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Meier, Thomas; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]
Die Archäologie des mittelalterlichen Königsgrabes im christlichen Europa — Mittelalter-Forschungen, Band 8: Stuttgart, 2002

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.34722#0371

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Die Abwesenheit des Realen

357

Die konkrete Konstruktion von Autorität in Ritualen hat allerdings mit dem
Problem zu kämpfen, daß die ideale Existenz gemäß der transzendenten Ordnung
als allgemeine Referenz der Autorität der Versuch eines Gegen-Lebens ist, indem
die transzendente Ordnung als Gegenthese zum realen Leben konstruiert ist. Um
bei den Zuschauern wirken zu können, dürfen die Rituale daher nicht allein am
idealen Gegen-Leben orientiert sein, sondern müssen Kompromisse mit dem realen
Leben eingehen, müssen aus den Praktiken und Konzepten gegriffen sein, die das
Leben normaler Menschen beherrschen2's: »Royal symbolism is, I believe, construc-
ted out of non-royal symbolism, both logically and probably also historically«2'4. In-
dem ihnen die königlichen Rituale aus dem eigenen Leben vertraut sind, werden
die Zuschauer zu Teilnehmern, und die transportierten Botschaften werden auf der
Grundlage eigener Erfahrung für wahr gehalten. Nur so entwickelt königliches Ri-
tual emotionale und ideologische Kraft auf die Teilnehmer280.
Auch diese Lorderungen finden wir in mittelalterlichen Königsbestattungen er-
füllt: Am deutlichsten in den externen Motiven der imitatio, wo jedem mittelalterli-
chen Menschen bekannte ikonographische Elemente, insbesondere des Heiligen-
kults, in das königliche Ritual integriert wurden. Im Gegenzug bestätigt die These
Blochs unsere Beobachtung, daß Neues /Lremdes nur an untergeordneter Stelle und
auf dem Umweg über den stupor eingebracht werden konnte, um die Verständlich-
keit des Zeichens durch die Zuschauer nicht zu gefährden. Nicht anders bei den in-
ternen Motiven, denn auch sie sind sämtlich aus der Erfahrungswelt der Zuschauer
gegriffen. Sie standen zwar den meisten Menschen nicht selbst zur Benutzung of-
fen - so waren der Gebrauch der Insignien auf den König, der Beigaben der
2. Gruppe auf den Adel, der Epitaphien und Authentiken auf die Verfügung über
Schreibkundige beschränkt - vom Sehen her waren sie aber jedermann in ihrer Be-
deutung bekannt241. Die rituelle Funktionalität dieser immanenten Zeichen erhöht
sich weiter, indem sie sich sämtlich auf die Trauerfeier als gemeinsamen Bezugs-
punkt zurückführen lassen, die Bestattungszeremonie, deren unmittelbare Zu-
schauer und Teilnehmer eben der Adel war, also jene Personengruppe, die sich
selbst wenigstens eines Teils der vom Königtum verwandten Motive bediente. In-
sofern kommt der Bestattungszeremonie als Dreh- und Angelpunkt, an dem sich
der archäologische Befund und die rituelle Konstruktion von Autorität zusammen-
finden, zentrale Bedeutung zu.

4. Warum?
Soweit befaßte ich mich damit, Motive an den mittelalterlichen Königsgräbern her-
auszuarbeiten, zu vergleichen und ihre Wirkung zu beschreiben. Erklärt ist bislang
noch nichts. Warum beispielsweise fertigte man 1327 erstmals eine effigy an? Weil
der Leichnam Edwards II schon halb verwest war, schön, aber das ist keine Er-

278 Bloch u. Parry 1980,11,38-42; Bloch 1987, 272.
279 Bloch 1987, 295; vgl. Cannadine 1987,15f.
280 Bloch 1987, 295f.
281 Zur mittelalterlichen Öffentlichkeit und non-verbalen Zur-Schau-Stellung im allgemeinen vgl.
Althoff 1993.
 
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