Sie haben nicht nur die Schrägansicht und die Grup-
penbildung bei ihren Vollplastiken und Reliefs ein-
gefiihrt, sondern auch die Perspektive entdeckt und
so die Grundlage geschaffen, auf der dann die Maler
des ausgehenden Mittelalters das Problem der Per-
spektive mit mathematischer Präzision gelöst haben.
Wir alle haben durch sie perspektivisch sehen gelernt
und sind so dem Kubismus in der bildenden Kunst
entwachsen.
Nur in der Baukunst folgen wir noch Iieute unbe-
wußt dem kubistischen Prinzip, projizieren unser
rechteckiges und würfelförmiges Raumschema, das
wahrscheinlich auf dem Ban unseres Knochengeriistes
beruht, in unsere Häuser und Innenräume, auf unsere
Tische, Stiihle und Schränke. Sonst wäre es ja ganz
unerfindlich, weshalb man die Häuser, Zirnmer und
Möbel nicht schief und krumm macht, Avas jedoch nur
ausnahmsweise und notgedrungen geschieht, wenn
äußere Hindernisse oder primitive Ungeschicklichkeit
der Baumeister und Handwerker die volle Ausfüllung
des Raumschemas stören, wie der regelmäßige Auf-
bau eines Kristalls nach seinem immanenten Raum-
schema nur durch äußere Einflüsse gestört wird.
In der Baukunst sind auch die Griechen wesentlich
dem kubistischen Raumschema gefolgt. Auch für sie
war der Zwang des Materials bestimmend, und zwar
der des nordischen ITolzbaus. Die nordischen Wander-
völker, die die griechische Kultur auf den Trlimmern
der altmittelländischen errichteten, brachten in ihre
neue ITeimat den Typ des nordischen Antenhauses
mit, der sich in Deutschland bis in die jüngere Stein-
zeit zurückverfolgen läßt und in dem bronzezeitlichen
Dorfe von Buch bei Berlin oder in den Häusern der
sogenannten Römerschanze bei Potsdam deutlich vor
uns steht. In Stein übersetzt, wurde daraus das Plerren-
haus der mykenischen Paläste, später der griechische
und römischeTempel, bei dem dieHolzarchitektur noch
deutlich durchschimmert. Von den uralten mittel-
ländischen Bauformen der Rundhütte und des tonnen-
gewölbten Langsaales haben die Griechen nur die
erstere gelegentlich benutzt, und auch nur für be-
stimmte sakrale, das heißt altertümliche Bauten wie
das sogenannte Schatzhaus des Atreus in Mykene, ein
unterirdisches Königsgrab (mit falschem Glocken-
gewölbe) und ftir Tempel uralter mittelländischer
Kulte, die sie übernahmen, wie das Asklepiosheiligtum
in Epidauros (mit spitzem Dach nach Art der Holz-
konstruktion). Auch die Kanellierungen und Kapitelle
ihrer Säulen sind durch die Rohrbündel des uralten
mittelländischen Schilfbaus bedingt. Tonnengewölbte
Torbögen und Durchgänge finden sich dagegen erst
in hellenistischer Zeit.
Erst die Römer, die von den Etruskern, einem alt-
mittelländischen Volke, den Bogenschnitt lernten und
ihn zunächst auch nur bei Gräbern sowie bei Nutz-
bauten (Kloaken, Wasserleitungen, Brücken, Unter-
kellerungen) verwendeten, haben den Gewölbebau in
immer stärkerem Maße zum Bauprinzip erhoben und
damit das kubistische Raumschema gelockert. Sie
haben ihn niclit nur bei ihren glockengewölbten
Rundbauten (Pantheon in Rom, die beiden neuent-
deckten Rundtempel in Pergamon) und ihren halb-
rund gewölbten Apsiden verwendet, sondern aucli bei
ihren Langbauten (Domitianspalast und Konstantins-
basilika in Rom, Thermenbauten), und sie haben
damit das Vorbild für die christliche Baukunst des
Mittelalters gegeben. Schon in der frühchristlichen
Baukunst des Orients gatten sich beide Bauformen,
die des tonnengewölbten Langbaus und des Rundbaus
mit Glockenkuppel; die Peterskirche in Rom, die das
Pantheon auf die Konstantinsbasilika türmte, ist die
letzte Vollendung dieses Bantyps.
