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Bock, Nils; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Die Herolde im römisch-deutschen Reich: Studie zur adligen Kommunikation im späten Mittelalter — Mittelalter-Forschungen, Band 49: Ostfildern, 2015

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https://doi.org/10.11588/diglit.38798#0035

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Entwicklung. Die Rolle der Herolde im mittelalterlichen Turnier

gewissen Regeln komponiert war und deshalb den Rahmen der Erzählung,
die Darstellungsweise der Personen, ihrer Handlungen und Charaktere form-
gebend prägte. Die Darstellung eines Turniers bot dem Romanautor die Mög-
lichkeit etwas Spektakuläres in die Erzählung einzubauen und ritterliche Tu-
genden zu versinnbildlichen und zu vermitteln. Ahes war nun schöner, aufre-
gender und heroischer als in der Realität. Die geschlossen konzipierte und
vor getragene Erzählung stand mitunter im Ansehen, wahrer als die Natur zu
sein. Dieses dichterische Verfahren zeigt Chrétien de Troyes in besonders an-
schaulicher Weise, indem jeder seiner Helden mindestens einmal in seinen
Darstellungen als der perfekte Turnierkämpfer präsentiert wird. Parisse unter-
streicht aber, dass die Bestandteile der Szene nicht ausgedacht oder erfunden
seien, sondern lediglich in schöneren Farben glänzten als es die Realität zuge-
lassen habe. Eine andere Bewertung wird anhand von Romanen wie Guillaume
le Maréchal (um 1226) anzulegen sein, in denen das Turnier nicht ein literari-
sches Motiv darstellt, sondern die Motivation des Autors in der romanhaften
Gestaltung der Biographie des Romanhelden liegt.67 Die Informationen, die
sich aus solchen literarischen Werken mit biographischem Bezug in Hinblick
auf die Turnierpraxis gewinnen lassen, scheinen realitätsnäher zu sein als bei
Chrétien de Troyes. Schließlich lenkt Parisse den Blick auf die sogenannten
Turnierchroniken, die durch ihre überbordende, nichts auslassende Schreib-
weise als literarisch uninteressant erscheinen können, aber für den Historiker
die meisten Informationen zum tatsächlichen Verlauf von Turnieren bieten.
Der Roman du Hem (1278) und das Tournoi de Chauvency (1285) sind die detail-
liertesten Vertreter dieser letzten Quellengruppe, die auch im Folgenden be-
rücksichtigt werden soll. Die Angaben zu den Teilnehmern an den Kämpfen
wurden überprüft und die literarisch gestalteten Figuren konnten als reale
Personen identifiziert sowie familiär erschlossen werden. Die Verbindung zur
Realität kann also als gesichert gelten, weshalb diese Berichte in technischer
und logishscher Hinsicht, die Organisation und den Ablauf der Veranstaltung
betreffend, als authentisch angesehen werden.68 Durch seine methodischen
Anregungen hat Parisse eine Herangehensweise vorgezeichnet, die es ermög-
licht auf einer gesicherten Basis einen Corpus literarischer Texte als aussage-
kräftige Überlieferung für die Entwicklungsgeschichte der Herolde insbeson-
dere der Zeit des hohen Mittelalters heranzuziehen.
Für das 14. und 15. fahrhundert treten hingegen vor allem chronikalische,
historiographische und normative Quellen in den Vordergrund, für deren
67 Parisse, Tournoi, S. 185-186. So auch Larry Dean BENSON: The Tournament in the Romances
of Chrétien de Troyes and L'Histoire de Guilluame le Maréchal, in: Contradictions. From
Beo wulf to Chaucer. Selected Studies, hgg. von Theodore Murdock Anderson, Stephen A.
Barney, Dems., Aldershot 1995, S. 266-293, hier S. 279-288.
68 Parisse, Tournoi, S. 202-203. Sehr viel problematischer sieht Parisse hingegen die Nach-
zeichnung der Entwicklung des Turniers in Frankreich, aber auch in den anderen europäi-
schen Ländern, wobei sich auf das gleiche Quellencorpus gestützt wird, das bis in das
13. Jahrhundert hinein jedoch sehr stark von der Datierung der genannten Texte abhängig
ist. Diese kann in vielen Fällen nur durch textinhärente Faktoren bestimmt werden, weshalb
die chronologische Einordnung der Werke und damit der Turniere ein Fehlerpotential auf-
weist, mit dem auch die vorliegende Arbeit behaftet ist.
 
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