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Kurpfälzer Jahrbuch: ein Volksbuch über heimatliche Geschichtsforschung, das künstlerische, geistige und wirtschaftliche Leben des Gebietes der einstigen Kurpfalz — 4.1928

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Hoenninger, Waldemar: Neckargemünder Originale
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https://doi.org/10.11588/diglit.29785#0112

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Der bartlose, breitschultrige Zwerg war der Spielball der Kinder.
Sie trieben den unsinnigsten Schabernack mit ihm. Den Dsinamen
„Schwedenkönig" erhielt er davon, daß er stundenlang in seinem Kauder-
welsch von Mord, Krieg, Raub und Plünderung, insbesondere aber von
den Schwedenkriegen erzählen konnte. Meinem Dater und anderen
Leuten schrieb er zahlreiche Driefe über diesen ihn sehr beschäftigenden
Gegenstand.

Als Anfang dsr siebziger Iahre ein Komet sichtbar war, führte kr
die Kinder auf die Sommerwisse bei dsr Burg Reichenstein, deutete mit
seinem Eisenstänglein (vulgo Spazisrstock) auf dsn Himmel und predigts
und prophezeite seinen erstauntsn Zuhörern vom kommsnden Krieg.

Dah sich im Gedächtnis dieser eintältigen Leute die Aeberlieferung
von den früheren Kriegen so fest eingegraben hatte, mag als ein Deweis
dafür angesehen werden, wie unsagbar schwer gerade die Stadt Äeckar-
gemünd in alten Zeiten unter den schrscklichen Kriegen zu leiden hatte.
Oft erzählte der Schwed auch, wie die Kosaken im eisbedeckten Neckar
badeten, Plnschlittkerzen ahen und die Betten mit ihren Lanzen durch-
stachen, um nachzuforschen, ob noch Wertgegenstände darin verborgen seien.

tzannesfriederle hörte schlecht, und da seine Türe nicht verschließbar
war, befestigte er über seinem Bett ein Drett, das mit der Tllre in Vsr-
bindung stand und das ihm auf den Kopf fiel, wenn jemand nachts
oder morgens bei ihm eintrat. Einmal hat mir der Zwerg die Haare
geschnitten, wozu er eine furchtbare Schere benutzte und mir zum Leid-
wesen meiner Mutter eine Himmelsleiter von Staffeln in das Haar sägte.
Als Ersatz für die ausgestandenen Schmerzen — ich spüre sie heute
noch — erhielt ich eine Tonpfeife zum Geschenk. Ein Bllrgersohn brachte
ihm gelegentlich einen prächtigen Duntspecht, den der Feldhüter geschossen
hatte, zum Ausstopfen. Hannes stopfte diesen nicht nur aus, sondern
bemalte ihn auch noch mit allen Farben des Megenbogens und verhunzte
so das bunte Röcklein des Dogels. Die Mutter dss Knaben wollte sich
damit aber nicht abfinden und machte sich mit ihrem Sprößling auf den
Weg, um dem Alten einmal die Meinung zu sagen. Als die Frau beim
„Schwed" eintrah war dieser gerade damit beschäftigt, die Wanduhr mit
seinem Eifenstängele zu bearbsiten. Die Ahr sei verhext, meints er, und
er müsse den Leusel austreiben. Dei diesem Anblick machte sich die
Desucherin schleunigst aus dem Staub, denn es war schlscht Kirschen
mit dem -Zwerg essen, wenn er sich mit den Geistern und Hexen auf seine
Art unterhielt. Am Karfreitag stand er jeweils mit unserm Herrgott
in intimer Beziehung. Mit dem katholischen Pfarrer war sr nicht zu-
frieden. Lknd das hatte folgende Dewandtnis: Der Herr Pfarrer war
ein temperamentvoller Kanzelredner und pflegte bei der Predigt durch
Ausbreiten und Erheben der Arme den Eindruck seiner Worte zu unter-
stützen. Hannesfriederle, der schlecht hörte und während der Predigt
starr den Pfarrer ansah, meinte, letzterer würde ihm persönlich drohen,
worüber er in heftigen Zorn geriet und gelegentlich einmal dem Pfarrer
während der Predigt zurief: „Ietz haw i di".

Doch einen Menschen mochte er nicht leiden und haßte ihn bis an sein
Lebensende. Dieser eine war der Maulwurffänger Ottenthal, der mit

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