Das Mittelalter hatte inzwischen im gotischen
Spitzbogen noch eine — ebcnfalls rein konstruktive
Abart des Gewölbebaus hinzugefügt, die das kubi-
siische Raumschema noch mehr auflockerte, aber
diese Bauform wurde seit der Renaissance wieder
preisgegeben, außer bei neugotischen Nachahmungen.
Auch die moderne Eisenkonstruktion f'olgt in ihren
Bogenstellungen und Wölbungen denen des römischen
rundbogigen Gewölbebaus.
Im Gegensatz zur Gotik hat der romanische Stil,
der ihr voranging, das kubistische Raumschema noch
einmal betont. Er verwendet zwar aucli Vierungs-
kuppeln und halbrunde Apsiden mit Halbkuppeln,
runde Fensterrosen und rundbogige Portale und Fen-
ster, doch davon abgesehen zeigt er, besonders im
Außenbau, aber aucli in seinen flachgedeckten Kir-
chenschiffen, einen durchaus kubistischen Aufbau des
Baukörpers; selbst seine achtseitigen Türme sind nur
eine mathematische Verdoppelung des Würfels. Ganz
Deutschland ist voll von Beispielen dieses Stils. Am
stärksten hat mich stets der Kubismus der hohenstau-
fischen Palastkapelle in Nürnberg beeindruckt, zwei
übereinandergetürmte Würfel (Unter- und Ober-
kapelle), die von je vier Säulen getragen werden; ihr
eng verwandt ist die Doppelkapelle der hohenstaufi-
schen Kaiserpfalz in Eger, obwold hier die Ober-
kapelle (um 1300) schon frühgotische Spitzbogen hat.
Wir haben eine lange Entwicklung durchlaufen, der
stets zwei Raumschemen zugrunde liegen: die mathe-
matischen Grade und deL' Kubus einerseits, der Kreis
und die Kugel (oder ein Segment beider) andererseits.
Beide sind sowohl mathematisch, das heißt geistig wie
praktisch (durch das Material) bedingt, aber für die
überwiegende Masse der Bauten ist das kubistische
Schema stets vorherrschend gewesen und geblieben.
Eiir die Möbel gilt das gleiche; auch hier behauptet
die rechteckige und würfelförmige Gestalt, trotz der
bösen Kanten, an denen man sich stößt, den Vorrang,
während die runde oder ovale Form selten ist. Nur
eine fonnauslösende und abschleifende Zeit wie das
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penbildung bei ihren Vollplastiken und Reliefs ein-
gefiihrt, sondern auch die Perspektive entdeckt und
so die Grundlage geschaffen, auf der dann die Maler
des ausgehenden Mittelalters das Problem der Per-
spektive mit mathematischer Präzision gelöst haben.
Wir alle haben durch sie perspektivisch sehen gelernt
und sind so dem Kubismus in der bildenden Kunst
entwachsen.
Nur in der Baukunst folgen wir noch Iieute unbe-
wußt dem kubistischen Prinzip, projizieren unser
rechteckiges und würfelförmiges Raumschema, das
wahrscheinlich auf dem Ban unseres Knochengeriistes
beruht, in unsere Häuser und Innenräume, auf unsere
Tische, Stiihle und Schränke. Sonst wäre es ja ganz
unerfindlich, weshalb man die Häuser, Zirnmer und
Möbel nicht schief und krumm macht, Avas jedoch nur
ausnahmsweise und notgedrungen geschieht, wenn
äußere Hindernisse oder primitive Ungeschicklichkeit
der Baumeister und Handwerker die volle Ausfüllung
des Raumschemas stören, wie der regelmäßige Auf-
bau eines Kristalls nach seinem immanenten Raum-
schema nur durch äußere Einflüsse gestört wird.
In der Baukunst sind auch die Griechen wesentlich
dem kubistischen Raumschema gefolgt. Auch für sie
war der Zwang des Materials bestimmend, und zwar
der des nordischen ITolzbaus. Die nordischen Wander-
völker, die die griechische Kultur auf den Trlimmern
der altmittelländischen errichteten, brachten in ihre
neue ITeimat den Typ des nordischen Antenhauses
mit, der sich in Deutschland bis in die jüngere Stein-
zeit zurückverfolgen läßt und in dem bronzezeitlichen
Dorfe von Buch bei Berlin oder in den Häusern der
sogenannten Römerschanze bei Potsdam deutlich vor
uns steht. In Stein übersetzt, wurde daraus das Plerren-
haus der mykenischen Paläste, später der griechische
und römischeTempel, bei dem dieHolzarchitektur noch
deutlich durchschimmert. Von den uralten mittel-
ländischen Bauformen der Rundhütte und des tonnen-
gewölbten Langsaales haben die Griechen nur die
erstere gelegentlich benutzt, und auch nur für be-
stimmte sakrale, das heißt altertümliche Bauten wie
das sogenannte Schatzhaus des Atreus in Mykene, ein
unterirdisches Königsgrab (mit falschem Glocken-
gewölbe) und ftir Tempel uralter mittelländischer
Kulte, die sie übernahmen, wie das Asklepiosheiligtum
in Epidauros (mit spitzem Dach nach Art der Holz-
konstruktion). Auch die Kanellierungen und Kapitelle
ihrer Säulen sind durch die Rohrbündel des uralten
mittelländischen Schilfbaus bedingt. Tonnengewölbte
Torbögen und Durchgänge finden sich dagegen erst
in hellenistischer Zeit.
