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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 27.1915/​1916

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Kunstgewerbliche Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.4828#0250

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nommen. Aus dem reichen Stoffgebiet der Geschmacks-
kunde konnten natürlich nur einige Hauptgruppen berührt
werden: Form, Material, Farbe, Schrift, Reklame, Schau-
fensterdekoration (für Handelsschulen). In der Entwick-
lung der Gefäße wurde in klarer Weise gezeigt, wie der
Sinn für Rhythmus der Form erzogen werden könne. »Schon
vieles sei an den Schulen für die Kunsterziehung im Auf-
satz-, Geschichts-, Zeichnungs- und Handfertigkeitsunter-
richt geschehen,« so führte der Redner aus, »man habe aber
bei der Erläuterung z. B. der Schönheit einer griechischen
Plastik fast stets den Eindruck, als werde dem Schüler nur
die Überzeugung des Lehrers vermittelt, der Schüler aber
nicht innerlich fortgerissen. Der Grund für diese Erschei-
nung sei der Mangel jeder Voraussetzung. Würde dagegen
der Schüler, wie dies von der Geschmackskunde zu hoffen
sei, mit den organischen und rhythmischen Zusammen-
hängen einfacher und folgend reicherer Formen vertraut
gemacht, so würde eine wirkliche Grundlage zum Kunst-
verständnis gelegt. Ganz besonders wichtig aber erscheine
die Einführung der Geschmackskunde im Hinblick auf den
kommenden Wirtschaftskrieg. Um diesen erfolgreich zu be-
stehen, sei vorher ein geschmacklicher Heimatsieg erforder-
lich. Die heute noch vorhandenen unübersehbaren Massen
von Schunderzeugnissen aber bedrohen die geistige Kraft
des Künstlertums und den Einfluß Deutschlands auf dem
Weltmarkt, so daß schließlich das Vertrauen auf die Schöpfer-
kraft leiden müsse. Hier aufklärend zu wirken, sei eine
der ernstesten und wichtigsten Aufgaben der Schulen ver-
schiedenster Richtung.« Reicher Beifall lohnte die über-
zeugenden, flott vorgetragenen Ausführungen. Aus der
Diskussion ging hervor, daß man im Herbst in Form von
Einführungsvorträgen für Lehrer und Lehrerinnen der An-
gelegenheit nähertreten wolle. Damit ist in Baden ein
entscheidender Schritt zur durchgreifenden Hebung der
Geschmackserziehung geschehen.

AUS DEN VEREINEN

Wünsche an die Reiseführer — das ist eine der
wichtigsten Aufgaben, die in dem soeben erschienenen
5. Heft der Werkbund-Mitteilungen behandelt werden. Prof.
Dr. Josef Popp-München hat zusammengestellt, was im

Werkbund-Sinne an den Reiseführern (Baedeker, Meyer
usw.) zu ändern und zu bessern wäre. Die im einzelnen
begründete Hauptforderung gipfelt in dem Satz »Auswahl
des Wichtigsten und bequemste Darbietung dieser Auswahl
in wirksamster Form; Qualität statt Quantität! Damit:
weniger Zeitvergeudung und Ermüdung, weniger Ober-
flächlichkeit und mehr Vertiefung!« Es ist auch wohl
richtig, daß wie viele unserer Einrichtungen, so auch diese
Reiseführer zu sehr unter der »historischen Krankheit«, wie
Nietzsche diese besondere, deutsche Veranlagung nannte,
leiden; wir können aber das Vergangene nur aus den
gegenwärtigen Bedürfnissen erleben, und deshalb müssen
diese Führer, die uns doch ein Hilfsmittel zum Erleben
und Genießen sein sollen, sich biegsamer der geistigen
Entwicklung anpassen. Popp gibt dann eine Reihe von
Vorschlägen für die Ausführung. — Geh. Rat Prof. Dr.
Wilhelm Ostwald hat seine, im Auftrage des Deutschen
Werkbundes unternommenen Farbenforschungen wieder
sehr vertieft und ist damit zu einer übersichtlichen und
systematisch vereinfachten Darstellung der Verhältnisse
der verschiedenen Farben zueinander gelangt, die sowohl
für die Arbeit des Künstlers allein als auch für dessen
Verkehr mit den industriellen Hilfskräften des Kunstgewer-
bes von großer Bedeutung sein werden. Ostwald kon-
struierte einen Farbenkreis, in dem nicht nur alle komple-
mentären Farben sich diametral gegenüberstehen und die
aufeinander folgenden Farben in sich rhythmisch abgestuft
sind, sondern in dem auch mit Hilfe einfacher Nebenapparate
ihre Reinheits- und Helligkeitswerte bestimmt wurden und
spielend leicht aufzufinden sind. Die rationelle Einteilung
dieses Farbenkreises gestattet auch (zum erstenmal), Dreier-
harmonien d. h. die gleichen Abstände von je drei Farben
aufzufinden, wie ja die Ergänzungs- (Komplementär-)
Farben bisher die Zweierharmonien bildeten. Auch hierin
liegt eine große Bedeutung der Ostwaldschen Forschungen,
die nun innerhalb des Werkbundes der Erfüllung in der
Praxis zugeführt werden. Im übrigen enthalten diese
»Mitteilungen« noch den Bericht über die diesjährige Bam-
berger Tagung und das reichhaltige Arbeitsprogramm des
Werkbundes, dem es auch im Kriege nicht an vielfacher
Betätigungsmöglichkeit zu fehlen scheint.

Für die Redaktion des Kunstgewerbeblattes verantwortlich: Fritz Hellwao, Berlin-Zehlendorf-Mitte
Verlag von E. A. Seemann in Leipzig. — Druck von Ernst Hedrich Nachf., o. m. b. h., in Leipzig
 
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