Heute gehört schon ein wenig Betrieb dazu, um sich
in den Yordergrund zu bringen. Es empfiehlt sich
außerdem, sich ein wenig zu spezialisieren, urn Kritik
und Publikum den Überblick zll erleichtern, yollends
in einem Land und einer Zeit mit so dürftig ent-
wickeltem Kunstverständnis und so abgestumpfter
psychologischer Witterung. Andere Länder und Zeiten
hätten an einer solchen universalen Weibesnatur ihre
lielle Freude gehabt. Es ist seltsam, aber bezeichnend,
festzustellen, daß sie vielfach verwirrte, anstieß und
ärgerte. Sie war eine seltene, in aller Kultiviertheit
dämonische Farbenbegabung, tief geordnet und nobel
durchgeistigt, aber nicht intellektualisiert und spe-
zialisiert, sondern ebensoviel Interesse zeigte sie für
ihr Kind, fiir ihre Wohnung, für die letzten Fragen
des Lebens, für die ungemalten und unmalbaren
Dinge, die ihr begegneten und sie entzückten. Sie war
eine umfassende, geniale Frauenseele, die unter an-
derm auch wunderbar malte, und deshalb nicht zu
„machen“, nicht zu merkantilisieren, ein großmütiger,
stolzer Luxus, den die Natur sich leistete. Sie war un-
überblickbar reich und überlegen, wieder ein Grund,
wenig wirkliche Freunde zu liaben, voll blendender,
beglückender Schönheit und Tragik, denn bei all dem
erlebten wir sie so unverspielt, so ohne alle verbind-
liche Tändelei und Liebelei, daß jeden Moment immer
gleich der volle Ernst dastand; die einzige Fläclie, die
sie vor sich undurchbrochen bestelien ließ, war die
Leinwand, und auch nur deshalb, weil sie auf ihr mit
anderen Mitteln ihre diesseitig-jenseitige Yollnatur
ausdriicken konnte. Der rArt-pour-l’Art-Standpunkt
war ihr etwas Unverstandliches, und Kuben, Schnitte
und Prinzipien zu malen, hatte für sie keinen Sinn.
Sie begriff schließlich, daß man einen Menschen um
seiner selbst willen auf der Leinwand darstellen
konnte, sie aber mußte eine innere, geheimnisvolle
Beziehung, einen übersinnlichen Kontakt mit ihm oder
dem Blumenstrauß oder der Landschaft haben, um
gut zu malen.
Das erscheint auf den ersten Blick spezifisch weib-
lich, aber nur diesem blutarmen Zeitalter kann es so
vorkommen. Rembrandt hat auch nicht anders gemalt.
Kein großer Künstler hat jernals anders gestaltet. Def
Künstler, in dessen Werk außer der vollgetroffenen
Wirklichkeit noch jenes Unfaßbare erscheint, das wir
das .Hintergründige nennen, ist und bleibt ein größerer
Wurf als der andere, der nur „richtig“ malt oder
dichtet, und das, weil er zum Gleichnis vordringt.
Man kann dabei ins Leere hinausgeraten, aber Maria
Slavona ist jeden Moment ihres Daseins unabtreibbar
dicht am menschlichen Tatsächlichen geblieben, und
noch die okkulten Tastversuche der letzten Zeit, ilire
astrologischen Fühlungen und mystischen Ahnungen
hat sie mit heißem, blutvollem Leben erfüllt. In der
gleichen Zeit gewannen ilire Bilder inimer noch an
wirklicher Überwirklichkeit und überirdischer Erden-
treue und Erdenschönheit.
Denn in diesem Leben, das nicht das Leben einer
Naturalistin war, hat es nie eine Häßlichkeit gegeben,
so wenig wie es eine Liige gab. Die Wahrheit und
die Schönheit haben sich darin vollkommen durch-
drungen.