Erst die Römer, die von den Etruskern, einem alt-
mittelländischen Volke, den Bogenschnitt lernten und
ihn zunächst auch nur bei Gräbern sowie bei Nutz-
bauten (Kloaken, Wasserleitungen, Brücken, Unter-
kellerungen) verwendeten, haben den Gewölbebau in
immer stärkerem Maße zum Bauprinzip erhoben und
damit das kubistische Raumschema gelockert. Sie
haben ihn niclit nur bei ihren glockengewölbten
Rundbauten (Pantheon in Rom, die beiden neuent-
deckten Rundtempel in Pergamon) und ihren halb-
rund gewölbten Apsiden verwendet, sondern aucli bei
ihren Langbauten (Domitianspalast und Konstantins-
basilika in Rom, Thermenbauten), und sie haben
damit das Vorbild für die christliche Baukunst des
Mittelalters gegeben. Schon in der frühchristlichen
Baukunst des Orients gatten sich beide Bauformen,
die des tonnengewölbten Langbaus und des Rundbaus
mit Glockenkuppel; die Peterskirche in Rom, die das
Pantheon auf die Konstantinsbasilika türmte, ist die
letzte Vollendung dieses Bantyps.
Das Mittelalter hatte inzwischen im gotischen
Spitzbogen noch eine — ebcnfalls rein konstruktive
Abart des Gewölbebaus hinzugefügt, die das kubi-
siische Raumschema noch mehr auflockerte, aber
diese Bauform wurde seit der Renaissance wieder
preisgegeben, außer bei neugotischen Nachahmungen.
Auch die moderne Eisenkonstruktion f'olgt in ihren
Bogenstellungen und Wölbungen denen des römischen
rundbogigen Gewölbebaus.
Im Gegensatz zur Gotik hat der romanische Stil,
der ihr voranging, das kubistische Raumschema noch
einmal betont. Er verwendet zwar aucli Vierungs-
kuppeln und halbrunde Apsiden mit Halbkuppeln,
runde Fensterrosen und rundbogige Portale und Fen-
ster, doch davon abgesehen zeigt er, besonders im
Außenbau, aber aucli in seinen flachgedeckten Kir-
chenschiffen, einen durchaus kubistischen Aufbau des
Baukörpers; selbst seine achtseitigen Türme sind nur
eine mathematische Verdoppelung des Würfels. Ganz
Deutschland ist voll von Beispielen dieses Stils. Am
stärksten hat mich stets der Kubismus der hohenstau-
fischen Palastkapelle in Nürnberg beeindruckt, zwei
übereinandergetürmte Würfel (Unter- und Ober-
kapelle), die von je vier Säulen getragen werden; ihr
eng verwandt ist die Doppelkapelle der hohenstaufi-
schen Kaiserpfalz in Eger, obwold hier die Ober-
kapelle (um 1300) schon frühgotische Spitzbogen hat.
Wir haben eine lange Entwicklung durchlaufen, der
stets zwei Raumschemen zugrunde liegen: die mathe-
matischen Grade und deL' Kubus einerseits, der Kreis
und die Kugel (oder ein Segment beider) andererseits.
Beide sind sowohl mathematisch, das heißt geistig wie
praktisch (durch das Material) bedingt, aber für die
überwiegende Masse der Bauten ist das kubistische
Schema stets vorherrschend gewesen und geblieben.
Eiir die Möbel gilt das gleiche; auch hier behauptet
die rechteckige und würfelförmige Gestalt, trotz der
bösen Kanten, an denen man sich stößt, den Vorrang,
während die runde oder ovale Form selten ist. Nur
eine fonnauslösende und abschleifende Zeit wie das
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