Arbeitskreis Vormoderne Erziehungsgeschichte
Vor nunmehr 10 Jahren wurde innerhalb der Historischen Kommission der Deutschen Gesellschaft
für Erziehungswissenschaft der Arbeitskreis Vormoderne Erziehungsgeschichte (AVE) gegründet.
Wegen seiner Thematik - antike, mittelalterliche und frühneuzeitliche Erziehungs- und Bildungsge-
schichte - und des zunehmend interdisziplinären Charakters seiner Symposien verdient er auch un-
ter Altphilologen Beachtung. Vor zwei Jahren widmete er eine Tagung in Würzburg der Frage nach
Typus und Rolle des Gebildeten in den Epochen der Vormoderne, in zwei Jahren wird er sich vor-
aussichtlich auf einer Tagung an der Humboldt-Universität zu Berlin mit dem Thema „Jugend in der
Vormoderne" befassen. Um die Arbeit des AVE zu charakterisieren, sei ein Bericht über seine dies-
jährige Tagung in Auszügen wiedergegeben, den E. WiERSiNG für die Zeitschrift Frz;'ehungsw/*ssen-
schaft (6,1995, Heft 11,17-22) verfaßt hat:
Der Arbeitskreis trifft sich alle zwei Jahre. Diesmal „hat er unter dem Titel Der Umgang m/'f dem
Fremden /n der Vormoderne. Zum Prob/em derAFPu/furaf/'on (n b/7dungsb/'sfor/'scberS/'cbf (vom 29.
März bis 1. April 1995 an der Universität Potsdam) eine Thematik mit aktuellem Bezug aufgegrif-
fen. Denn die weltweiten Migrationsbewegungen lassen kaum mehr eine der in Jahrhunderten
gewachsenen Kulturen und Kulturkreise unberührt, so daß die Suche nach Antworten auf das Pro-
blem des .Umgangs mit dem Fremden' eine neue Qualität angenommen hat... Global betrachtet,
geht es vor allem um die Frage, wie heute überhaupt ein friedliches Zusammenleben der vielen
unterschiedlichen Ethnien und Kulturen in der Einen Welt erreicht und gesichert werden kann...
Innerstaatlich geht es ... um die nicht weniger leicht zu lösenden Probleme des Miteinanderaus-
kommens von Menschen unterschiedlicher kultureller Herkunft, um die Probleme ,multikuitureller
Gesellschaften', wie sie sich auch in dem ,Einwanderungsland' Deutschland heute verstärkt stellen.
Dies gilt auch für alle historisch forschenden Humanwissenschaften. . Zumindest seit dem Entste-
hen der Hochkulturen im Vorderen Orient und im Mittelmeerraum, seit der Zunahme der Bevölke-
rung, der Wanderung von Stämmen und Völkern, der überregionalen Verbreitung von Waren, der
Herausbildung von Staaten und Imperien, der Entwicklung und Verbreitung von Schriftsystemen ist
der kulturelle Kontakt zwischen alteingesessenen und zugewanderten Völkern in diesem Teil der
Erde nicht mehr unterbrochen worden, so daß es hier im strengen Sinne keine isolierte autochtho-
ne kulturelle Entwicklung gibt. Der Normalfall ist über die Jahrhunderte und -tausende die Suche,
die Übernahme, die Assimilation, die Unterwerfung, die Abwehr, die Abstoßung und Verwandlung
des fremden und die Verbreitung des eigenen Kulturguts, so daß Gruppen und Völker ihre beson-
dere kulturelle Identität immer nur in einem prekären Prozeß des aktiven und kreativen Austauschs
mit ihren Nachbarn und Partnern haben bewahren und entwickeln können. Immer war so der Um-
gang mit dem Fremden von der frühgeschichtlichen Zeit bis zur Moderne von existentieller Bedeu-
tung für die Völker und Individuen, für ihre kulturelle Selbstbehauptung oder ihre Akkulturation."
Der Arbeitskreis geht von einem weitgefaßten Erziehungs- und Bildungsbegriff aus, denn „in vor-
modernen Gesellschaften sind Erziehungs- und Bildungsprozesse zumeist noch nicht als selbständi-
ge gesellschaftliche Phänomene greifbar, sondern sind in die übrigen Lebens- und Lernprozesse so
eingebunden, daß sie sich überhaupt nur im jeweiligen gesamtkulturellen Zusammenhang erfassen
und deuten lassen, und wer als .Fremder' bzw. was als .Fremdes' zu betrachten ist, bestimmt sich
deswegen ebenfalls ganz aus der jeweiligen historisch-gesellschaftlichen Struktur."
An der Tagung beteiligten sich „neben den Vertretern der Historischen Pädagogik Forscher aus der
Klassischen Philologie, der Alten Geschichte, der Byzantinistik, der Mediävistik, der Neueren Ge-
schichte, der Theologie, der Judaistik und der Musikwissenschaft." - Den Eröffnungsvortrag hielt
der Erziehungswissenschaftler UWE SANDFUCHS (Dresden); unter dem Thema /(a/faranf/i;*opo/og/.sc/7e
Ansätze zu M/graf/onsforscdung und /Cu/fursoz/o/ogt'e „zeigte der Referent auf, was jemanden in
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Vor nunmehr 10 Jahren wurde innerhalb der Historischen Kommission der Deutschen Gesellschaft
für Erziehungswissenschaft der Arbeitskreis Vormoderne Erziehungsgeschichte (AVE) gegründet.
