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Studer Immenhauser, Barbara; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]
Verwaltung zwischen Innovation und Tradition: die Stadt Bern und ihr Untertanengebiet 1250 - 1550 — Mittelalter-Forschungen, Band 19: Ostfildern, 2006

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.34733#0116
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II. Die Verwaltung der Stadt

waren auch in der Lage, diese im praktischen Alltag umzusetzen, indem sie den
Schriftverkehr und die interne Aktenablage fortlaufend so verbesserten, dass sie mit
den ständig anwachsenden Anforderungen der Obrigkeit Schritt zu halten ver-
mochten. Dies hatte zur Folge, dass sich die Kanzlei innerhalb der gut 180 Jahren
zwischen ihrer eigentlichen »Erschaffung« durch Justinger und Cyros Rücktritt
massiv verändert hat. Sie entwickelte sich in dieser Zeit von einer nur ad hoc
Urkunden ausfertigenden Schreibstube vor dem Amtsantritt von Justinger, über
eine noch immer in einem Privathaus agierenden, aber doch bereits äusserst effizi-
ent arbeitenden Kanzlei mit mehreren fest angestellten Schreibern unter Fricker bis
hin zu einer richtigen »Schreibfabrik« in einem öffentlichen Gebäude neben dem
Rathaus mit eigenem Archivgewölbe unter Cyro. Die in dieser Zeit zu beobachtende
Verschriftlichung der städtischen Administration ermöglichte nicht nur eine Ob-
jektivierung der Verwaltung, indem sie nicht mehr allein auf dem Erinnerungs-
vermögen einzelner Amtsträger beruhte, sondern löste die Ämter im Sinne einer
Institutionalisierung auch vom Individuum und ermöglichte damit erst ein kontiu-
nierliches Zweckhandeln.
Der Kleine Rat, der die Stadtschreiber nach Bern berief und ansteilte, handelte
hier äusserst prospektiv. Dies zeigt sich insbesondere darin, dass er über mehr als
150 Jahre hinweg, jeweils bemerkt zu haben scheint, wenn nach einer Periode mit
einem »eigenen« Schreiber, der keine Neuerungen eingeführt hatte, wieder frischer
Wind notwendig war und er sich ausserhalb des eigenen Territoriums nach einem
Kanzler umsehen musste. In solchen Momenten waren die Ratsherren nicht nur
bereit, im Notfall auch eine mehrere Monate andauernde Vakanz in Kauf zu neh-
men, sondern nötigenfalls auch Einheimische vor den Kopf zu stossen, indem sie
nicht diese zum angesehensten Schreiberamt beförderten, sondern ihnen einen
Fremden vor die Nase setzten. Es muss davon ausgegangen werden, dass Bern sei-
ne ständig wachsende Macht und Grösse nicht hätte halten können, wenn es nicht
über eine reibungslos funktionierende und den jeweiligen Bedürfnissen angepasste
Kanzlei verfügt hätte. Insbesondere der für die späteren Geschicke so wichtige Mur-
tenkrieg hätte ohne die hunderten von Missiven und Ze&ü, die Thüring Fricker in
dieser Zeit zusammen mit seinen Gehilfen jeweils innert kürzester Zeit verfasst hat,
wahrscheinlich einen anderen Ausgang genommen. Die Herren im Kleinen Rat
konnten noch so geniale Ideen haben - wenn sie nicht verwaltet und zielgerichtet
umgesetzt wurden, so verpufften sie nutzlos. Ohne das »Nervenzentrum« der
Kanzlei wären sie wohl hilflos gewesen.

2.3 Die städtische Wirtschaft: Finanzverwaltung, Handel und Gewerbe
Das Wachstum und die Entwicklung einer mittelalterlichen Stadt waren von einer
gut funktionierenden und prosperierenden Wirtschaft abhängig. Lag die Stadt wie
im Fall von Bern jedoch nicht an einer bereits seit langer Zeit bestehenden und seit
der Antike intensiv begangenen Handelsstrasse^, so brauchte sie nicht nur viel

498 Zur ungünstigen Lage Berns im Verkehrsnetz innerhalb der Eidgenossenschaft vgl. GERBER,
Die städtische Wirtschaft, S. 202f.
 
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