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Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]; Hehl, Ernst-Dieter [Bearb.]
Das Papsttum in der Welt des 12. Jahrhunderts — Mittelalter-Forschungen, Band 6: Stuttgart, 2002

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Felten, Franz J.: Kaisertum und Papsttum im 12. Jahrhundert
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https://doi.org/10.11588/diglit.34720#0128

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Franz J. Felten

als »Wirkverbund von König und Reichsfürsten«111, wie eine heute beliebte Formu-
lierung für das 12. Jahrhundert lautet, im Unterschied zur Königsherrschaft in und
über dem Rangstreit der Großen unter Ottonen und Saliern112? Wenn es eine solche
Konzeption, ein solches Ordnungsmodell gegeben hat - wer hat es entwickelt, oder
hat das, was wir so nennen, sich gewissermaßen aus dem Kräftespiel zwischen Kö-
nig und Fürsten >ergeben<? Beides setzt voraus, daß unsere Beschreibung vergange-
ner politischer Wirklichkeit stimmt, denn die zitierten Begriffe und Formeln
drücken >unsere< Vorstellungen aus, mit denen wir unsere Befunde im nachhinein
ordnen, Ordnungen erkennen, Ordnungsvorstellungen der Zeitgenossen rekon-
struieren, wenn nicht konstruieren - in unserem Vorstellungshorizont113.
Diese Probleme stellen sich auch bei viel weniger komplexen Sachverhalten:
dem Sturz Heinrichs des Löwen etwa. Hat Barbarossa im Verfolgen einer bestimm-
ten Konzeption, zeitweise sprach man sogar von >Reichsreform<, die überragende
Macht des Löwen in wohlkalkulierter Weise zerschlagen, sobald er dazu in der Lage
war - oder war 1179/80 seine Entscheidungsfreiheit durch die Fürsten, insbesonde-
re Philipp von Heinsberg, der denn auch am meisten profitierte, sehr eingeschränkt.

reits) in der Zeit der Minderjährigkeit Heinrichs IV. seit 1062, vollends dann seit der Krise seines
Königtums von 1077 ihre ausschließliche Verantwortung für das Reich und forderten sie offen-
siv gegenüber dem König ein«. Vgl. auch Schlick, Die wiedergefundene Eintracht (wie
Anm. 106); Dies., König, Fürsten und Reich (wie Anm. 101), S. Uff. - Die ältere Forschung
sprach hingegen von >Eigenmacht< und >Selbständigkeit< der Fürsten, die so unheilvoll gewach-
sen sei, daß selbst ein Barbarossa nur mit den Fürsten, nicht gegen sie herrschen und die Reichs-
gewalt nur durch auswärtige Unternehmungen, nicht durch innere Maßnahmen stärken konn-
te«, so Herbert Grund mann, Kaiser Friedrich II. 1194-1250, in: Die Großen Deutschen. Neue
Deutsche Biographie, hg. von Willy Andreas/Wilhelm von Scholz, Bd. 1, Berlin 1935,
S. 124-142, Zit. S. 133f., wieder in: Stupor Mundi. Zur Geschichte Friedrichs II. von Hohenstau-
fen, hg. von Günther G. Wolf (Wege der Forschung 101), Darmstadt 21982, S. 7-31, Zit. S. 20.
Vgl. auch noch 1989 eine Formulierung wie: »... wir beobachten bei ihm (Lothar III.) einige An-
sätze, die sich m. E. tragfähiger erwiesen hätten, wenn Friedrich Barbarossa daran angeknüpft
hätte, um die Superiorität des Königs gegenüber der Adelswelt zu behaupten« (Odilo Engels,
in: Reichenau-Protokoll Nr. 311 [wie Anm. 1], S. 86).
111 Schneidmüller, Konsensuale Herrschaft (wie Anm. 107), S. 54 und passim, bes. die Literatur in
Anm. 56f. und 60. Vgl. auch Stefan Weinfurter, Wendepunkte der Reichsgeschichte im 11.
und 12. Jahrhundert, in: Macht und Ordnungsvorstellungen (wie Anm. 106), S. 19-43: »Die vom
Papst und seinem revolutionären Vorschläge eingeleitete Wende von 1111 hatte damit einen er-
sten Markstein gesetzt für eine Neuordnung des Reiches, die den Reichsbischöfen einen Vor-
rang einräumte und die den König in ein von den Fürsten repräsentiertes Reich eingliederte«
(S. 29); ähnlich auch oben S. 88 in seinem Beitrag: »Papsttum, Reich und kaiserliche Autorität.
Von Rom 1111 bis Venedig 1177«.
112 Noch >offener< definiert Joachim Ehlers das Reich: »kein Zustand, sondern ein auf Integration
gerichteter Vorgang, dem immer wieder neu die Voraussetzungen geschaffen werden mußten«
(Reichenau-Protokoll Nr. 312 [wie Anm. 1], S. 112); ähnlich Keller, Investitur (wie Anm. 62),
S. 77; vgl. Vollrath, Politische Ordnungsvorstellungen (wie Anm. 54), S. 42.
113 Nicht immer wird der Standpunkt so deutlich offen gelegt wie von Gerd Tellenbach, Libertas.
Kirche und Weltordnung im Zeitalter des Investiturstreites (Forschungen zur Kirchen- und Gei-
stesgeschichte 7), Stuttgart 1936, S. 198: »Für den Protestanten gibt es daher keine Instanz, die
dem Staate gebieten könnte, sondern die Würde des Staates wird nach seiner Anschauung von
keiner anderen Einrichtung auf Erden übertroffen. Andererseits: So sehr er die Obrigkeit als
göttliches Geschenk für das Irdische verehrt, die Schranken zwischen dem Staat und dem Reich
des Evangeliums werden wieder so streng gezogen wie nur je in der Geschichte des Christen-
tums.«
 
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