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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 40,2.1927

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Heft 11 (Augustheft 1927)
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https://doi.org/10.11588/diglit.8882#0398

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nen anS den Zeitromanen (Tristan nnd
Jsolde), aus der Lyrik (Minneburg und
Falkenjagd), aus der Dolkssage (Jung-
brunnen, Melusine). Selbst in den
Schlußsteinen der Kirchengewölbe findet
sich dergleichen. Jn diesen Menschen
lebte Natur und llbernatur noch in un-
gebrochener Einheit; deshalb konnten sie
am heiligen Ort selbst die derben Spässe
und Anspielungen der Drolerien wagen.
Jn dem seinen Gehaben dieser Menschen
klingt hösische Kultur nach, die in Frank-
reich besonders hoch stand. Man be-
achte das Zurückhaltende und doch Ein-
dringliche in den geschmeidigen Kör-
pern und ihren Bewegungen, das lie-
benswürdig Zarte, den beglückten Sinn.
Rein formal ist von höchstem Geschmack,
wie die Körper sich in ihrem Rahmen-
werk entwickeln und dieses selbst der
gleiche Geist wohl gemessener Zier er-
füllt. Die französischen Elfenbeinarbei-
ten waren hoch geschätzt und haben selbst
auf die deutsche Großplastik gewirkt.

Die Grabmalplastik spielt in der Gotik
eine sehr bedeutsame Rolle und gewinnt
in der späteren Zeit immer mehr an
Bildnistreue — nicht im Sinne einer
letzten individuellen Durchbildung, aber
als sprechende Derkörperung einer Per-
sönlichkeit. Jn der frühen Zeit des
i^j. Jahrhunderts bleibt man noch im
Allgemeinen der Erscheinung, es wird nur
ein ausdrucksvoller Mensch gegeben.
Eines der feinsten Stücke dieser Art ist
öer Grabstein der Königin Emma, der
Gemahlin Ludwigs des Deutschen —
nach anderen der Uta, Gattin Arnulfs
von Kärnten (um izoo). Ein Haupt-
werk aus der Steinmetzhütte, die mit
dem dortigen Dombau erstand. Man
muß sich die Gestalt mehr liegend als
stehend denken; ein Zwitter der Lage,
der bis inS späte iä. Jahrhundert hin-
einreicht. Eine ungemeine Dornehmheit
der Haltung adelt diese Frau — wohl
ein Nachklang französischer Art, die nach
der Mitte des iz. Jahrhunderts ihrc
klassische Form erreichte und sich euro-
päisch auswirkte. Paris war in jeder
Beziehung die Hauptstadt der Welt, die
erste Universität und der erste Hof. Jn
der Donaugegend bestand schon lange
ein Austausch der Kräfte; seit dem spä-
ten 12. Jahrhundert brachte das Lied
des provenyalischen Südens den Westen
und Osterreich einander nahe. Die welt-
entrückte Stimmung dieser karolingischen

Fürstin kennzeichnet aber auch den deut-
schen Geist des i^f. Jahrhunderts; er
wird seelisch vielseitig lebendig. Des Kör-
pers Schlankheit und Feinheit wird ein
Sinnbild öer außer- und überweltlichen
Gesinnung. Leib und Gewand bilden
eine Einheit, die sich gegenseitig trägt
und im Ausdruck verdeutlicht. Man be-
achte, wie sich das Müde im Haupt
auch im Kleid und seiner Faltung aus-
wirkt. Eine weihevolle Abgeschiedenheit
ruht über dem Ganzen, unterstützt von
der Parallelität der Form, die durch
die edlen Hände eine weitere Gliederung,
aber auch Betonung erfährt.

Christus und Johannes, IZ20, kündet
bereits ein Neues an: die Wendung zum
Menschlichen, woraus etwaS Mildereü,
traulich Zugänglicheres ersteht, ohne daß
die höhere Welt verloren wird. Jn
dieser Gruppe, die in Frauenklöstern be-
sonders beliebt war, erlebt der mittel-
alterliche Freundschaftsgedanke seine
höchste Verklärtheit. Jn unserem Werk
ist er zur innigsten und schönsten Dar-
stellung gekommen —- die Schöpfung
eines großen MeisterS. Hier wird die
Summe eines ZeitalterS gezogen, der
Ausdruck eines JahrhundertS, des i^s.
Jahrhunderts, daS auch das Andachts-
bild der Schutzmantelmadonna, der Pietä
und des Christus als Schmerzensmann
geschaffen. Hierin osfenbart die gotische
Seele ihren tiefsten Gehalt, in einer ver-
haltenen Glut, die auch der heisere
Odem des Barock nicht stärker zu ent-
fachen vermochte. Allzulange ist die
Kunst dieses Jahrhunderts im Schatten
der großartigen Werke des iZ. Jahrhun-
derts in Naumburg, Bamberg, Straß-
burg gestanden, wie andererseits jener
des iä. Jahrhunderts, in denen der breite
Strom der Renaissance dahinrauscht. Jm
deutschen i^. Jahrhundert findet eine
starke Derinnerlichung statt, es werden
neue Entdeckungen im Seelischen ge-
macht. Unsere Gruppe führt in die
Welt der Mystik, die damals reich blühte,
in den Kreis der „Gottesfreunde". Jn
der ersten Hälfte des ich Jahrhunderts
taucht dieses Motiv bei den Dominikane-
rinnen der süddeutschen Klöster im Brief-
wechsel mit ihren geistlichen Beratern auf;
die Schwestern haben auch gern ihre An-
dacht vor solchen Darstellungen gehal-
ten. Des Johannes Liebe zum Herrn
wurde ihnen Dorbild und Ermunterung
der eigenen Hingabe an ihn. Auch den

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