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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 13./​14.1931/​32

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Septemberheft
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Boeck, Wilhelm: Eine Raffael-Zeichnung
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https://doi.org/10.11588/diglit.26237#0025

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Eine Raffael-Zeichnung

Yon

Wilhelm Boeck

Unter Nummer 1359 kam am 6. Mai bei Ho'llstein u.
Puppel in Berlin eine Rötelzeichnung als „Uccello“
zur Yersteigerung. Diese Benennung des Katalogs wird
durcli zwei Umstände gerechtfertigt. Erstens war die
Gestalt silhouettiert und wurde später wieder ge-
schickt zum Blatt ergänzt. Immerhin inag ihr von dem
fiir Uccello bezeichnenden silhouettenhaften Charak-
ter einiges geblieben sein. Ferner ist die Figur des
Reiters von einer knappen Gedrungenheit und im
Verhältnis zum Pferd kleiu, wie das ebenfalls fiir Uc-
cello zutrifft. lm übrigen ist die Zeichnung seinem Stil
technisch wie formal gänzlich fremd und ganz allge-
mein gesehen wesentlich jiiuger. Ich möchte es unter-
lassen, das Ziel, auf das ich hinstrebe, allmählich ein-
zukreisen, sondern gleich die Beziehungen aufdecken,

die sicli mir zu erkennen gaben. Die Pferdezeichnung
erinnert nämlich lebhaft an den Entwurf zu einem
Fresko Pinturicchios in der Dombibliothek zu Siena,
der sich lieute in den Uffizien befindet (Fischel, Raf-
faels Zeichnungen. Teil I. 1913. Tafel 62.) und zuletzt
— wie schon mehrfach mit Recht — von Panofsky
(Rep. f. Kunstw. XXXYII 11915] S. 264) Raffael ge-
geben wurde. Hat das betreffende Pferd im Entwurf
auch eine andere Stellung eingenommen, so entspricht
es doch im Typus und in der Behandlung durchaus
dem unsrer Zeichnung wie den verwandten im Zei-
chen- und Malwerk des Meisters aus jener Zeit. Der
„Klassiker der Kunst” und Fischels zitierte Publi-
kation umfassen alles notwendige Vergleichsmaterial.

Mit Notwendigkeit setzt das komplizierte Be-
wegungsmotiv den Vorgang von Leonardos Pferde-
studien voraus, die im Zusammenhang mit dem Karton
der Anghiarischlacht in Florenz um jene Zeit ent-
standen, afs Raffael sich dort aufhielt. Man hat das

Gefühl, als liabe der Zeichner geradezu eine Bronze-
plastik vor Augen geliabt, wenn man die merkwürdige
Überschneidung der linken Vorderhand des Tieres be-
trachtet. So fände auch das geringe Interesse, das er
dem Reiter schenkt, eine angemessene Erklärung. Ob-
wohl wir nicht annehmen können, dafi die fragliche
Zeichnung gerade die entsprechende Figur des er-
wähnteii Entwurfes vorbereitete, so gehört sie histo-
risch doch gewifi in ihren engsten Umkreis, und be-
sonders das Verhältnis des Pferdes zum Reiter, der sich
ordeutlich im Sattel gereckt hat, ist im Entwurf ein
entwickelteres. (Fiir den kurzen Oberkörper des Rei-
ters vergleiche man die Madonnenstudie in Lille.
Fischel I. Tafel 50.) Im übrigen ist gerade die straffe
Haltung des Reiters, der wie in den Pferderücken

liineingegossen dasitzt, eines Raffael selir wohl wür-
dig. Jugendliche Schwächen zeigt bei aller Lebendig-
keit im gauzen auch noch das Tier, wobei mau nicht
vergessen darf, dafi die Konturen an manchen Stellen
etwas hart beschnitten sind. Die für Raffael bezeich-
nende Einkerbung von Hals und Brust des Pferdes
tritt iiberdeutlich hervor, die schwierigen Muskeln des
Schenkelansatzes sind nocli nicht ganz verstanden und
etwas krampfhaft modelliert. (Der charakteristische
Schweif ist durch die Silhouettierung verstümmelt.)
Das Material des Rötels ist zwar ungewölmlich, aber
nicht anders als die schwarze Kreide gebraucht und
fiihrt die differenziertesten Wirkungen in der Model-
lierung herbei. — Wie uns nichts ferner liegen kann
als Bedeutung und Wert Uccellos zu verkennen, so
glauben wir doch der Zeichnung keinen Schimpf an-
zutun, wenn wir sie ihrem wahren Urheber zurück-
geben.
 
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