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Peltzer, Jörg [Oth.]; Schwedler, Gerald [Oth.]; Töbelmann, Paul [Oth.]; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]
Politische Versammlungen und ihre Rituale: Repräsentationsformen und Entscheidungsprozesse des Reichs und der Kirche im späten Mittelalter — Mittelalter-Forschungen, Band 27: Ostfildern, 2009

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Kaufhold, Martin,: Entscheidungsspielräume im Spannungsfeld von Repräsentation und Ritual
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https://doi.org/10.11588/diglit.34740#0271

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Martin Kaufhold

Unterschied zum Reich, wo die Kurfürsten nach ihrem Selbstverständnis das
Reich repräsentierten). Und wer sich gegen diesen parlamentarischen Prozess
stellte, der wurde energisch bekämpft - und immer häufiger auch getötet. Die
Tötung politischer Gegner wurde zu einer finsteren Routine im englischen
späten Mittelalter.24 Das hatte durchaus eine Logik: wenn die entscheidenden
Anliegen des Königreiches im Parlament zu verhandeln waren, dann verlor die
Verfolgung politischer Interessen außerhalb des Parlaments die Legitimation.
Widerstand gegen die Entscheidungen des Parlaments wurde in Krisenzeiten
zu Hochverrat, der mit dem Tod bestraft wurde. Benennungen wie das »Gna-
denlose Parlament« (von 1388) waren durchaus begründet - ein »gnadenloses
Kurfürstentreffen« im Apfelgarten von Rense ist dagegen schwer vorstellbar.25
Das englische Parlament hatte ganz andere politische Spannungen auszuhalten
als die Versammlung der Kurfürsten, und es bot sich auch in ganz anderer Wei-
se als Bühne an: die Zahl der Mitglieder des Parlaments war deutlich höher als
die Zahl der Kurfürsten und ihrer Gefolgsleute. Insofern war auch der Druck
in Richtung auf eine Formalisierung des Verfahrens und des Zeremoniells er-
heblich.
Der Modus Tenendi Parliamentum aus den 1320er/1330er Jahren gibt eine erste
Vorstellung von der Sitzordnung und dem Verfahren des Parlaments.26 Aller-
dings lassen die chronikalischen Berichte über die tatsächlich abgehaltenen
Parlamentssitzungen erkennen, dass der kurze Text keine etablierte Verfah-
rensordnung wiedergab - in den dramatischen Entscheidungssituationen ging
es erkennbar anders zu.27 Vielmehr ging es beim Modus wohl um eine ideali-
sierte Form. Schon die Überlieferung des Textes lässt erkennen, dass er in jene
Gruppe von Texten gehört, die für die Phase der Formierung des englischen
parlamentarischen Prozesses typisch war, in der sich das sogenannte Statute
als authentischer Ausdruck wichtiger Entscheidungen der Gesamtheit des Kö-
nigreiches durchsetzte.28 Die Entscheidungen des 14. Jahrhunderts wurden von
24 Vgl. dazu zuletzt die verschiedenen Krisen der politischen Geschichte Englands seit dem
14. Jahrhundert: Kaufhold, Die Rhythmen der politischen Reform im späten Mittelalter (wie
Anm. 1), Kap. 7, 9 und 10.
25 Vgl. eine Zusammenstellung der wichtigsten Quellen in Select Documents of English Con-
stitutional History 1307-1485, hg. von Chrimes/Brown (wie Anm. 10), S. 139-152; vgl. auch
Anthony J. Tuck, Richard II and the English Nobility, London 1973, S. 121.
26 Vgl. Anm. 14.
27 Vgl. etwa die Zusammenstellung einschlägiger Berichte über die Absetzung Edwards II. und
Richards II. in Select Documents of English Constitutional History 1307-1485, hg. von Chri-
mes/Brown (wie Anm. 10), S. 33-36 (Absetzung Edwards II), S. 93-104 (Good Parliament),
S. 129-152 (Parlament unter Richard II.), S. 179-193 (Absetzung Richards II.); vgl. zu die-
sem Aspekt zuletzt Kaufhold, Die Rhythmen politischer Reform im späten Mittelalter (wie
Anm. 1), Kap. 6 und 7.
28 Vgl. zum Statut die verschiedenen Beiträge in dem derzeit im Druck befindlichen Tagungs-
band von Gisela Drossbach, Von der Ordnung zur Norm: Statuten in Mittelalter und Früher
Neuzeit. Akten zur Tagung vom 12.-14. Oktober 2006 in München, Paderborn u. a. (im Druck);
vgl. auch das Kapitel 6 in Kaufhold, Die Rhythmen politischer Reform im späten Mittelalter
(wie Anm. 1) und den Beitrag über die englischen Statuten in dem genannten Band von Gisela
Drossbach.
 
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