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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 13./​14.1931/​32

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Januarheft
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Hildebrandt, Hans: Die Stuttgarter Staatsgalerie
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https://doi.org/10.11588/diglit.26237#0136

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Die Stuttgarter Staatsgalerie

Yon

Hans Hildebrandt-Stuttgart

Das Stuttgarter Museum der Biidenden Künste ist
dureh den aus Breslau berufenen Direktor Heinz
Braune einer so durchgreifenden Neuordnung und
Ausgestaltung unterzogen worden, daß die Zuteilung
eines neuen Namens — „Staatsgalerie“ — durchaus
gerechtfertigt erscheint. Die binnen Jahresfrist bewäl-
tigte Refonnarbeit war unaufschiebbar und dringendes
Gebot. Zunächst galt es, zur Sicherung der wertvollen
Bestände das 1847 errichtete, später durch An- und
Einbauten erweiterte, schlecht beheizte und teilweise
recht mangelhaft belichtete Gebäude dem neuen
Wissen und der neuen Praxis des Museumswesens an-
zupassen — eine Aufgabe, die Braune als ein aus der
Schule der Münchener Pinakotheken hervorgegan-
gener, bewährter Fachmann vorzüglich löste. Zweite
Sorge war die Beschaffung genügenden Raumes, um
viele Werke wieder einbeziehen zu können, die viel zu
gut waren, um ihr Dasein in Magazinen zu fristen,
oder die als Leihgaben — darunter sogar zwei Gemälde
von jordaens — an Amtsstuben abgegeben worden
Avaren. Da weder ein Neubau nocli ein umfassenderer
Anbau unter den heutigen Lerhältnissen in Frage
kamen, verpflanzte Braune in das ehemalige Kron-
prinzenpalais das Graphische Kabinett, die Skulp-
turensammlung, die Yerwaltungsräume sowie die
zwischen 1850 und heute in Württemberg entstandenen
oder von württembergischen Künstlern gemalten Bil-
der. Die Schaffung einer solchen modernen schwä-
bischen Galerie entlastete freilich das Hauptmuseum
in erheblichem Grade, beseitigt aber die erwünschte
und aufschlußreiche unmittelbare Vergleichung der
neuen schwäbischen mit der neuen reichsdeutschen
und internationalen Kunst.

Alle diese Maßnahmen gewannen im alten Museums-
bau genügend Platz fiir die Staatsgalerie, die außer der
Gemäldesammlung nur noch einen Ehrensaal fiir den
Bildhauer Heinrich Dannecker enthält, den weit iiber
Wiirttembergs Grenzen hinaus einflußreichen, fiihren-
den Künstler des schwäbischen Klassizismus.

Als bedeutsamste Neuerung kennzeichnet sich die
Auf'hebung der früheren Zweiteilung in eine Alte und
eine Neue Abteilung. Die Säle konnten nach Ausschei-
dung des Graphischen Kabinetts zu einem Rundgang
zusammengeschlossen werden, in den sich nur ein
Flügel nicht einbeziehen ließ. In diesen legte Braune
die von Anbeginn nicht systematisch gesammelten,
viel Mittelgut neben einzelnen ausgezeichneten Wer-
ken bergenden Bestände niederländischer und vlämi-
scher, italienischer, französischer, englischer und spa-
nischer Malerei bis zum Ende des 18. Jahrhunderts.
Der Rundgang hingegen leitet im Bereiche deutscher
und vorab schwäbischer Malerei vom Mittelalter durcli
die Jahrhunderte bis zur Gegenwart, im Wandel der

Anschauungen und Darstellungsweisen zugleich die
Folgerichtigkeit der Entwicklung vor Augen führend.

Hier begegnet der Besucher denn auch zweimal dem
Ergebnis einer systematischen, durch die Neuordnung
erst ins reclite Licht gerückten Sammeltätigkeit: Das
eine Mal gegenüber dem Schaffen süddeutsch-schwä-
bischer Malerei in Mittelalter und Renaissance, das
andere Mal gegentiber der Kunst in den Tagen des
Klassizismus. Die Kulturen beider Perioden stehen in
keinem inneren Zusammenhang. Dort handelt es sicli
um den kiinstlerischen Ausdruck des schwäbischen
Stammes, der, den Alemannen der Schweiz, Ober-
badens und des Oberelsaß verwandt, vom Bodensee
iiber die Schwäbische Alb nach Ulm und über die
Grenzen des heutigen Wiirttemberg hinaus bis in die
Gegend von Augsburg reichte, ohne dieses selbst sicli
beizählen zu können — hier um die durch die Griin-
dung der Akademie in der Spätzeit des 18. Jahrhun-
derts hervorgerufene Kunstblüte in Stuttgart, das in
jener frühen Zeit überhaupt noch keine Rolle als
Kunstzentrum gespielt liatte.

Die Einzigartigkeit der Staatsgalerie, deren zeit-
genössische Abteilung noch viele Wiinsche offen läßt,
ruht auf diesen Werken alter schwäbischer und neuer
Stuttgarter Malerei. Ihnen dankt es die Stuttgarter
Staatsgalerie, wenn sie sicli zwar niclit als Ebenbür-
tige neben die ersten Galerien altberühmter Kunst-
mittelpunkte Deutschlands stellen kann, wohl aber
einen ehrenvollen Rang an eigener Stelle zu behaupten
vermag. Ihnen wird aucli die Hauptanteilnahme des
Fremden gelten, der sich freuen wird, an einer der
schönstgelegenen und selbst heute noch auf'strebenden
Städte des Reiclis in einem wohlgeordneten Museum
manche Schätze zu finden, die er anderswo vergebens
suchen würde. Darum seien diesen Werken noch ein
paar besondere Worte gegönnt.

Allererste Namen hat die Schwäbische Malschule
nicht aufzuweisen. Aber docli manchen Meister, ohne
dessen Werke das Bild der deutschen Kunst minder
reich an ecliten Eigenwerten wäre, und den man
niemals missen möchte. Wie die Scliule jedes anderen
Stammes hat auch die schwäbische ihren besonderen
Charakter, dessen Gemeinschaftsmerkmale wie stets
deutlicher an den Durchschnittsnaturen als an den
überragenden Persönlichkeiten zu verfolgen sind.
Solche Gemeinschaftsmerkmale sind: Wirklichkeits-
sinn, der dem Traumhaften, Jenseitigen ausweicht und
sich nicht selten bis zu offenkundiger Derbheit stei-
gert; Hinneigung zur Ausdrucksseite der Malerei statt
zur Formalseite; Yolkstümlichkeit, oft mit starkem
Gefiihl, nicht selten mit Llumor; mäßige Begabung
für die absoluten Werte des Bildgestaltens, aber viel
Begabung fiir Auffindung der in der Natur verbor-
 
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