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Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 38.1995

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Scheer, Markus: Latein - "eine Last, die zu tragen unsere Gesellschaft nicht mehr die Kraft hat?"
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https://doi.org/10.11588/diglit.33096#0051

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gen zu Latein gar von „toten Sprachen" , denen „lebende" geopfert werden sollen (94), wohlwis-
send, daß solche Attribute in der Gegenüberstellung mit dem Ausdruck „moderne Fremdsprachen"
eine gewisse Abwertung in sich schließen. Nur ein einziges Mal handelt Hausmann vom
„klassischen Latein" (93); ansonsten vermeidet er es konsequent, von klassischen Sprachen zu spre-
chen, oder besser: wenn er eine Sprache klassisch nennt, ist es weder Griechisch noch Latein. So sei
nach Alt-, Mittel- und Frühneuhochdeutsch „klassisches Deutsch" zu beherrschen „für unsere heu-
tige Kultur von ähnlicher Relevanz [...] wie die Beherrschung der alten Sprachen" (91f.). Doch was
ist unter klassischem Deutsch zu verstehen? Übliche Darstellungen lassen an das bis etwa 1650
reichende Frühneuhochdeutsch - anders als Hausmann - unmittelbar die Phase des Neuhoch-
deutsch anschließen. Meint Hausmann vielleicht das Deutsch der Klassik? Aber die Klassik beginnt
erst fast 140 Jahre später. Für den ausgesparten Zeitraum bleibt Hausmann eine Bezeichnung
schuldig, obgleich er mit den von ihm angeführten vier Termini „die früheren Sprachstadien des
Deutschen" (91) benennen will.
Weiter spricht Hausmann im Kapitel „Latein - eine tote Sprache" in Anlehnung an Herbert Christ
ausgerechnet der klassischen Sprache Latein im Hinblick auf die Schule drei von „vier klassischen
Fertigkeiten des Fremdsprachenunterrichts" (92) ab. Bei diesen handelt es sich um die produktiven
Fertigkeiten Sprechen und Schreiben und die rezeptiven Fertigkeiten Hören und Lesen.
Zu Unrecht billigt Hausmann allein die Erlernung des Leseverstehens dem Lateinunterricht zu. Ge-
rade weil in der Antike die Literatur überwiegend auf ein Hörerpublikum hin geschrieben ist und
auch der einzelne laut liest, kommt dem Hören für den Zugang zum Text eine große Bedeutung zu.
Dies wird für den Unterricht fruchtbar gemacht. Selbstverständlich sind außerdem wie beim Erler-
nen jeder Sprache so auch im Latein- und Griechischunterricht die produktiven Fertigkeiten gefor-
dert. Elke Wißner-Kurzawa definiert: „Im Rahmen kognitiver Lehr- und Lernprozesse werden als
Grammatikübungen schriftliche und mündliche Sprachproduktionen als Resultate der Befolgung
von Verarbeitungsanweisungen verstanden." Bereits eine einfache Flexionsübung ist ebenso par-
tiell-produktiv wie andere auch im Unterricht der modernen Fremdsprachen verwendete Übungen/
Freilich stehen hier die rein produktiven Übungen im Mittelpunkt des Interesses. Denn kommuni-
kative Kompetenz oder „transnationale Kommunikationsfähigkeit" ist das oberste Lernziel des
Unterrichts der modernen Fremdsprachen. Gerade auf Kommunikation in Latein oder Griechisch ist
aber der Unterricht der klassischen Sprachen in der heutigen Zeit nicht ausgelegt. Die anderen
Lernziele dieses Unterrichts legitimieren die besondere Gewichtung der rezeptiven Fertigkeiten.
Darin mag auch ein Kompromiß gesehen werden angesichts der von Hausmann vertretenen Auf-
fassung, „daß das Erlernen des Lateins für unsere Gesellschaft zu einer Last geworden ist, die zu
tragen sie nicht mehr die Kraft hat und die sie zum größeren, relevanten Teil heimlich bereits ab-
geworfen hat" (92). Gerade die „Last" ungelenkter Übungsformen" in lateinischer Sprache - nicht
dagegen in der Muttersprache, wenn es um die Interpretation geht - ist als Zugeständnis an die
Zeit „abgeworfen" worden. Erst jüngst sind deutsch-lateinische Übersetzungen als Bestandteile von
Klassenarbeiten in Nordrhein-Westfalen kraft offiziellen schulbehördlichen Erlasses „heimlich" auf-
gegeben worden." Dies mag man aus verschiedenen Gründen bedauern. Allerdings hat man da-
durch weder den „größeren" noch den „relevanten Teil" über Bord geworfen. Dem Latein- und
Griechischunterricht ist am richtigen Textverständnis gelegen mit allem, was damit zusammen-
hängt, und dieses kann am ergiebigsten geleistet werden durch die Beschäftigung mit dem Origi-
nal. Der renommierte Freiburger Romanist Hans-Martin Gauger beurteilt eine übertriebene Bewer-
tung der kommunikativen Kompetenz im Unterricht der modernen Fremdsprachen wie folgt: „Es ist
gewiß ein Gewinn, wenn einem der Sprachunterricht dazu verhilft, in einem Restaurant in Frank-
reich besser zurechtzukommen; es ist aber auch ein Gewinn, wenn man bestimmte Werke, sei es

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