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Einleitung
2. Ein Diskurs über die Position des Königs:
Ziel und Aufbau dieser Arbeit
Neben den vorläufig nur angedeuteten politischen Motiven sind die Übergangsri-
tuale zum Herrschertod im christlichen Mittelalter gleichermaßen durch religiöse
Elemente geprägt. Diese religiösen Aspekte, die Einstellungen der mittelalterlichen
Menschen zu Tod und Jenseits, ihre Rituale von Sterben, Bestattung und Gedächt-
nis sind seit den 1970er Jahren Gegenstand intensiver historischer Forschung. In-
ternational am bekanntesten ist die französische Schule der Annales, die Mentalitä-
tengeschichte oder - moderner - die histoire des imaginaires, deren Monument zu
diesem Thema immer noch Philippe Ariès' >L'homme devant la mort< von 1977 ist52.
Weitere Arbeiten von ihm, Michel Vovelle und anderen gruppieren sich darum53.
Ihre Rezeption im Ausland war und ist oft mit Kritik verbunden, doch bilden die
wesentlichen Ansätze der Mentalitätengeschichte heute die Grundlage fast aller
Forschungen zum Thema Tod im Mittelalter54.
In Deutschland entwickelte sich etwa gleichzeitig die memoria-Forschung, die
Bedeutung und Struktur der »Gemeinschaft der hebenden und Verstorbenen« un-
tersucht55. Der ursprünglich dominierende personengeschichtliche Aspekt ist mitt-
lerweile in den Hintergrund getreten. In Auseinandersetzung und Anregung mit
der Schule der Annales stehen nun Fragen nach Jenseits Vorstellungen und sozialen
Beziehungen im Vordergrund. Vor allem die jüngste Forschung etabliert memoria
immer stärker als allgemeines Paradigma mittelalterlicher Denkstrukturen und löst
sie damit aus einem spezifischen Sepulkralkontext56.
Die religiöse Dimension des christlichen Todes - Wie starb man? Wie sah das
Jenseits aus? Wie suchte man, sich das Paradies zu sichern? - diese Aspekte und ihre
inzwischen unüberschaubare Publikationsflut zusammen mit dem Axiom vom
überaus christlichen Mittelalter haben über zwei Jahrzehnte den Blick auf die poli-
tische Dimension von Sterben, Tod und Begräbnis verstellt. Dabei gab es vor der
hausse des Todes seit den 1970er Jahren durchaus Ansätze, auch die weltlichen
Aspekte zu untersuchen"', doch gerieten sie unter der Wucht der religiös orientier-
ten Geschichte des Todes und des Totengedenkens weitgehend aus der Übung. Erst
52 Deutsch erstmals 1980 erschienen.
53 In Auswahl: Ariès 1976 (franz. 1975); Ariès 1984 (franz. 1983); Vovelle 1976; Vovelle 1983; Vovelle
1993. Vgl. weiter Le Goff 1990 (franz. 1981); Kat. Lyon 1993.
54 Vgl. McManners 1981; Gurjewitsch 1983; Borst 1988, 567-598; Kongr. Konstanz 1991; Binski
1996; Kortüm 1996,23f., 257-267; Daniell 1997. In der zuweilen scharfen Distanzierung von der
Mentalitätengeschichte wurde und wird allzu oft übersehen, daß diese ihre Ergebnisse fast aus-
schließlich an französischem Material erarbeitet hat. Sie lassen sich daher weder ungeprüft auf
andere Regionen übertragen, noch rechtfertigen abweichende Erscheinungen, die Mentalitä-
tengeschichte als Ganzes zu verwerfen.
55 In Auswahl: Oexle 1976; Oexle 1983; Schmid 1983; Schmid u. Wollasch 1984; Schmid 1985;
Wollasch 1989; Oexle 1994a.
