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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 13./​14.1931/​32

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Septemberheft
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Schmidt, Paul Ferdinand: Graphische Formen alter Schiffe
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https://doi.org/10.11588/diglit.26237#0026

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Graphische Formen alter Schiffe

Yon

Paul F. Schmidt

Den Entwicklungsweg der Schiffsformen l)is zu
unsern Ozeanriesen zu verfolgen, bietet einen großen
Reiz wegen der äußerst vielfältigen Wandlungen,
denen die Urgestalt des ausgehöhlten Baumstamms im
Kampfe zwischen Zweck und Stilgefühl unterworfen
worden ist*).

Können wir uns die Nilbarken der Ägypter, von
denen wir ja präzise Abbildungen besitzen, die meer-
befahrenden Fahrzeuge des Minos, der jonier und
Phöniker nicht einfach genug denken, fast in der Ge-
stalt, die noch heute bei Südsee-Insulanern iiblich ist,
sind die Dreiruderer der Römer und Karthager im
ganzen nur vergrößerte und durch ihren Kriegszweck
komplizierte Fortsetzungen dieser kleincn Segelboote
mit aufgeschweiften Spitzen, so ändert sich die Kon-
struktion mit dem nordischen Mittelalter gründlich.

Das Ftinüberwechseln der Seefahrernationen vom
Mittehneer zur Nord- und Ostsee mag daran bedeu-
tenden Anteil haben. Man konnte sich in dem raulieren
Klima nicht mehr mit den offenen Schaluppen der
Griechen begnügen, man mußte sich durch hausähn-
liche Aufbauten und geschlossenes Deck gegen das
Ungestüme von Wind, Wogen und Kälte sichern. So
stieg die Überwasserkonstruktion der Schiffe, die an
Umfang keineswegs viel gegen die Antike gewannen,
hoch empor, man kam zu der Norm der beiden ge-
waltigen Aufbauten an ßugsprit und Heck, die ein
halbes Jahrhundert beibehalten wurden und erst
gegen Ende des 18. Jahrhunderts verschwunden sind,
und zu der Notwendigkeit von zwei bis drei Masten
mit ihrer unentwirrbaren Beigabe von Takelage,
Strickleitern, Rahen, Segeln und Wimpeln.

Den iiberaus malerischen Anblick dieser kleinen
aber stolzen Meerungetüme zeigt in ausgebildeter
Form schon ein Holzschnitt von 1521, der durch eine

*) Eine kleine Aiisstellung yorzüglicher Graphiken des 16. bis
19. Jahrhunderts in der Kunstabteilung des Warenhauses Wert-
heim am Leipziger Platz bot dazu die unmittelbare Yeranlassung.

technisehe Kuriosität bemerkenswert ist. Anßer der
üblichen Segelbestückung erblickt man hier nämlich
am Heck ein Schaufelrad, das offenbar im Innern
durch eine zeitgemäße Tretmühle von Galeerensklaven
angetrieben wurde; wahrscheinlich die erste Aiideu-
tung eines Iladdampfers, die als eine überflüssige und
wenig zweckdienliche Tautologie kaurn je ernstlich in
die Praxis übernommen worden ist. Die graphische
Schönheit des Blattes, das ganz auf netzartiger Ver-
teilung gleich starker Finien beruht, und die voll-
kommene Ausbildung der Schiffsgestalt, die man
eigentlich sclion als barock bezeichnen kann, ist weit-
aus interessanter.

Denn wenn wir nun die im Renaissancesinne voll-
gültige Realistik der AViedergabe betrachten, wie sie
bei den prachtvollen Kupferstichen Pieter Brueghels

von 1565 herrscht, so ist der Eindruck nach jeder Ricli-
tung der eines ausgereiften Barock. Das gilt ebenso
für die starke und eigenwillige Fonn des Kupferstichs
mit seinem hochbewegten Wechsel von Dunkel und
Licht, von bauschigen, gespitzten und plastisch ver-
tieften Formen, von realistischer Perspektive und
kiihner Unwirklichkeit (z. B. in der Phantastik von
Uferfelsen, in der Beigabe unzugehöriger Legenden,
wie der von Dädalus) — wie für die exakt geschil-
derte Wirklichkeit der kaiserlichen Kriegs- und Ka-
perschiffe. Die vielgeschossigen, turmhohen Aufbauten,
zwischen denen sich die tiefe Schlucht des eigentlichen
Schiffsdecks auftut, die ungeheuerliche Wirkung des
Windes in den märchenhaft geblähten Segeln und wild
ausfahrenden Wimpeln, die Monstra der hundertfach
umsponnenen und bewehrten Masten künden von dem
unbedingt Abenteuerlichen der damaligen Seefahrt,
das sich naiv und sinnbildhaft in all diesen umständ-
lichen Machinationen kundtut. Unser Gefühl gegen-
über diesen dick mit Kanonen gespickten, von Meer-
ungeheuern umschwärmten Phantomen ist nicht an-
ders als bei der Raumverschwendung und Dekorations-

Debucourt: Der erste Dampfer Charles Philippe
Farbiges Aquatintablatt von 1816

Wertheim / Das Biblographikon / Ausstellung Alte Schiffe
 
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