Wegen seiner Thematik - antike, mittelalterliche und frühneuzeitliche Erziehungs- und Bildungsge-
schichte - und des zunehmend interdisziplinären Charakters seiner Symposien verdient er auch un-
ter Altphilologen Beachtung. Vor zwei Jahren widmete er eine Tagung in Würzburg der Frage nach
Typus und Rolle des Gebildeten in den Epochen der Vormoderne, in zwei Jahren wird er sich vor-
aussichtlich auf einer Tagung an der Humboldt-Universität zu Berlin mit dem Thema „Jugend in der
Vormoderne" befassen. Um die Arbeit des AVE zu charakterisieren, sei ein Bericht über seine dies-
jährige Tagung in Auszügen wiedergegeben, den E. WiERSiNG für die Zeitschrift Frz;'ehungsw/*ssen-
schaft (6,1995, Heft 11,17-22) verfaßt hat:
Der Arbeitskreis trifft sich alle zwei Jahre. Diesmal „hat er unter dem Titel Der Umgang m/'f dem
Fremden /n der Vormoderne. Zum Prob/em derAFPu/furaf/'on (n b/7dungsb/'sfor/'scberS/'cbf (vom 29.
März bis 1. April 1995 an der Universität Potsdam) eine Thematik mit aktuellem Bezug aufgegrif-
fen. Denn die weltweiten Migrationsbewegungen lassen kaum mehr eine der in Jahrhunderten
gewachsenen Kulturen und Kulturkreise unberührt, so daß die Suche nach Antworten auf das Pro-
blem des .Umgangs mit dem Fremden' eine neue Qualität angenommen hat... Global betrachtet,
geht es vor allem um die Frage, wie heute überhaupt ein friedliches Zusammenleben der vielen
unterschiedlichen Ethnien und Kulturen in der Einen Welt erreicht und gesichert werden kann...
Innerstaatlich geht es ... um die nicht weniger leicht zu lösenden Probleme des Miteinanderaus-
kommens von Menschen unterschiedlicher kultureller Herkunft, um die Probleme ,multikuitureller
Gesellschaften', wie sie sich auch in dem ,Einwanderungsland' Deutschland heute verstärkt stellen.
Dies gilt auch für alle historisch forschenden Humanwissenschaften. . Zumindest seit dem Entste-
hen der Hochkulturen im Vorderen Orient und im Mittelmeerraum, seit der Zunahme der Bevölke-
rung, der Wanderung von Stämmen und Völkern, der überregionalen Verbreitung von Waren, der
Herausbildung von Staaten und Imperien, der Entwicklung und Verbreitung von Schriftsystemen ist
der kulturelle Kontakt zwischen alteingesessenen und zugewanderten Völkern in diesem Teil der
Erde nicht mehr unterbrochen worden, so daß es hier im strengen Sinne keine isolierte autochtho-
ne kulturelle Entwicklung gibt. Der Normalfall ist über die Jahrhunderte und -tausende die Suche,
die Übernahme, die Assimilation, die Unterwerfung, die Abwehr, die Abstoßung und Verwandlung
des fremden und die Verbreitung des eigenen Kulturguts, so daß Gruppen und Völker ihre beson-
dere kulturelle Identität immer nur in einem prekären Prozeß des aktiven und kreativen Austauschs
mit ihren Nachbarn und Partnern haben bewahren und entwickeln können. Immer war so der Um-
gang mit dem Fremden von der frühgeschichtlichen Zeit bis zur Moderne von existentieller Bedeu-
tung für die Völker und Individuen, für ihre kulturelle Selbstbehauptung oder ihre Akkulturation."
Der Arbeitskreis geht von einem weitgefaßten Erziehungs- und Bildungsbegriff aus, denn „in vor-
modernen Gesellschaften sind Erziehungs- und Bildungsprozesse zumeist noch nicht als selbständi-
ge gesellschaftliche Phänomene greifbar, sondern sind in die übrigen Lebens- und Lernprozesse so
eingebunden, daß sie sich überhaupt nur im jeweiligen gesamtkulturellen Zusammenhang erfassen
und deuten lassen, und wer als .Fremder' bzw. was als .Fremdes' zu betrachten ist, bestimmt sich
deswegen ebenfalls ganz aus der jeweiligen historisch-gesellschaftlichen Struktur."
An der Tagung beteiligten sich „neben den Vertretern der Historischen Pädagogik Forscher aus der
Klassischen Philologie, der Alten Geschichte, der Byzantinistik, der Mediävistik, der Neueren Ge-
schichte, der Theologie, der Judaistik und der Musikwissenschaft." - Den Eröffnungsvortrag hielt
der Erziehungswissenschaftler UWE SANDFUCHS (Dresden); unter dem Thema /(a/faranf/i;*opo/og/.sc/7e
Ansätze zu M/graf/onsforscdung und /Cu/fursoz/o/ogt'e „zeigte der Referent auf, was jemanden in
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