4. Vom Bauopfer und der Leiche als Waffe
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frühmittelalterlichen Wohltäter der Kirche mit dem Namen Graf Emundus verweist,
dessen Grab sich unter dieser Säule befinden soll103.
Die Reliquien der Heiligen dienten jedoch nicht nur der Stärkung eines Baus in
dessen Fundamenten, sondern auch zur Stärkung der Mauer in Profanbauten, die eine
Abwehrfunktion zu erfüllen hatten: So brachte man auffällig häufig über den besonders
gefährdeten Stellen von Burgen Kapellen an, weil damit der Leib Christi und die im
Altar liegenden Reliquien solche Plätze wie etwa das Tor der Burg schützten104. Diese
Praxis scheint dabei nicht auf die lateinische Christenheit beschränkt gewesen zu sein;
Odorich von Pordenone berichtet über die Stadt Trapezunt, dass über einem der Stadt-
tore die Reliquien des Heiligen Athanasius aufbewahrt würden105. Damit schützte auch
hier der Leichnam des Heiligen das Tor - eine Vorstellung, die dem westlichen Leser
von Odorichs Bericht aus seinem eigenen Lebensumfeld bekannt war.
Umgekehrt konnte auch der Leichnam als Waffe gegen Gebäude und ihre Bewoh-
ner eingesetzt werden, etwa wenn man bei Belagerungen das Wasser in Brunnen und
Flüssen durch die Körper der Gefallenen verunreinigte106. Dieser Einsatz von Leichen
wurde trotz seiner Gebräuchlichkeit in den Auseinandersetzungen im Abendland of-
fenbar als besonders menschenverachtend betrachtet, weshalb man ihn etwa den im
13. Jahrhundert vor den Toren Europas stehenden Mongolen zutraute. Der päpstliche
Legat Johannes von Plano Carpini beschreibt so die Kampftaktiken der Mongolen und
bemerkt, dass sie bei Belagerungen griechisches Feuer verwenden „und manchmal
nehmen sie sogar den Speck von Menschen, die sie töten, und schleudern ihn in flüs-
sigem Zustand über die Häuser - und wo auch immer Feuer mit diesem Fett in Berüh-
rung kommt, brennt es fast unauslöschlich. Man kann es aber, wie es heißt, löschen,
indem man Wein oder Bier darübergießt, und wenn es auf Fleisch fällt, kann man es mit
den Handflächen ausschlagen"107. Abgesehen von einer ähnlichen chinesischen Quelle
bleibt diese Aussage singulär108. Erst im 14. Jahrhundert lässt sich ein vergleichbarer
Vorwurf belegen: 1346 sollen die Mongolen bei der Belagerung von Caffa auf der Krim
ihre Pesttoten über die Stadtmauern geschleudert haben109. Darf man diesem Bericht
glauben, so stünde dieser Einsatz von Leichen im Krieg am Beginn einer der furcht-
los Heute erinnert eine Inschrift auf einem weißen Marmor stein aus der zweiten Hälfte des 18. Jahr-
hunderts an einem Pfeiler zwischen den nördlichen Seitenschiffen des Langhauses daran, dass
sich dieser gotische Pfeiler auf dem Platz des Emundus-Grabes erhebt.
104 Ein Beispiel hierfür ist die Kapellenapsis der Burgkapelle von Burg Landsberg bei Barr im El-
sass aus der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts, die direkt über dem Burgtor angelegt wurde;
vgl. hierzu Dinzelbacher, Hochmittelalter 73-74.
105 „In hac civitate positum est corpus Atanasii super ipsius portam civitatis." Odorich von Porde-
none, Relatio 415 [1,3].
106 Ein Beispiel hierfür stellt die Belagerung von Tortona durch das Herr Friedrichs I. Barbarossa
im Jahr 1155 dar, bei dem man Leichen in den das Trinkwasser für die Stadt liefernden Fluss
warf; vgl. hierzu Görich, Barbarossa 237. Zum Einsatz von Leichen als Waffe vgl. die Überlegun-
gen von Ohnhäuser, Beweisen, sowie knapper in: Ohnhäuser, Leiche.
107 „Et si eam taliter habere non possunt, grecum prohiciunt ignem, immo solent aliquando acci-
pere arvinam hominum quos occidunt, et liquefactam prohiciunt super domos. Et ubicumque
venit ignis super pinguedinem illam, quasi inextinguibiliter ardet. Extingui tarnen potest, ut di-
citur, cum vino vel cervesia superfusa. Et si super carnem ceciderit, confricatione palme manus
potest extingui." Johannes von Plano Carpini, Ystoria 83 [VI,15].
108 Giessauf, Mongolengeschichte 189, Anm. 533, verweist auf diese Quelle, nach der ein mongoli-
scher General bei der Belagerung von Zhengzhou das Fett der Toten zum Schmieren der Belage-
rungsmaschinen verwendet haben soll.
109 Gabriel de Mussis, Ystoria 48-49. Vgl. Bergdolt, Der Schwarze Tod 35-38; Ohnhäuser, Bewei-
sen 248-251 und Ohnhäuser, Leiche 72.
