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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 40,2.1927

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Heft 10 (Juliheft 1927)
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https://doi.org/10.11588/diglit.8882#0296

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in der Kunst kein Echo finden dürsen?
Bei näherer Betrachtung enthüllt sich
diese Frage als allzn kurzatmig. Sie
erinnert in etwas an die Klage jener
braven Leute, die blutige Kriege gerne
von lyrischen Ergüssen begleitet sehen
und in die Gesamtbilanz von Weltereig-
nissen das lyrische Minus bedauernd ein-
kalkulieren. Man mag hier an das
Hebbelsche Wort erinnern von dem freien
Gemeintoesen, tvo ja jeder bloß den
Mund auszumachen brauche, um ge-
hört zu tverden, und darum nicht allzu
betveglich nach der Tribüne der Kunst
rusen müsse, um seine Nöte laut wer-
den zu lassen. Unter solchem Aspekt ent-
hüllt sich das zudringliche Verlangen
nach einem ständigen Jneinander von
Kunst — einer Wesenheit mit eigenen
Lebensbedingungen — und Zeitnot als
eine kuriose AuStoirkung jener oben skiz-
zierten Sehnsucht nach „Ordnung" und
Organisation im geistig-kulturellen „Be-
trieb". Es soll eben auch — nach dem
Wunsch mancher Leute — in der kultu-
rellen Sphäre „klappen". (Damit soll
beileibe nicht dem zeitsremden Kostüm-
roman oder Kostümdrama das Wort
gereöet werden!)

Aber das Theater, die Kunst, die keine
Nachtvelt kennen dars? Nun, jede Zeit
hat ihre Theaterstücke gehabt, die ihr
und ihren Schauspielern Genüge taten
und die ihre Zeitsehnsucht ausdrüekten;
nüt Recht hat man diese seinerzeit brauch-
baren Dinge zum alten Eisen gewor-
sen, wenn ihr Gefühlsinhalt ausgepreßt
war. Man verdirbt dem Mimen, der
die Zeit richtig wittert und sich einen
Vorwand sür sein vergängliches Spiel
sucht, die Freude, wenn man ihn um
jeden Preis zum großen Zeitdrama locken
will, das die Zeit einstweilen zu weigern
scheint; bis dahin suche man weiter —
aber mit gutem Gewissen und ohne Kul-
turkatzenjammer!

„Vieles tuet die gute Stunde" — !m
kulturellen Leben ist sie wesentlicher als
irgendwo. Mag uns die Erde Gcduld
lehren; glauben wir an die Möglichkeiten
der schöpferischen Pause; irgendwo wird
immer in der Stille ein großes Werk
geschaffen, das einem ganzen Jahrhun-
dert die Berechtigung nimmt, sich als
arm und dekadent zu empfinden.

Eugen Gürster

Ntar Liebermann

eit mehr als dreißig Jahren steht Mar
Liebermanns Wirken im allerhellsten
Licht des künstlerischen Lebens. Man
vergißt, daß dieser Periode eine beinahe
ebenso lange vorausging, in der er ver-
geblich um Anerkennung kämpfte. Erst
der Fünszigjährige gründete die Ber-
liner Sezession, wurde Mitglied der Aka-
demie. Merkwürdiger aber als die späte
Anerkennung — typisch sür jene ganze Pe-
riode — ist bei dieses Künstlers großer
Begabung, Entschlossenheit und Verstan-
standeskühle der schwere Weg seiner
Entwicklung. Es ist kein Schwanken.
Er verehrt, immer lernend, Munkascy,
Courbet und Millet, Menzel und Jsraels;
er übernimmt viel aus ihrer Welt, aber
trotz ihrer sühlbaren Nähe schafft er nun
schon Werke von Größe und unbeding-
ter Selbständigkeit. Sein Verhältnis zu
Rembrandt, zu Frans Hals, zu Pieter
de Hoogh ist ein ganz anderes; nie er-
innert eine Stelle bei ihm an dieseMei-
ster. Denn er ist ganz ein Sohn seiner
Zeit, fraglose Gegenwart. E!n Jmpres-
sionist der zweiten Generation, dessen
Weg unabweichbar vor ihm lag und
sest bis zu Ende gegangen wurde.

Wille, Verstand, Geschmack, die drei aus
der breiten, verläßlichen Grundlage eines
starken Könnens — was mit diesen Ele-
menten erreicht werden kann, liegt in
Liebermanns Werk oor uns. Er gibt
eine Fülle von Anschauung, natürlich
nicht als bloßer Abschreiber der Natur,
der überhaupt nur im Gehirn eines ganz
kunstsremden und kunstsernen Menschen
vorkommen kann, sondern im Sinne dcs
Jmpressionismus, der, unlösbar an die
sichtbare Natur gebunden, am allermei-
sten jener Krast bedars, die Liebermann
selbst einmal „reine malerische Phan-
tasie" genannt hat. So wenig sein Be-
griff Lluösicht haben dürfte, untcr dieser
Bezeichnung in den Bestand der Kunst-
philosophie einzugehen, so gut kennzeich-
net er Liebermanns Vermögen zur Ana-
lyse. Selten war sich ein Künstler über
sein eigenes Wesen so klar wie er. Eine
freie, weltliche Vernünfkigkeit, ohne
Sehnsucht, doch durchauS nicht ohne weite
Perspektioe, ein kühner, aber kühler Schil-
derer, verführerisch durch eine scheinbar
reine Sachlichkeit, dazu voll Geist und
Feinheit. Deshalb ist er auch ein sichrer
Porträtist, den eine lebenslange Zeichen-

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