Rundsclieibe
Aus dem Kreis des Hausbuchmeisters um 1480
Aus dem Nachlafi Johannes Noll
Yersteigernng bei Hugo Helbing, Frankfurt a. M.
am 1., 2. und 3. Dezember 1951
66
in den Yordergrund zu bringen. Es empfiehlt sich
außerdem, sich ein wenig zu spezialisieren, urn Kritik
und Publikum den Überblick zll erleichtern, yollends
in einem Land und einer Zeit mit so dürftig ent-
wickeltem Kunstverständnis und so abgestumpfter
psychologischer Witterung. Andere Länder und Zeiten
hätten an einer solchen universalen Weibesnatur ihre
lielle Freude gehabt. Es ist seltsam, aber bezeichnend,
festzustellen, daß sie vielfach verwirrte, anstieß und
ärgerte. Sie war eine seltene, in aller Kultiviertheit
dämonische Farbenbegabung, tief geordnet und nobel
durchgeistigt, aber nicht intellektualisiert und spe-
zialisiert, sondern ebensoviel Interesse zeigte sie für
ihr Kind, fiir ihre Wohnung, für die letzten Fragen
des Lebens, für die ungemalten und unmalbaren
Dinge, die ihr begegneten und sie entzückten. Sie war
eine umfassende, geniale Frauenseele, die unter an-
derm auch wunderbar malte, und deshalb nicht zu
„machen“, nicht zu merkantilisieren, ein großmütiger,
stolzer Luxus, den die Natur sich leistete. Sie war un-
überblickbar reich und überlegen, wieder ein Grund,
wenig wirkliche Freunde zu liaben, voll blendender,
beglückender Schönheit und Tragik, denn bei all dem
erlebten wir sie so unverspielt, so ohne alle verbind-
liche Tändelei und Liebelei, daß jeden Moment immer
gleich der volle Ernst dastand; die einzige Fläclie, die
sie vor sich undurchbrochen bestelien ließ, war die
Leinwand, und auch nur deshalb, weil sie auf ihr mit
anderen Mitteln ihre diesseitig-jenseitige Yollnatur
ausdriicken konnte. Der rArt-pour-l’Art-Standpunkt
war ihr etwas Unverstandliches, und Kuben, Schnitte
und Prinzipien zu malen, hatte für sie keinen Sinn.
Sie begriff schließlich, daß man einen Menschen um
seiner selbst willen auf der Leinwand darstellen
konnte, sie aber mußte eine innere, geheimnisvolle
Beziehung, einen übersinnlichen Kontakt mit ihm oder
dem Blumenstrauß oder der Landschaft haben, um
gut zu malen.
Das erscheint auf den ersten Blick spezifisch weib-
lich, aber nur diesem blutarmen Zeitalter kann es so
vorkommen. Rembrandt hat auch nicht anders gemalt.
Kein großer Künstler hat jernals anders gestaltet. Def
Künstler, in dessen Werk außer der vollgetroffenen
Wirklichkeit noch jenes Unfaßbare erscheint, das wir
das .Hintergründige nennen, ist und bleibt ein größerer
Wurf als der andere, der nur „richtig“ malt oder
dichtet, und das, weil er zum Gleichnis vordringt.
Man kann dabei ins Leere hinausgeraten, aber Maria
Slavona ist jeden Moment ihres Daseins unabtreibbar
dicht am menschlichen Tatsächlichen geblieben, und
noch die okkulten Tastversuche der letzten Zeit, ilire
astrologischen Fühlungen und mystischen Ahnungen
hat sie mit heißem, blutvollem Leben erfüllt. In der
gleichen Zeit gewannen ilire Bilder inimer noch an
wirklicher Überwirklichkeit und überirdischer Erden-
treue und Erdenschönheit.
Denn in diesem Leben, das nicht das Leben einer
Naturalistin war, hat es nie eine Häßlichkeit gegeben,
so wenig wie es eine Liige gab. Die Wahrheit und
die Schönheit haben sich darin vollkommen durch-
drungen.
Rundsclieibe
Aus dem Kreis des Hausbuchmeisters um 1480
Aus dem Nachlafi Johannes Noll
Yersteigernng bei Hugo Helbing, Frankfurt a. M.
am 1., 2. und 3. Dezember 1951
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