Lesser Ury in der NationaLGalerie
Die Gedenkausstellung
Yon
Franz Servaes
Dr. Franz Servaes gab dem „Kunstroanderer“ die
Genehmigung, das Vorwort zu oeröffentlichen, das er
für den Ury-Katalog der National-Galerie in Berlin
geschrieben hat.
„Vous n’etes pas le premier venn!" sagte der Pariser
Maler Lefebvre zu dem blutjungen Ury, als dieser,
klein und schüchtern, ihm seine Bilder vorwies — mit
der Bitte, daß der vielumworbene Meister ihm gestatte,
als Lernender dessen Atelier besuchen zu dürfen. Das
war zu Anfang der achtziger Jahre, und ein Jahr lang
durfte, nach Düsseldorfer und Brüsseler Yorbildungs-
zeiten, der dürftige junge Berliner (aus Birnbaum in
Posen!) sich in der Lichtstadt an der Seine den ersehn-
ten malerischen Schliff holen. Er war wirklich nicht
der „Erste-Beste“ und nützte seine Lehrzeit in solchem
Maße aus, daß er als Künstler, mit eigener Phy-
siognomie, nach Deutschland zurückkehrte, um zu-
näclist in München, dann, seit 1887 dauernd in Berlin,
den schweren Kampf aufzunehmen, den ihm das
Schicksal für seine Künstlerlaufbahn bestimmt hatte.
Lesser Ury war der geborene Außenseiter und blieb
es zeitlebens, wohl mehr dank seines nervösen Tem-
peramentes, das ihm den Umgang mit Menschen oft
genug erschwerte, als wegen seiner künstlerischen
Eigenschaften, die ihn befähigt hatten, sich unter die
Eührenden einzureihen. „Führend“ wurde er nicht,
weil ihm die unmittelbare Nachfolge und hierdurch
die belebende Meisterwürde im Anfeuern junger
Talente versagt blieben. Aber ein „Vorläufer“ ist er
geworden und der erste in Deutschland, der die Wege
Manets, aus eigenstem Künstlernaturell heraus, weiter
beschritt. Dabei stieß er zunächst auf geharnischte
und festgefügte Opposition.
Ein zweiter Künstlerausspruch, diesmal in Berlin
gefallen, beleuchtet das in schlaglichthafter Weise.
Wieder legte der junge Ury seine Arbeiten einem
Kunstgewaltigen vor: es war Anton von Werner. „Ich
gebe nichts auf Farbe“, lautete der ablehnende Be-
scheid. Die Farbe, des Malers Ury Urelement, war da-
mals in Deutschland offiziell noch nicht beglaubigt.
Ein Mann wie Böcklin, der sich ihrer vermaß, galt
noch als halber Narr. Und nun kam gar ein so frag-
würdig dreinschauendes jüdisches Männchen, kam
frisch aus Paris und wollte fiir Farbe Propaganda
machen! Ausgerechnet in Preußisch-Berlin! Was wollte
dieser Frechling? Selbst der Führer aller zukunft-
heischenden malerischen Revolutionäre, der kecke
Max Liebermann, steckte noch tief in brauner Soße
und Grau-in-Grau! Wieso denn also — „Farbe“?
Indes Ury ließ nicht locker. Er hätte sich eher um-
bringen können, als von Farbe lassen. Er sah die Welt
nun einraal farbig und nicht anders. Dies war ihm
Naturgesetz. Auch er hat gewiß damals im Tiefsten
schon gefühlt, daß der allgemeine Siegeslauf der Farbe
nicht aufzuhalten war. Der Pvulim kann ihm in diesem
Falle nicht bestritten werden, unter den Ersten und
Vorkämpfern gestanden zu haben. Er war sich dessen
auch bewußt. Denn er war sich bewußt, für seine
Sendung jahrzehntelang gelitten zu haben. Wer ihn
oben in seinem Atelier am Nollendorfplatz besuchte,
in dem er bis zu seinem Tode als eingefleischter Hage-
Selbstporträt Urys, 1881
Besitzer Dr. Karl Schapira, Berlin
stolz unwirtlicli hauste, der wurde den Eindruck eines
lebenslangen Martyriums nicht los. Wie der Eigen-
sinnige, Verbissene sicli in das ungerechte Treiben
dieser Welt niemals als gehorsames Schäflein hat ein-
fiigen mögen, so setzte er geradezu seinen Stolz darein.
sein künstlerisches Schaffen ohne Kompromisse zu be-
treiben. Dafiir abcr muß der Künstler biißen — seit
jeher! Ury konnte davon ein Liedchen singen.
Also Farbe! Das bedeutet zunächst auch Licht. On-
gebrochenes Licht, in dem die Farbe sich auswirkt.
Dies erleben wir vor alleni in Urys Landschaften.
