, wie in
Offenbach, der moderne Geschmack die Richtung gab,
haben wir uns bei der Bearbeitung des Holzes auf
die reichen Schätze des Thaulow-Museums an Vor-
bildern alter Volkskunst gestützt. Aus dieser Ab-
teilung möchte ich daher, da der Raum nicht die
Vorführung unseres ganzen Arbeitsgebietes gestattet,
den Aufsatz in der Juninummer ergänzend, ein paar
Abbildungen bringen. —

Im allgemeinen habe ich gefunden, daß die alte
Volkskunst uns bei unserer Arbeit ein schwer durch
anderes zu ersetzender und gewissermaßen natürlicher
Führer ist. — Wenn man dem Verwundeten alte
Heimkunstarbeiten aus dem Museum zeigt und ihn
(nicht in lehrhafter Weise) zwanglos darauf führt, was
und warum sie von uns als schön empfunden werden,
so erfaßt er das in der Regel leicht. Das sichere,
angeborene Gefühl für das Materialgemäße, für das
aus der Technik sich von selbst ergebende Ornament
fehlt unseren Leuten nicht, sobald sie nur erst einmal
begriffen haben, daß es sich um nichts Ungeheuer-
liches und Schwieriges, sondern um etwas ganz Ein-
faches und Natürliches handelt. Sie müssen unbe-
fangen und ohne Ängstlichkeit vor unerfüllbaren An-
forderungen an ihre Arbeit gehen, dann finden sie

auch die innere Sicherheit und damit den Boden, von
dem aus ohne alle Grübelei und Reflexionen unsere
Vorfahren zu ihrem natürlich sicheren Stilgefühl
kamen. Die erfrischende Naivität, die so gar nichts
gewaltsam Erdachtes hat, ist ja neben dem natürlichen
Stilgefühl, was uns so viel Freude an der alten Volks-
kunst gibt und was wir bei unseren Kunstgewerben,
die um jeden Preis originell sein wollen, so oft
schmerzlich vermissen. — Alte Näh- und Schreibladen,
mit Kerbschnitt verzierte Kästen, die zum Teil bunt
bemalt sind, oft reich ausgestattete, als Brautgeschenke
benutzte und deshalb besonders intime Mangelbretter
sind köstliche Vorlagen.

Den nicht mit Unrecht arg in Mißgunst geratenen
Kerbschnitt wage ich in erster Linie zu empfehlen.
Die schrecklichen Dinge, mit denen man unsere Woh-
nungen in den achtziger Jahren füllte, gebrauchen
durchaus nicht notwendig aus der Kerbschnittechnik zu
entstehen, wie unsere alte Volkskunst augenfällig lehrt. —

Die farbige Behandlung der Kerbschnittarbeiten
kann sehr zur Erhöhung einer erfreulichen Wirkung
beitragen. Schon die Anwendung farbiger Beizen,
deren man jetzt in Rot, Grün, Grau und den ver-
schiedensten braunen Tönen vortreffliche hat, geben
eine freundliche Note. Unsere alten Volkskünstler

Verwundeten-Arbeit (Lazarett Chirurg. Klinik, Kiel)

Kerbschnittkasten mit Motiven von einer friesischen Gewürzlade

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