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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 13./​14.1931/​32

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Aprilheft
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Leporini, Heinrich: Goethe und die bildende Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.26237#0212

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Goethe und die bildende Kunst

Yon

He inrich Leporini-Wien

Über Goethes Leben iind Schaffen ist schon unend-
lich viel geschrieben worden. Mit Entdeckerfreude ist
jeder neue Fund, wenn es auch nur eine unbedeutende
Notiz von Goethes Hand war, veröffentlicht worden.
In jeden Winkel seines Privatlebens hat man hinein-
geleuchtet. Und trotz allein — ein wesentlicher Teil
seiner Lebensäußerungen erscheint noch immer ni cht
genügend beachtet und erhellt: Sein Yerhältnis zur
bildenden Kunst und vor allem seine künstlerische
Tätigkeit. Goethe selbst hat einmal den Ausspruch
getan, die Beschäftigung mit der bildenden Kunst sei
das Element, in dem er die größte Zufriedenheit seines
Lebens gefunden habe. Tatsächlich hat er sich zeit-
lebens, von seiner Kindheit bis in die letzten Tage
seines Lebens, mit der Kunst beschäftigt, und so er-
scheint Goethes inniges Verhältnis zur bildenden
Kunst als ein wesentliches Moment seiner geistigen
Entwicklung untrennbar mit seiner Persönlichkeit
verbunden.

Es ist nun verwunderlich, wie dieses einen integrie-
renden Teil seines Lebens bildende Kunstverhältnis
Goethes zu seiner Zeit wie auch heute noch verscliie-
denartig, ja geradezu gegensätzlich beurteilt wird.
Die einen preisen Goethes Kunstbegeisterung und
seine Verdienste an dem Aufbau einer neuen Kunst
und Kunstwissenschaft, die andern nennen ihn einen
talentlosen Dilettanten, dem jedes Kunstverständnis
fehlte und der durcli seine einseitig eingestellten klassi-
zistischen Kunsttheorien auf die Kunstentwicklung
seiner Zeit nur hemmend eingewirkt hätte. Nun, dem
Vorwurf eines mangelnden Kunstverständnisses wider-
spricht eigentlich schon Goethes erfolgreiche Tätigkeit
als Kunstsammler. Diese JäBt auch gar nicht die in
seinen Kunstschriften so betonte klassizistische Ein-
stellung erkennen. Der Sammler Goethe bekundet ein
feines Verständnis für Qualität und zeigt für alle
bedeutenden Leistungen ohne Rücksicht auf die Scliul-
richtung Intcresse; in seiner Kupferstichsammlung
sind die deutschen Stecher des 15. und 16. Jahrhun-
derts, vor allem Schongauer und Dürer, die holländi-
schen Radierer Rembrandt, Ostade, Everdingen ebenso
wie die Stecher der italienischen Renaissance vertreten.
Eine erstaunliche Kennerschaft verraten aber beson-
ders die ausgezeichneten BUitter seiner Zeichnungen-
sammlung. Wenn man bcdenkt, wie wenig von den
früher Rembrandt — auch von Kennern wie Hofstede
de Groot — zugeschriebenen Zeichnungen heute noch
als solche. anerkannt werden, so erscheint es erstaun-
lich, daß von den neun Rembrandtzeichnungen in der
Goethesammlung lieute noch sieben als solchc gelten.

Was nun die kiinstlerische Tätigkeit anbelangt, die
sich, von einigen Radierversuchen abgesehen, in der
Hauptsache auf die Zeichenkunst beschränkt, so hat

sicli Goethe, in seiner Selbsterkenntnis schwankend,
selbst oft widersprechend darüber geäußert. Bald fühlt
er sich zum Künstler berufen, bald meint cr wieder,
daß ihm dazu das Talent fehle. So schreibt er aus
l'talien am 25. Februar 1788: „Von meinem langen
Aufenthalt in Rom werde ich den Vorteil haben, daß
ich auf das Ausüben der bildenden Künst Verzicht
tue.“ Und bald darauf am 27. März an den Herzog
Garl August: „Ich darf wolil sagen, icli habe mich in
dieser anderthalbjährigen Einsamkeit wiedergefunden,
aber als was? — als Künstler! Was ich sonst bin, wer-
den Sie beurteilen und nutzen.“ Daß Goethes zcich-
nerische Betätigung mit Eifer betrieben wurde und
melir bedeutete als dilettantischer Zeitvertreib, erhellt
schon aus der großen Zahl der noch erhaltenen Arbei-
ten seiner Hand, die auf melir als 5000 geschätzt wird.
Di ese Zeichnungen des großen Dichters sind nicht
ganz unbeachtet geblieben, wenn man sich bisher aueli
nicht viel damit beschäftigt hat, aber zu einer bedeu-
tend erhöhten Wertung gelangen sie in einem der
neuen Goethebücher, in dem Werk von Federmann:
„Goethe als Künstler“. Mit schwärmerischer Begeiste-
rung, aber niclit ohne Grund jubilierend, verkündet
der Verfasser die Offenbarung von Goethes bisher
unbeachtet gebliebenem Künstlertum. Indem er einc
Reihe qualitätvoller Zeichnungen vorfiihrt, versucht
Federmann den Dichter auch als bedeutenden selb-
ständigen Künstler in die deutsche Kunstgeschichte
einzuführen, als den Begründer einer neuen Land-
schaftskunst, als einen Künstler, der seiner Zeit vor-
auseilend schon als Vorläufer des Impressionismus zu
betrachten sei. Tatsächlich gibt es manche Zeichnung
Goethes, die eine für ihre Zeit ungewöhnliche Auf-
fassung verrät und an den Stil späterer Zeit und Ar-
beiten von Künstlern wie Hans Thoma oder Kubin
anklingt. Nun, es kommt nicht gerade darauf an,
Goethe einen Platz in der Kunstgeschichte anzuweisen,
und es biklet wohl auch nicht eine besonders anspre-
chende Aufgabc, diese überragende Persönlichkeit
kunstgeschichtlich in das nicht allzu glanzvolle Kapitel
deutscher Kunstgeschichte seiner Zeit einzuordnen
und einem Kreis mittelmäßiger Künstler einzureihen.
So blieb auch dieser Belang den Literaturhistorikern
überlassen, die auch nicht viel damit anzufangen wuß-
ten. Nun, das Schwergewicht von Goethes Schaffen
liegt ja in seinen dichterischen Leistungen, und alles
andere, was er erlebt, erforscht und geschaffen hat,
bildet in der Hauptsache eine Bereicherung seiner Per-
sönlichkeit und dichterischen Schöpfungskraft. So
finden wir auch den eigentlichen Niederschlag seiner
Kunststudien in Italien in den Dichtungen dieser und
der folgenden Zeit, in der klassischen Formvollendung
 
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