Breit strömt das Licht in sie ein — nicht zitternd und
vibrierend wie bei Monet und gar den Neo-Impressio-
nisten; vielmehr in vollem, ungehemmtem Fluß. Ury
Die Gedenkausstellung
Yon
Franz Servaes
Dr. Franz Servaes gab dem „Kunstroanderer“ die
Genehmigung, das Vorwort zu oeröffentlichen, das er
für den Ury-Katalog der National-Galerie in Berlin
geschrieben hat.
„Vous n’etes pas le premier venn!" sagte der Pariser
Maler Lefebvre zu dem blutjungen Ury, als dieser,
klein und schüchtern, ihm seine Bilder vorwies — mit
der Bitte, daß der vielumworbene Meister ihm gestatte,
als Lernender dessen Atelier besuchen zu dürfen. Das
war zu Anfang der achtziger Jahre, und ein Jahr lang
durfte, nach Düsseldorfer und Brüsseler Yorbildungs-
zeiten, der dürftige junge Berliner (aus Birnbaum in
Posen!) sich in der Lichtstadt an der Seine den ersehn-
ten malerischen Schliff holen. Er war wirklich nicht
der „Erste-Beste“ und nützte seine Lehrzeit in solchem
Maße aus, daß er als Künstler, mit eigener Phy-
siognomie, nach Deutschland zurückkehrte, um zu-
näclist in München, dann, seit 1887 dauernd in Berlin,
den schweren Kampf aufzunehmen, den ihm das
Schicksal für seine Künstlerlaufbahn bestimmt hatte.
Lesser Ury war der geborene Außenseiter und blieb
es zeitlebens, wohl mehr dank seines nervösen Tem-
peramentes, das ihm den Umgang mit Menschen oft
genug erschwerte, als wegen seiner künstlerischen
Eigenschaften, die ihn befähigt hatten, sich unter die
Eührenden einzureihen. „Führend“ wurde er nicht,
weil ihm die unmittelbare Nachfolge und hierdurch
die belebende Meisterwürde im Anfeuern junger
Talente versagt blieben. Aber ein „Vorläufer“ ist er
geworden und der erste in Deutschland, der die Wege
Manets, aus eigenstem Künstlernaturell heraus, weiter
beschritt. Dabei stieß er zunächst auf geharnischte
und festgefügte Opposition.
Ein zweiter Künstlerausspruch, diesmal in Berlin
gefallen, beleuchtet das in schlaglichthafter Weise.
Wieder legte der junge Ury seine Arbeiten einem
Kunstgewaltigen vor: es war Anton von Werner. „Ich
gebe nichts auf Farbe“, lautete der ablehnende Be-
scheid. Die Farbe, des Malers Ury Urelement, war da-
mals in Deutschland offiziell noch nicht beglaubigt.
Ein Mann wie Böcklin, der sich ihrer vermaß, galt
noch als halber Narr. Und nun kam gar ein so frag-
würdig dreinschauendes jüdisches Männchen, kam
frisch aus Paris und wollte fiir Farbe Propaganda
machen! Ausgerechnet in Preußisch-Berlin! Was wollte
dieser Frechling? Selbst der Führer aller zukunft-
heischenden malerischen Revolutionäre, der kecke
Max Liebermann, steckte noch tief in brauner Soße
und Grau-in-Grau! Wieso denn also — „Farbe“?
Indes Ury ließ nicht locker. Er hätte sich eher um-
bringen können, als von Farbe lassen. Er sah die Welt
nun einraal farbig und nicht anders. Dies war ihm
Naturgesetz. Auch er hat gewiß damals im Tiefsten
schon gefühlt, daß der allgemeine Siegeslauf der Farbe
nicht aufzuhalten war. Der Pvulim kann ihm in diesem
Falle nicht bestritten werden, unter den Ersten und
Vorkämpfern gestanden zu haben. Er war sich dessen
auch bewußt. Denn er war sich bewußt, für seine
Sendung jahrzehntelang gelitten zu haben. Wer ihn
oben in seinem Atelier am Nollendorfplatz besuchte,
in dem er bis zu seinem Tode als eingefleischter Hage-
Selbstporträt Urys, 1881
Besitzer Dr. Karl Schapira, Berlin
stolz unwirtlicli hauste, der wurde den Eindruck eines
lebenslangen Martyriums nicht los. Wie der Eigen-
sinnige, Verbissene sicli in das ungerechte Treiben
dieser Welt niemals als gehorsames Schäflein hat ein-
fiigen mögen, so setzte er geradezu seinen Stolz darein.
sein künstlerisches Schaffen ohne Kompromisse zu be-
treiben. Dafiir abcr muß der Künstler biißen — seit
jeher! Ury konnte davon ein Liedchen singen.
Also Farbe! Das bedeutet zunächst auch Licht. On-
gebrochenes Licht, in dem die Farbe sich auswirkt.
Dies erleben wir vor alleni in Urys Landschaften.
Breit strömt das Licht in sie ein — nicht zitternd und
vibrierend wie bei Monet und gar den Neo-Impressio-
nisten; vielmehr in vollem, ungehemmtem Fluß. Ury