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Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 38.1995

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Buchbesprechungen
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[Rezension von: Joachim Latacz, Einführung in die griechische Tragödie]
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https://doi.org/10.11588/diglit.33096#0035

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Latacz, Joachim.' F/nführung In d/'e gr/ecb/sche Tragödie. Gött/ngen/ S/andenhoecAr & Ruprecht
7993. fdfB. 7 745). 425 3. 39,30 DM (75BA/3-S252-7745-0)
Diese Einführung ist aus einer Vorlesung hervorgegangen, die Joachim Latacz viermal für Hörer
aller Fakultäten an den Universitäten Mainz und Basel gehalten hat. Diesem Charakter einer (freilich
gründlichen und anspruchsvollen) Einführung für Außenstehende oder Anfänger entspricht es,
wenn Latacz z. B. auch erklärt, woher Viten stammen, was Scholiasten und was Didaskalien sind
und wenn er jeweils in unterschiedlichem Umfang in den Mythos einführt, der der jeweiligen Tra-
gödie zugrundeliegt. Eben dies läßt das vorliegende Buch außerordentlich geeignet erscheinen, um
es im Unterricht der gymnasialen Oberstufe zu verwenden, sowohl zur eigenen Vorbereitung als
vor allem auch, um es Schülern für Referate in die Hand zu geben. Zudem ist es ausgezeichnet
durch die Qualitäten, die man von Latacz' anderen Büchern für einen ähnlichen Personenkreis ge-
wohnt ist: eine klare und präzise Diktion, Solidität der vorgelegten Ergebnisse, eine Betrachtungs-
weise, die die äußeren Bedingungen der literarischen Produktion stets beachtet, aber der imma-
nenten und strukturellen Betrachtungsweise ihr volles Recht zukommen läßt.
Nicht „das Tragische" an sich, wie es Albin Lesky in seiner inzwischen klassischen „Griechischen
Tragödie" in Kröners Taschenausgaben ergründen wollte, sondern die ganz spezifischen Eigenarten
der griechischen Tragödie stellt Latacz in den einleitenden Kapiteln dar, und er erklärt sie weitge-
hend aus der Rezeptionssituation: der Gebundenheit an einen Ort, an einen bestimmten Anlaß, an
die Wettbewerbssituation und an die äußeren Mittel der Aufführung. Einige Illusionen nimmt er
denen, die an dem hohen Niveau der erhaltenen Tragödien die überaus hohe Bildung des atheni-
schen Publikums ablesen wollen: er erinnert an die Organisation des Wettbewerbs, die eine strenge
Vorauswahl umfaßte (bei der das Stück, denke ich, doch auch gelesen werden mußte) und
dessen Preisrichter gewiß besonders aufmerksam zuschauten und -hörten. Daß die Bildung des
athenischen Publikums im Gegenteil „demokratie- und kriegsbedingt" um 410 verfallen war, zeige,
daß Euripides es offenbar für notwendig gehalten habe, im Prolog seiner „Phönissen" den Mythos
lückenlos zu referieren (S. 340).
Spekulationen verfolgt Latacz nur dort, wo man ohne Spekulationen nichts zu sagen hätte: darin,
wie der Dionysoskult in das Theater mündete. Für die Entstehung der Tragödie selbst folgt er weit-
gehend Aristoteles: Arion habe den ursprünglich improvisierten Dithyrambos literarisch als Chorge-
sang von Satyrn ausgeformt, Thespis habe, indem er den wtotcpttTig (wahrscheinlich sowohl
„Antworter" als auch „Deuter") hinzufügte, aus dem „Oratorium" ein musikalisches Schauspiel
gemacht.
Den Hauptteil des Buches bilden die Analysen der einzelnen Tragödien - der „Kyklops" bleibt ent-
sprechend dem Titel ausgespart. Als eine Grundlinie der Interpretation verfolgt er diejenige, die
jüngst wieder Christian Meier in seinem Buch über „Athen" so eindrucksvoll behandelt hat: der
jeweils unterschiedlichen Bindung und Bezogenheit der drei Tragödiendichter an die Polis Athen.
Einzelheiten interpretiert Latacz freilich immer wieder immanent: aus der Struktur und aus der Dar-
stellungsabsicht des Dichters heraus, ohne freilich die politische und gesellschaftliche Situation der
jeweiligen Zeit zu vernachlässigen. Fruchtbar scheint mir nicht zuletzt, daß er die Parallele, die
schon Aristophanes zwischen Euripides und Sokrates gezogen hatte, wieder aufgreift: diejenigen,
die nicht Antworten geben, sondern ihrem Publikum Fragen stellen, mit denen es selbst fertig wer-
den muß (auch in bezug auf die Götter). Modeströmungen gegenüber - Latacz verarbeitet ausführ-
lich neue und neueste Literatur - bleibt er eher skeptisch: Daß in Euripides' Bakchen auch die Situa-
tion des Theaters reflektiert werde, sei keine neue Erkenntnis. Es werde jetzt nur gern mit Termini
benannt, „die offenbar schon als Klangkörper das Blut vieler Philologen schneller zirkulieren lassen:
,Selbstreferentiaiität' und, besonders gern ,Metatheater' ..." (S. 294).

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