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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 40,2.1927

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Heft 9 (Juniheft 1927)
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Bücherschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.8882#0237

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stadt, die Ziele der WohnungS- nnd Sied-
lungspolitik. Em menschlich roarmer Zug
ersüllt die klaren, allseitig bedachten Aus-
führungen besonders sympathisch, wie ein
geläuterter Geschmack in den äschetischen
Fragen allenthalben znm Ausdruck
kommt. Joseph Popp

raf Hermann Keyserling,
Menschen als Sinnbilder
(Okto Reichl Verlag, Darmstadt). Graf
Keyserlings Buchmühle mahlt in letzter
Zeit beängstigend schnell. Knapp nach der
„Neuentstehenden Welt" kommt dies neue
Werk heraus und erscheint „Wiederge-
burt". Der Leitcr der Darmstädter
„Schule der Weisheit", der emsige Dor-
trags-Reisende, der Herausgeber deS
„Leuchter" und des „Weg zur Vollen-
dnng", — immer wieder fühlt er
sich dazu getrieben, seine geistige Welt
einer noch eindringlicheren, noch gegen-
wärtigeren Analyse zu unterziehen und
deren Ergebnisse uns vorzuhalten. Auch
das ncue Buch ist Frucht solcher Analyse;
wie denn übcrhaupt (dem schärfer Zu-
fchauenden war dies allerdings von An-
fang an klar) Keyserlings geistige Potenz
nicht in einer Fähigkeit, neuen Sinn zu
finden, beschlossen liegt, sondern in der
Gabe, den schon gegebenen zu erfassen,
aus seiner, ihn meist bis zur Unerkenn-
barkeit verhüllenden, wo nicht gar völlig
entstellenden Ausdrucksform herauszulö-
sen, und ihn nun, in den ihm gemäßen
Auödrucksleib eingekleidet, der Mensch-
heit zurückzugeben. Nicht Herr und Der-
künder eines neuen Jnhalts ist er so,
sondern Besitzer und Lehrer einer neuen
Methode. DieseMethode aber ist eine
ausgesprochen rational-analytische, selbst
wo sie — was sie übrigens am liebsten
und oft genug bravourös tut — gerade
Nicht-Rationales rational analysiert, —
natürlich nur in der Weise rational ana-
lysiert, daß sie dem Derstande in ver-
ständlich faßbarer Form begreiflich macht,
daß es, wo es, wieviel es, und in wel-
cher Gegensätzlichkeit zu ihm und mit wel-
chen bedingten oder unbedingten Abge-
grenztheiken von ihm, Nicht-Rationales,
vor ihm nicht ErdringbareS, gibt.

Jn der Leistung gerade dieser Funktion
liegt denn sowohl das unleugbare Der-
dienst als auch die deutliche Gefahr von
Keyserlings Mcthode begründet. Gerne
blcibe das Verdienst ungeschmälert! Trotz
allcn Tamtams, die mit dem Namen

„Keyserling" gemacht werden und sein
Wirken ungleich tiefer beeinträchtigen, als
er selbst ahnen mag: es lebt nicht alle Tage
ein Kopf unter uns, der über die geniale
Spürnase für Generalzusammenhänge im
Gefchehen des Kosmos verfügt, und zu-
dem den Beruf fühlt und das Talent
dazu hat, uns, was er erwitterte, ver-
ständlich zu machen. Man mag sich von
der Gegenwark und von der nächsten Zu-
kunft gerne ein völlig anderes Bild ma-
chen, als welches Keyserling etwa in der
„Neuenkstehenden Welt" zeichnete, und
wird trotzdem aus seinem Fresko den be-
deutendsten Nutzen ziehen können; des-
halb, weil man durch ihn in die — geistig
allerfruchtbarste — Fähigkeit versetzt
wird, im Dergleich der einen Welt-Vor-
stellung an der anderen zu prüfen, wel-
cher von beiden wohl die größere Plausi-
bilität zukomme. Jn diesem Betracht
also, im Betracht der Ausdehnung des
menfchlichen Bewußtseins vermittels der
Dermehrung seiner Objekte, die Keyser-
lings Methode wirklich leistet, wirkt die-
selbe durchaus positiv, bezüglich vieler
ihrer Arbeitsgebiete sogar kaum ersetzlich.
Ebenso durchaus offenbar aber sind ihre
Gefahren. Denn diese erfcheinen durch
nichts mehr und durch nichts weni-
ger gegeben als gerade dadurch, daß sie
den Verstand auf Felder hinlenkt, von
denen sie selbst — und mit Recht! —
nicht müde wird, zu betonen, daß er auf
ihnen nicht kompetiert. Wodurch dcnn
die Wi'rkung sich einstellt, daß das ratio-
nal analysierte Nicht-Rationale seiner er-
zeugenden, produktiven Kraft im Emp-
fänger derAnalyse verloren geht!
Ganz wie Keyserling selbst es so oft war-
nend — freilich in anderem Bezuge —
hervorhebt, gefchieht dies Derhängnis;
„ein einmal eingesehener Jnhalt ver-
liert seine bindende Macht, den Charak-
ter einer Jnstanz." Das Derständlich-
Gemachte wird — selbstverständlich;
„nur Undisferenziertes aber" (nicht Ver-
ständlich-Gemachtes) „wirkt schöpfcrisch".
Dem schöpferischen Menschen zumal hat
daher Keyserling von Buch zu Buch we-
niger zu geben. Zieht man hiezu erst noch
in Betracht, daß, wo heute Geist flehent-
lich erlechzt wird, ganz anders als noch
vor etwa acht oder neun Jahren, da
schon die Erweiterung des Bereiches
menschlichen Bewußtseins als Himmels-
geschenk gefeiert werden durfte, nicht das
Wort vom Geiste, sondern dieTataus

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