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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 40,2.1927

DOI issue:
Heft 7 (Aprilheft 1927)
DOI article:
Reisner, Erwin: Über die kulturphilosophische Bedeutung der Psychoanalyse
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https://doi.org/10.11588/diglit.8882#0045

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Schöpfers und trvh der in vieler Hinsicht befreienden und augenöffnenden Wir-
kung mancher ihrer Enkdeckungen doch viel eher eine schwere Gefahr als eine
Bereicherung für unser modernes Geiftesleben. Gewiß, der Materialismus muß
überwunden werden, aber vom Dämonismus darf er sich niemals aus dem
Feld fchlagen lassen.

-X-

Der Psychoanalyse liegH wie fchon mehrfach erwähnt wurde, der richtige Ge-
danke zugrnnde, daß die Krankheit ihre Wurzel in der Ablösung (Verdrängung)
irgendeines Jch-Teiles vom GesamL-Jch haL, der dann selbftändig zu wuchern
beginnt. Jn dieser HinsichL darf das Karzinom, das Krebsgeschwür als
das eigenLliche Urbild jeder KrankheiL überhaupL gelLen. Die Heilung wäre
— wenn nichL durch einen chirurgifchen Eingriff ^— nur durch Wiederherftel-
lung der Harmonie zwifchen den divergierenden, gleichsam anseinanderlebenden
Jch-Teilen herbeizuführen, d. i. durch SynLhes e. Wenn nun aber die
Psychoanalyse den Trieb zuungunften des bewußLen Willens bejahL, so drückL
sie damiL das GesamL-Jch auf die SLufe des Karzinoms herab und machk aus
dem ganzen Menfchen ein einziges großes Krebsgefchwür. Von KrankheiL
kann nun freilich nichL mehr die Rede sein, ob aber diese neue „Gesundheik"
uns als erftrebenswerkes Ziel hingeftellt werden darf, ift doch wohl auch eine
wesenkliche Frage.

Jn ÜberLragung dieser Feftftellung auf die oben fchon cinmal angefchniLLene
soziale Seite des Problems dürfen wir die von ihren Trieben aufgepeiLfchten,
radikal revolutionären SchichLen das Krebsgefchwür am Leibe der menfchli-
chm GesellfchafL nennen, also das VerdrängungsprodukL, für dessen VerdrängL-
heit allerdings die Oberfchicht verantworklich zu machen ift. Der Revolukionär
selbft aber sieht nur diese zweite Seike und bekrachkeL daher folgerichkig das
bloße Vorhandensein einer gciftigen führenden OberschichL als Verbrechen gegen
sich. Daß die OberfchichL von ihrem llrprinzip abgefallen nnd erft dadurch
schuldig geworden ift, enkgehk ihm. Die Heilung des Übels, die nökige Besse-
rung der GesellfchafLsordnung wird er sonach nur auf dcm Weg über die
brukalfte AusrokLung der Patrizierkasle und damik des lehken Reftes von Gei-
ftigkeik für erreichbar halkm, also durch die rücksichkslose Bejahung seincr
eigenen TriebhafLigkeiL. Der Zusammenhang zwifchen der Lehre Freuds und
dcm Bolfchewismus wird hier offensichLlich. Die Ethik der psychoanalytifchm
Therapie ift die Ethik der Revolukion von unkcn her. Beiden liegk dcr richtige
Gedanke zugrunde, daß der Menfch, sofern er von scinen niederen Instmktm
beherrfchk wird, kein Recht hak, sich für ein Höhercs zu halken (wie das der
Lypifche Bourgeois LuL), aber beide gehen darin fehl, daß sie das instinkkhafLe
Medere für die Enkelechie des Menfchcn nehmen und demgemäß posikiv be-
werken. Die Psychoanalyse macht keinen llnkerfchied zwifchen sieghafk übcr-
wundener und fcheinheilig verdrängker TriebhaftigkeiL. Ia, sie kmnL eigenk-
lich nur diese zweike.

Man hak nichk ganz ohne Berechtigung zwifchen der Psychoanalyse nnd ürieH-
sche Beziehungen herzuftellen versuchk. RlieHfche ift eben auch Psychologe,
und so muß das psychoanalykifche Fazit notwendig in der Verlängerung seiner
Psychologie zu findm sein. Aber NleHfche iß nichk nur Psychologe. Zwi-
fchen seiner „cinsam fchweifendm blonden Beftie" und dem fchmuHigen Trieb-

Zi
 
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