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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 13./​14.1931/​32

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Februarheft
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Swarzenski, Hanns: Die große französische Ausstellung in London
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https://doi.org/10.11588/diglit.26237#0169

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historiee zu sehen. die 1604 in den Besitz des per-
sischen Königs kani und in die sich hente die Mor-
gan Library, die Bibliotheque Nationale und Mr.
Cockerell teilen. DaB aber der „Psautier de St. Louis“,
das bedeutendste und vollkommenste Werk der Pari-
ser Buchmalerei fehlte, eiu Werk, nach dem man den
Stil zu nennen pflegt, der das gesamte damalige
Luropa zu beherrschen vermochte, ist besonders un-
verständlich, da das Fitz William Museum sich seit
einigen Jahren als sein glücklicher Besitzer rühmen
darf. (Wie gut hätte er auf dem Platz des sowieso
nicht hierher g'ehörigen, sicherlieh deutschen Psalter
von Bonmont liegen können.)

Macht man sich klar, welchen Aspekt die Yereini-
gung all dieser Werke eröffnet, von denen wir zwei
herrliche Kapitelle der Kathedrale und Daurade von
loulouse, die zwei Reimser Köpfe der Sammlung Pol
Nevoux und das Parament von Narbonne noch nicht
einmal genannt haben, so empfindet man den großen
Abstand zu den Werken der anschließenden Tafel-
malerei (15. und 16. Jahrhundert) besonders stark.
Daß seit der großen Ausstellung irn Jahre 1904 unsre
Yorstellung der französischen Primitiven niclit wesent-
lich erweitert wurde, ist wohl kein Zufall. Mit Aus-
rmhme Fouquets, aus dessen engstem Kreis eine bisher
unbekannte Beweinung aus Nouans gezeigt wurde,
muß man, ohne dadurch die Qualitäten der einzelnen
Meister zu verkennen, feststellen, daß in Frankreich
eine der großen deutschen uncl niederländischen ver-
gleichbare Tafelmalerei fehlt. Anders liegt allerdings
die Situation bei den Meistern der debuts du realisme
aus dem Anfang des Jahrhunderts. Aber die Berry
Miniaturen in Chantilly fehlten uncl Brooderlams Art
war anstatt durch die Dijoner Tafel eigentlich nur
d u rch das kleine Diptychon der Sammlung van der Bergh
vertreten. Eindrucksvoll ist es, daß man den Altar von
Aix mit seinen in Brüssel, Richmond und Amsterdam
verstreuten Flügel sehen kann, und von Fouquet außer
den beiden Porträtzeichnungen, den zahlreichen Minia-
turen (Antiquitates Josefi u. a.) auch den Charles VII.
des Louvre und das Diptychon des Etienne Che-
valier, in das sich die Museen von Berlin und Ant-
werpen teilen. Der große Flügelaltar des nach ihm
benannten Maitre de Moulins hängt jetzt inmitten der
andren sehr schönen Werke dieses Künstlers aus
Autun, Glasgow und Chikago. Aber trotz all dieser
Zusammenstellungen und Vereinigungen wird unsere
sehr fragmentarische Kenntnis der französischen
Malerei wenig erweitert, und ein Vergleich der drei
einzigen signierten Jean Clouets (Wien, Richmond,
l.ouvre) läßt das wenige, was die Forschung iiber das
inanieristische Porträt (Corneille de Lyon u. a.) heute
zu wlssen glaubt, nur noch problematischer erschei-
nen. — Der eine der genannten Clouets, der lebens-
große Charles IX. hängt schon in dem folgenden
Raum, in dem neben dem Caravaggio ähnlichen
De La Tour und den Brüdern Le Nain (Schmiede des
Reimser Museiims) die ersten Poussins der Ausstellung,

die ausdrucksstarke, frühe Grablegung (Dublin) und
die Münchner Beweinung zu sehen sind. Es folgen die
großen Landschaften Claudes und die Historien Pous-
sins. Unvergeßlich sind vor allem seine „Cendres de
Phocion“ und die zwei Bilder in Longford Castle; von
Claude das wahrhaft zeitlose „Enchanted Castle“ und
die beiden Pendants des Duke of Westminster. Dazwi-
schen hängen die großen repräsentativen höfischen Por-
träts, vor allem der lebensgroße Kardinal Richelieu des
Ph. de Champaigne aus Buckingham Palace. Wie liier
Poussins „Inspiration du Poete“ als Symbol und bild-
gewordenes Programm dieser „klassischen Epoche, die
sonst überall in Europa als „Barock“ verstanden sein
will, im Mittelpunkt des Saales hängt, so beherrscht der
„Gilles“, die reinste Inkarnatiön des 18. Jahrh., den fol-
genden Raum. Man begreift angesichts dieses Bildes
nicht, wie die französische Akademie Watteau den Vor-
wurf machen konnte, er sei unfähig gewesen, Bilder
größeren Maßstabs zu malen. Über zwei große Säle
breitet sich diese einzigartige und reiche Malerei des
18. Jahrh. aus. Hervorgehoben seien die Watteaus und
die Mlle. Camargo von Lancret (jetzt bei Mellon) aus
dem Neuen Palais in Potsdam. Ihr Verkauf gehört zu
den schmerzlichsten Verlusten des deutschen nationa-
len Kunstbesitzes. Ferner das große „Dejeuner de
Chasse“ von Troy, Fragonards geniale Skizze des
l’Abbe de Saint-Non und „le Taureau" (David-Weill),
von Chardin die Petite fille au Volant (Ph. de Roth-
schild) und der Hase in Stockholm und schließlich von
Roucher das Porträt der Pompadour (M. de Roth-
schild). — David, I ngres, Delacroix bilden die großen
Akzente in den folgenden drei Räumen. Um sie herum
entfaltet sicli scheinbar zwang- und regellos der ganze
Reichtum der französischen Malerei der letzten zwei-
hundert Jahre. Zwischen Fragonard, Greuze, Hubert
Robert und Corot sieht man die Madame Ingres und
Gerards Madame Recamier. Die Eltern Manets (E.
Pvouart), Delacroix und Renoir hängen neben Ingres
i iesigemAltar in Autun, und an der gegenüberliegenden
Wand sieht man in der Nachbarschaft von Degas und
Cezanne das große Reiterbild Davids aus Scldoß Willa-
now bei Warschau, den man doch schon zwei Räume
vorher angetroffen, dort hinreichend bewundert und
— erledigt zn haben wähnte. Dies Prinzip der stän-
digen, durch drei große Säle sich hinziehenden Wie-
derkehr derselben Künstler hat das Publikum, das
mehr nach dem Malernamen als nacli der Malerei
schaut und gewohnt ist, ordentlich einen Meister nach
dem andren abzuschreiten, anfänglich in Verwirrung
und Ärger versetzt. Der unvoreingenommene Betrach-
ter erkennt aber bald den Sinn und die überlegene In-
(elligenz dieser AufsteUung, die in geringerem Maße
auch in den anderen Sälen durchgeführt ist. Fast un-
merklich und ohne doktrinäre Aufdringlichkeit erlebt
er das, was die Ausstellung zeigen wollte: Die Einheit-
lichkeit und innere Verbnndenheit der gesamten fran-
zösischen Kunst.
 
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