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halbes Jahr. Wieder begleitet ihn ein obskurer Kamerad. Mit dem ersten Schritt auf den
Boden des geliebten Landes verschwindet alle Hemmung. Es gibt keinen „Salon“, keine
Medaillen, keine dunklen Mahnungen, nur die Aussicht von neuen Hügeln auf neue
Städte. Genua entsteht, von der Terrasse aus, mit den beiden Mönchen an der Brüstung
(xvm),Typus vieler neuen Bilder. Der hochgelegene erste Plan,begrenzt von der sauber
profilierten Brüstung, die im Zickzack durch die ganze Breite geht, hat wohltuende Weite.
Wie anders wirkt hier die Leere! Man genießt sie wie die Ausdehnung eines wohlge-
bauten Platzes in der Stadt. Das Auge saugt sich voll von Raum und gewinnt die Span-
nung, um die reiche Fülle von Bauwerk in der Ferne, ein vielfach gegliedertes Tonge-
spinst, aufzunehmen. Links, jenseits des Teils der Brüstung, wo die beiden Mönche
stehen, schiebt sich der zweite Plan mit der kahlen Wand des Klosters dazwischen,
Hintergrund für die Mönche, Vordergrund für einen dritten und vierten Plan. Die breite
Horizontale verankert das Zickzack der Brüstung und ebnet zugleich die Fernsicht. Das
Häusermeer setzt die horizontale Linie der Klostermauer fort. Der Turm der Kloster-
kirche, die höchste Erhöhung, hilft allen Türmen im Hintergrund. Wieder so ein Leucht-
turm. Ein ganzer Kontrapunkt des Raums steckt in dem Bilde. Die Struktur der Zeich-
nung und die der Töne ergänzen sich. Der Vergleich mit den frühen Rombildern ergibt
eine merkbare Zunahme des Subjektiven. Sie äußert sich in der Wahl des Ausschnitts,
in strafferer Gliederung der Massen, stärkerer Betonung der Differenzen, aber gibt nichts
von dem in Rom Erworbenen auf. Man konnte sich einbilden, lediglich die andere Stadt
bedinge die andere Behandlung. Er malt Genua mit dem Meer, ein winziges Format
CR 3 26), Genua von Aqua Sola aus (R 301), die Perle der Sammlung Ryerson im Mu-
seum von Chicago. Liier ist aus der Terrasse ein reich bewegter Vordergrund geworden,
und die Rolle des Klosters übernimmt auf der Linken die Ecke des Palazzos. Rechts
steigt der krausbewaldete Hügel zur gleichen Höhe hinauf; dazwischen und dahinter das
Häusermeer. Die Absicht ist deutlich, meinetwegen der Ausschnitt einer Ansichtspost-
karte. Das sagt so wenig von dem Resultat wie die unvermeidliche Gliederung eines
Gesichts in Mund, Nase, Schopf von der Eigenart eines Bildnismalers. So ein Bild kann,
um die Vielheit zu ordnen, gar nicht genug Postkarte sein. In Chicago flüchtet man zu
ihm, um eine menschliche Seele zu treffen.
Von Genua ging es auf einen Tag nach Pisa, wo er im Campo Santo das Jüngste Gericht
in sein Skizzenbuch eintrug, eine über die Maßen komische Biedermeierzeichnung. So wird
Giotto vom kleinen Moritz gesehen. Der Teufel mit den gezackten Fledermausflügeln
und der zottligen Bekleidung der Beine könnte auf den Opernball gehen. Jede Natur war
ihm zugänglich. Vor Bildern hatte er keine Hände, auch wenn die Bewunderung überlief.
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halbes Jahr. Wieder begleitet ihn ein obskurer Kamerad. Mit dem ersten Schritt auf den
Boden des geliebten Landes verschwindet alle Hemmung. Es gibt keinen „Salon“, keine
Medaillen, keine dunklen Mahnungen, nur die Aussicht von neuen Hügeln auf neue
Städte. Genua entsteht, von der Terrasse aus, mit den beiden Mönchen an der Brüstung
(xvm),Typus vieler neuen Bilder. Der hochgelegene erste Plan,begrenzt von der sauber
profilierten Brüstung, die im Zickzack durch die ganze Breite geht, hat wohltuende Weite.
Wie anders wirkt hier die Leere! Man genießt sie wie die Ausdehnung eines wohlge-
bauten Platzes in der Stadt. Das Auge saugt sich voll von Raum und gewinnt die Span-
nung, um die reiche Fülle von Bauwerk in der Ferne, ein vielfach gegliedertes Tonge-
spinst, aufzunehmen. Links, jenseits des Teils der Brüstung, wo die beiden Mönche
stehen, schiebt sich der zweite Plan mit der kahlen Wand des Klosters dazwischen,
Hintergrund für die Mönche, Vordergrund für einen dritten und vierten Plan. Die breite
Horizontale verankert das Zickzack der Brüstung und ebnet zugleich die Fernsicht. Das
Häusermeer setzt die horizontale Linie der Klostermauer fort. Der Turm der Kloster-
kirche, die höchste Erhöhung, hilft allen Türmen im Hintergrund. Wieder so ein Leucht-
turm. Ein ganzer Kontrapunkt des Raums steckt in dem Bilde. Die Struktur der Zeich-
nung und die der Töne ergänzen sich. Der Vergleich mit den frühen Rombildern ergibt
eine merkbare Zunahme des Subjektiven. Sie äußert sich in der Wahl des Ausschnitts,
in strafferer Gliederung der Massen, stärkerer Betonung der Differenzen, aber gibt nichts
von dem in Rom Erworbenen auf. Man konnte sich einbilden, lediglich die andere Stadt
bedinge die andere Behandlung. Er malt Genua mit dem Meer, ein winziges Format
CR 3 26), Genua von Aqua Sola aus (R 301), die Perle der Sammlung Ryerson im Mu-
seum von Chicago. Liier ist aus der Terrasse ein reich bewegter Vordergrund geworden,
und die Rolle des Klosters übernimmt auf der Linken die Ecke des Palazzos. Rechts
steigt der krausbewaldete Hügel zur gleichen Höhe hinauf; dazwischen und dahinter das
Häusermeer. Die Absicht ist deutlich, meinetwegen der Ausschnitt einer Ansichtspost-
karte. Das sagt so wenig von dem Resultat wie die unvermeidliche Gliederung eines
Gesichts in Mund, Nase, Schopf von der Eigenart eines Bildnismalers. So ein Bild kann,
um die Vielheit zu ordnen, gar nicht genug Postkarte sein. In Chicago flüchtet man zu
ihm, um eine menschliche Seele zu treffen.
Von Genua ging es auf einen Tag nach Pisa, wo er im Campo Santo das Jüngste Gericht
in sein Skizzenbuch eintrug, eine über die Maßen komische Biedermeierzeichnung. So wird
Giotto vom kleinen Moritz gesehen. Der Teufel mit den gezackten Fledermausflügeln
und der zottligen Bekleidung der Beine könnte auf den Opernball gehen. Jede Natur war
ihm zugänglich. Vor Bildern hatte er keine Hände, auch wenn die Bewunderung überlief.