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Kurpfälzer Jahrbuch: ein Volksbuch über heimatliche Geschichtsforschung, das künstlerische, geistige und wirtschaftliche Leben des Gebietes der einstigen Kurpfalz — 4.1928

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Palatinus, Wilhelm: Der Storche-Waddel: ein Lebensbild aus der Pfalz
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https://doi.org/10.11588/diglit.29785#0082

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H Der Ltorche-Waddel ^

8 Lin Lebensbild aus der Pfal? U

^ Von W. Palalinus-Gießen ^

Die Gallerie meiner iZug-enLerinnerung-en birgt in ihrem iraulichen
Helldunkel ein paar Charakterköpfe akter Schulkameraden, darunter als
besonders treu erhaltenes Porträt den „Storche-Waddel". Absonderlich
wie er selbst war dieser Spitzname. Das Gasthaus „Zum Storchen" beher-
bergte in einem schieswandigen Dachsiübchen ihn und seine gute, kränk-
liche Mutter, die sich mit Äähen und Dügeln kümmerlich durchs Leben
schlug und sür ihr geliebtes „Eduarbel" kaum die nötigen Hosen und Jacken
austreiben konnte; meist geschenkt, waren sie ihm vegelmäßig zu lang oder
zu kurz. Dah der Äame „Edewaröel" in (Ede-)Waddel abgeschlifseu
wurde, kommt vom Dialekt unseres schönen Landstrichs, wo die Zungs
zwar sonst recht leistungsfähig, aber eben dem Duchstaben Id nicht ge-
wachsen ist; im stammverwand-ten Äachbarland sollen die Schäffner aus-
rufen: „Nach Fankfut hinne einsteige, nach Damstadt vonne!" Kurz, der
gute Iunge hieß einmal der Storche-Waddeh und dagegen ließ sich nichts
machen. Waddel war trotz seiner Kleidermisere und einer etwas schief
geratenen Aase eigentlich ein ganz hübscher Hunge mit treuherzig-träu-
merischen Augen, einem uneNdlich gutmütig-melancholischen Zug um den
Mund und halb mädchenhaften braunen Locken (krumme Hoor, wie wir
sagten). Aber all das wollte bei ihm nicht so rocht zusammenpassen —
und so wars auch in seinem Leben und Treiben; wie er sich auch anstellen
mochte, stets saß er irgendwie im Pech. Dabei war er ein hart- oder viel-
mehr weichgesottener Zdealist und Opitimist, gutherzig treu und hilfs-
bereit — in natürlicher Folge dec Sündenbock für alle in der Schule und
sonstwie vorgekommenen Streiche. Er ließ aber alles geöuldig auf sein
unschuldiges „krummhaariges" Haupt abladen, verriet um keinen Preis
den wahren Täter und kam sv in den unverdienten Muf des bösen Kar-
nickels. Er nahm alles mit sanftem Lächeln hin und meinte: „Mir tuts so
wenig als dem Ochsen, wenn man ihn ins Horn petzt". Wollte ihm indes
ein Kamerad ernstlich zu nahe treten, so konnte der sanfte Zunge einen
iöerserkermut entwickeln und um sich schlagen wie der hürnene Sieg-
fried. Er wurde darum auch trotz endloser Hänseleien von allen Mit-
schülern im Grunde respektiert und geliebt. Nur die Lehrerschaft ver-
kannte ihn meist; sein schweigendes Dulden galt als Lrotz, sein verträum-
tes Wesen als Dummheit. Eine Herausforderung der allgemeinen Necke-
rei waren Waddels etwas zu groß geratenen Füße, die in meist zu weiten
Schuhen steckten: wir hießen sie nur „Kiesnachlen" oder auch „Kinder-
särgle".

Kaum nötig zu sagen, daß unser Held bald auch anfing, heimlich Derse
zu machen und sich in sich in ein oder auch mehrere hübsche Nachbars-
mädel zu verlieben. Totunglücklich gebärdete er sich momentan, als ihm

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