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Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 38.1995

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Otto, Dirk: Platon und Orwell - zum totalitären Kern von Utopien: Früchte des Certamen Carolinum 1986
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https://doi.org/10.11588/diglit.33096#0019

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re Untersuchungen der PoPfela, anderer Schriften Platons sowie des historischen Hintergrundes
läßt sich allerdings zeigen, daß Platon seinen Staat keineswegs zur direkten politischen Verwirkli-
chung konzipiert hat. Die Po/fte/'a ist vielmehr als bloße Utopie zu verstehen, die schon in der Anti-
ke nicht etwa wörtlich zu lesen war, sondern einen bloßen Anhaltspunkt zur ethischen Neuorientie-
rung angesichts der damaligen Mißstände in Athen bieten sollte. Insofern geht also der Totalitaris-
musvorwurf Poppers fehl.
Der Vergleich mit Orwell offenbart jedoch Strukturparallelen zwischen beiden Werken, die dem
Totalitarismusvorwurf in anderer Hinsicht neue Aktualität verleihen. Orwells /VPiefeen P/'ghty-Pour
basiert nicht etwa auf einer direkten Rezeption von Platons Po/;'te/'a, sondern knüpft eng an die
Auswüchse des Marxismus bei dessen Umsetzung in der Sowjetunion an. Am Beispiel der geschei-
terten Hoffnungen der russischen Revolution von 1917 entwickelt Orwell eine allgemeine Kritik an
der utopischen Tradition. Demnach gehen nahezu alle Utopien (auch die marxistische) vom perfek-
ten Menschen aus, der ein ideales, harmonisches Gesellschaftssystem errichtet und dafür mit un-
begrenzten Machtmitteln ausgestattet wird. Dieses utopische Menschenbild ist jedoch verfehlt und
in der Praxis zum Scheitern verurteilt. Angesichts des menschlichen Machtstrebens und Machtmiß-
brauchs führt eine solche unbegrenzte Herrschaftsstellung unweigerlich zum Gegenteil der erstreb-
ten Harmonie, nämlich zum totalitären Terrorstaat (in der Sowjetunion zum Stalinismus).
Übertragen auf Platon bedeutet dies: die Po/Te/'a wurde zwar von Platon nicht zur direkten politi-
schen Umsetzung konzipiert. Doch besteht die Gefahr, daß dieser erste große utopische Entwurf
überhaupt mißverstanden wird und wörtlich umgesetzt in ein totalitäres System mündet. Die Po/;'-
fe/'a offenbart also - unabhängig von den Intentionen Platons - einen „totalitären Kern". Utopien
liefern zwar im Ergebnis oftmals wichtige staatsphilosophische Ideen und Anregungen. Wörtlich
genommen, als Modell für die unmittelbare Praxis, führt ihre Umsetzung dagegen in die Katastro-
phe.
Als Alternative zum utopisch-harmonischen Denken bietet sich nur ein staatsphilosophisches Legi-
timationsmodell an, das auf einer demokratischen Basis von der Gewaltenteilung und institutiona-
lisierten Konflikten ausgeht, da allein dies einem realistischen Menschenbild gerecht wird. -
Wie diese kurze Zusammenfassung vielleicht zeigen konnte, bietet die in meiner Dissertation dar-
gestellt Problematik ein gutes Beispiel für die ungebrochene Bedeutung der antiken Philosophie
und der alten Sprachen für zentrale Fragestellungen der Gegenwart. Daneben zeigt die Arbeit aber
auch die fruchtbaren Möglichkeiten, die eine kombinierte Beschäftigung mit alten und modernen
Sprachen eröffnet. In diesem Sinne bleibt zu hoffen, daß nicht nur der Latein-, sondern insbesonde-
re auch der stark bedrohte Griechischunterricht eine Zukunft haben wird.
DIRK Otto. Freiburg


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