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frühmittelalterlichen Wohltäter der Kirche mit dem Namen Graf Emundus verweist,
dessen Grab sich unter dieser Säule befinden soll103.
Die Reliquien der Heiligen dienten jedoch nicht nur der Stärkung eines Baus in
dessen Fundamenten, sondern auch zur Stärkung der Mauer in Profanbauten, die eine
Abwehrfunktion zu erfüllen hatten: So brachte man auffällig häufig über den besonders
gefährdeten Stellen von Burgen Kapellen an, weil damit der Leib Christi und die im
Altar liegenden Reliquien solche Plätze wie etwa das Tor der Burg schützten104. Diese
Praxis scheint dabei nicht auf die lateinische Christenheit beschränkt gewesen zu sein;
Odorich von Pordenone berichtet über die Stadt Trapezunt, dass über einem der Stadt-
tore die Reliquien des Heiligen Athanasius aufbewahrt würden105. Damit schützte auch
hier der Leichnam des Heiligen das Tor - eine Vorstellung, die dem westlichen Leser
von Odorichs Bericht aus seinem eigenen Lebensumfeld bekannt war.
Umgekehrt konnte auch der Leichnam als Waffe gegen Gebäude und ihre Bewoh-
ner eingesetzt werden, etwa wenn man bei Belagerungen das Wasser in Brunnen und
Flüssen durch die Körper der Gefallenen verunreinigte106. Dieser Einsatz von Leichen
wurde trotz seiner Gebräuchlichkeit in den Auseinandersetzungen im Abendland of-
fenbar als besonders menschenverachtend betrachtet, weshalb man ihn etwa den im
13. Jahrhundert vor den Toren Europas stehenden Mongolen zutraute. Der päpstliche
Legat Johannes von Plano Carpini beschreibt so die Kampftaktiken der Mongolen und
bemerkt, dass sie bei Belagerungen griechisches Feuer verwenden „und manchmal
nehmen sie sogar den Speck von Menschen, die sie töten, und schleudern ihn in flüs-
sigem Zustand über die Häuser - und wo auch immer Feuer mit diesem Fett in Berüh-
rung kommt, brennt es fast unauslöschlich. Man kann es aber, wie es heißt, löschen,
indem man Wein oder Bier darübergießt, und wenn es auf Fleisch fällt, kann man es mit
den Handflächen ausschlagen"107. Abgesehen von einer ähnlichen chinesischen Quelle
bleibt diese Aussage singulär108. Erst im 14. Jahrhundert lässt sich ein vergleichbarer
Vorwurf belegen: 1346 sollen die Mongolen bei der Belagerung von Caffa auf der Krim
ihre Pesttoten über die Stadtmauern geschleudert haben109. Darf man diesem Bericht
glauben, so stünde dieser Einsatz von Leichen im Krieg am Beginn einer der furcht-
los Heute erinnert eine Inschrift auf einem weißen Marmor stein aus der zweiten Hälfte des 18. Jahr-
hunderts an einem Pfeiler zwischen den nördlichen Seitenschiffen des Langhauses daran, dass
sich dieser gotische Pfeiler auf dem Platz des Emundus-Grabes erhebt.
104 Ein Beispiel hierfür ist die Kapellenapsis der Burgkapelle von Burg Landsberg bei Barr im El-
sass aus der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts, die direkt über dem Burgtor angelegt wurde;
vgl. hierzu Dinzelbacher, Hochmittelalter 73-74.
105 „In hac civitate positum est corpus Atanasii super ipsius portam civitatis." Odorich von Porde-
none, Relatio 415 [1,3].
106 Ein Beispiel hierfür stellt die Belagerung von Tortona durch das Herr Friedrichs I. Barbarossa
im Jahr 1155 dar, bei dem man Leichen in den das Trinkwasser für die Stadt liefernden Fluss
warf; vgl. hierzu Görich, Barbarossa 237. Zum Einsatz von Leichen als Waffe vgl. die Überlegun-
gen von Ohnhäuser, Beweisen, sowie knapper in: Ohnhäuser, Leiche.
107 „Et si eam taliter habere non possunt, grecum prohiciunt ignem, immo solent aliquando acci-
pere arvinam hominum quos occidunt, et liquefactam prohiciunt super domos. Et ubicumque
venit ignis super pinguedinem illam, quasi inextinguibiliter ardet. Extingui tarnen potest, ut di-
citur, cum vino vel cervesia superfusa. Et si super carnem ceciderit, confricatione palme manus
potest extingui." Johannes von Plano Carpini, Ystoria 83 [VI,15].
108 Giessauf, Mongolengeschichte 189, Anm. 533, verweist auf diese Quelle, nach der ein mongoli-
scher General bei der Belagerung von Zhengzhou das Fett der Toten zum Schmieren der Belage-
rungsmaschinen verwendet haben soll.
109 Gabriel de Mussis, Ystoria 48-49. Vgl. Bergdolt, Der Schwarze Tod 35-38; Ohnhäuser, Bewei-
sen 248-251 und Ohnhäuser, Leiche 72.