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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 40,2.1927

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Heft 10 (Juliheft 1927)
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https://doi.org/10.11588/diglit.8882#0297

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übung nicht verläßt, ein tvenig trocken,
gelegentlicl) anch ein wenig scharf, aber
niernals an Karikatnr streifend. Ja, in
Liebermanns ganzem Wer? sindek sich
nicht ein einziger Moment, der anch
nnr von ferne daran erinnert. Dieser
schneidend scharfe Jntellekt, der nnend-
lich viel sremde Kunst beobachtet nnd
benrteilt hat, dessen Einsichten kristallklar
fnnkeln und dem es ein leichtes ist, über
Künstler, die er liebt, wie Degas und
Jsraels, klng zu schreiben nnd, was er
mißachtet, mit einem Witzwort zu ver-
nichten, — er bleibt nnbeirrbar ernst,
wenn er selbst Knnst hervorbringt. Er
schildert das Geschehen im Raum. Das
ist seine Poesie, die kühle Poesie eines
Abstraktums, das für ihn ^— und setzt
auch für uns — Wirklichkeit geworden
ist, künstlerische Wirklichkeit. Darnm ha-
ben seine Menschen, diese Fischer und
Handwerker, diese Spaziergänger, Polo-
spieler und badenden Knaben etwas selt-
sam Anonymes. Er berichtet rein ma-
lerisch weiter, waS ihm daS Auge mit-
gekeilt hat, soweit es für seine Bild-
erscheinung notwendig ist. DaS trifft auch
auf die früheren großen Bilder zu:
mancher dieser Köpfe zählt zu seinen
glücklichsten Bildnissen selbst im späteren
Sinne, als es ihm oft gelang, Menschen
von hoher Geistigkeit ohne alles Gewe
zu malen. Welcher Gegensatz zu Jsraels,
der allerdings noch zu eng der Anekdoten-
malerei benachbart war! Aber auch wel-
cher Gegensatz zu Rembrandt und selbst
zu Pieter de Hoogh. Diese Art der An-
schauung, die Menschen gleichsam als
Funktionen aufzufassen, deckte sich eben-
sowenig mit den Begrifsen der Milieu-
schilderung, der Armeleutmalerei oder wie
die Gattungsnamen damals hießen, in
die man seine Kunst einordnen wollte.
Liebermanns Auffassung des Kunstwerks
ist viel bedeutender, weitsi'chtiger, ganz
persönlich und sehr charakteristisch. Dem
Auge berichtet er von Gefühlen imd Ein-
drücken, sachlich, am Jnhalt vornehm
unmteressiert, unpathetisch, lediglich Schil-
derer. Ein einziges Mal, glaube ich, hat
ihn nur die Sehnsucht gepackt, etwas
Monumentales zu gestalten: in Samson
und Delila. Es ist trotz aller Mühen
nicht gelungen. Es konnte nicht gelingen.
Wer nicht an Märchen glaubt, kann
keine erzählen. Und Liebermann glaubt
an die Logik dieser Welt, wie Pauluö an
die Erfcheinung Christi. Liebermann ist

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nicht naiv, eS fehlt ihm sogar dic naive,
kindliche Liebe zur Materialschönheit der
Farbe. Wohl erzielt er mit ihr glänzende
Wirkungen, aber nicht indem er ihr
nachgibt und ihre Schönheit gewähren
läßt, sondern indem er sie zwingt und
ihr seinen vorgefaßten Willen aufdrängt.
Liebermanns Gesamterfcheinung hat ge-
wiß für Preußen, für Berlin etwas Na-
turnokwendiges. Da ist die Sachlichkeit,
die Kühle, der Mangel an Pose und
einschmeichelnder Geste und, wohlgemerkt,
das alles trotz der Pariser Lehrjahre!
Da ist auch eine herbe Unbestechlichkeit
und eine völlige Unbekanntschaft mit
den Verführungen der Virtuosität. Und
das ist deutfch. Er ist, alles in allem,
selbst mit dem Mangel an Sentiment
und jener Gefühlsnebenwerte, die der
Phantasie — in unserem Sinne! —
naheliegen, cin durchaus deutfcher Künst-
ler. Das wird ganz klar, wenn man in
ciner internationalen Ausstellung die füh-
renden Maler der Völker nebeneinander
sieht. Daß er als einer der ersten nach
dem Kriege von Siebzig wieder den
Weg nach Paris fand, den die Berliner
Maler des Jahrhunderts vor ihm zu
ihrem Heile ohne Ausnahme gegangen
waren, war ein großes Derdienst. Aber
jene fünf Jahre dort wurden durch die
Lehrzeit in Weimar und die erste Mei-
sterperiode in München mehr als auf-
gewogen. Nicht minder bezeichnend war
es, daß es ihm dann die präkentionslose
Landfchaft und Bevölkerimg Hollands
antat und daß er ihnen jahrelang treu
blieb. Und ebenso wichtig wurde schließ-
lich seine Tätigkeit in Berlin, wo er, als
die Zeit gekommen war, gegen eincn
äußerlich anspruchsvollen Kunstbetrieb in
einerrllhigenundwürdigenWeisepraktische
Opposition machte, die der norddeutschen
Kunst öie Bahn guter Tradition frei hielt.
Goethe, den Liebermann so gern zitiert,
meint einmal, daß wie im Tun und
Handeln, so auch in der Kunst alles
darauf ankäme, „daß die Objektc rein
aufgesaßt und ihrer Natur gemäß be-
handelt würden". Eine solche wohltuende
Reinheit des Willens, des Jntellekts, der
Anschauung umfaßt, gleichmäßig durch-
sichtlg wie eine einheitliche Jltmosphäre,
das Werk und daS Wirken Liebermanns.
Die Preußifche Akademie hat ihrem Prä-
sidenten eine Ausstellung von genau hun-
dert Bildern gerüstet; nur ein paar
Hauptwerke dabei, aber dafür be-
 
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