56 Z.B. Oexle 1991; Oexle 1993a; Oexle 1993b; Oexle 1994; Michalsky 2000.
57 Z.B. Giesey 1960; Brückner 1965; Brückner 1966; Beaune 1975; Erlande-Brandenburg 1975.
Einleitung
2. Ein Diskurs über die Position des Königs:
Ziel und Aufbau dieser Arbeit
Neben den vorläufig nur angedeuteten politischen Motiven sind die Übergangsri-
tuale zum Herrschertod im christlichen Mittelalter gleichermaßen durch religiöse
Elemente geprägt. Diese religiösen Aspekte, die Einstellungen der mittelalterlichen
Menschen zu Tod und Jenseits, ihre Rituale von Sterben, Bestattung und Gedächt-
nis sind seit den 1970er Jahren Gegenstand intensiver historischer Forschung. In-
ternational am bekanntesten ist die französische Schule der Annales, die Mentalitä-
tengeschichte oder - moderner - die histoire des imaginaires, deren Monument zu
diesem Thema immer noch Philippe Ariès' >L'homme devant la mort< von 1977 ist52.
Weitere Arbeiten von ihm, Michel Vovelle und anderen gruppieren sich darum53.
Ihre Rezeption im Ausland war und ist oft mit Kritik verbunden, doch bilden die
wesentlichen Ansätze der Mentalitätengeschichte heute die Grundlage fast aller
Forschungen zum Thema Tod im Mittelalter54.
In Deutschland entwickelte sich etwa gleichzeitig die memoria-Forschung, die
Bedeutung und Struktur der »Gemeinschaft der hebenden und Verstorbenen« un-
tersucht55. Der ursprünglich dominierende personengeschichtliche Aspekt ist mitt-
lerweile in den Hintergrund getreten. In Auseinandersetzung und Anregung mit
der Schule der Annales stehen nun Fragen nach Jenseits Vorstellungen und sozialen
Beziehungen im Vordergrund. Vor allem die jüngste Forschung etabliert memoria
immer stärker als allgemeines Paradigma mittelalterlicher Denkstrukturen und löst
sie damit aus einem spezifischen Sepulkralkontext56.
Die religiöse Dimension des christlichen Todes - Wie starb man? Wie sah das
Jenseits aus? Wie suchte man, sich das Paradies zu sichern? - diese Aspekte und ihre
inzwischen unüberschaubare Publikationsflut zusammen mit dem Axiom vom
überaus christlichen Mittelalter haben über zwei Jahrzehnte den Blick auf die poli-
tische Dimension von Sterben, Tod und Begräbnis verstellt. Dabei gab es vor der
hausse des Todes seit den 1970er Jahren durchaus Ansätze, auch die weltlichen
Aspekte zu untersuchen"', doch gerieten sie unter der Wucht der religiös orientier-
ten Geschichte des Todes und des Totengedenkens weitgehend aus der Übung. Erst
52 Deutsch erstmals 1980 erschienen.
53 In Auswahl: Ariès 1976 (franz. 1975); Ariès 1984 (franz. 1983); Vovelle 1976; Vovelle 1983; Vovelle
1993. Vgl. weiter Le Goff 1990 (franz. 1981); Kat. Lyon 1993.
54 Vgl. McManners 1981; Gurjewitsch 1983; Borst 1988, 567-598; Kongr. Konstanz 1991; Binski
1996; Kortüm 1996,23f., 257-267; Daniell 1997. In der zuweilen scharfen Distanzierung von der
Mentalitätengeschichte wurde und wird allzu oft übersehen, daß diese ihre Ergebnisse fast aus-
schließlich an französischem Material erarbeitet hat. Sie lassen sich daher weder ungeprüft auf
andere Regionen übertragen, noch rechtfertigen abweichende Erscheinungen, die Mentalitä-
tengeschichte als Ganzes zu verwerfen.
55 In Auswahl: Oexle 1976; Oexle 1983; Schmid 1983; Schmid u. Wollasch 1984; Schmid 1985;
Wollasch 1989; Oexle 1994a.
56 Z.B. Oexle 1991; Oexle 1993a; Oexle 1993b; Oexle 1994; Michalsky 2000.
57 Z.B. Giesey 1960; Brückner 1965; Brückner 1966; Beaune 1975; Erlande-Brandenburg 1975.