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Bock, Nils; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Die Herolde im römisch-deutschen Reich: Studie zur adligen Kommunikation im späten Mittelalter — Mittelalter-Forschungen, Band 49: Ostfildern, 2015

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https://doi.org/10.11588/diglit.38798#0044

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Von militärischer Übung zum Kampfspiel

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1.3.1 Mêlée, Buhurt, Tjost
Wie bereits gesehen, bestand die erste Form des Turniers aus einem allgemei-
nen Gruppenkampf (turnei, mêlée), bei dem sich zwei Parteien innerhalb eines
nicht genau begrenzten Raums mit scharfen oder stumpfen Waffen gegen-
überstanden und sich einen Kampf wie auf einem Schlachtfeld lieferten. Frühe
Beispiele aus der Geschichte des Turniers zeigen, dass aufgrund mangelnder
Vorbereitung, Unkenntnis oder des falschen Zeitpunkts gegnerische Kämpfer
bisweilen den spielerischen Charakter der Herausforderung missverstehen
konnten, mit der Folge, dass sich eine tatsächliche Schlacht daraus entwickeln
konnte.97 Eine andere Form des Gruppenkampfes stellte der sogenannte bu-
hurt dar, eine friedliche Form mit stumpfen Waffen. Dabei handelte es sich
eher um ein Schaureiten in geschlossenen Verbänden, das vor allem bei adli-
gen Festen wie dem Mainzer Hoftag veranstaltet wurde und im Reich die
ältere und das Mittelalter hindurch unveränderte Form des Turniers war. Das
turnei als schlachtähnliches und den Franzosen zugesprochenes Reiterspiel
hingegen scheint erst später in Deutschland als Turnierform hinzugetreten zu
sein, weshalb die Geschichte des Turniers hier nicht als Entwicklung von ei-
nem lebensgefährlichen Sport zu einer höfischen Veranstaltung entworfen
werden kann, wie es für Westeuropa vielfach in Anspruch genommen wird.98
Der Gruppenkampf als ursprüngliche Form blieb auch im 14. und 15. Jahr-
hundert erhalten. Wie vormals konnte er sich zum einen ohne wenig Vorberei-
tung in einem begrenzten Kreis stattfindender Gefechte in umkämpften
Grenzgebieten oder bei Belagerungen ergeben. Bezeugt sind die sogenannten
/Kriegsturniere' etwa im Gebiet zwischen England und Schottland und vor
allem auf den kontinentalen Kriegsschauplätzen während des Hundertjäh-
rigen Krieges.99 Diese Verbindung der Kämpfe zum Krieg, möglicherweise als
eine Art Reaktion auf die fortschreitende ,Verspielung' des Turniers im Spät-
mittelalter, unterstützte die Ausbildung eines weiteren Typs: des Kampfes à
outrance (d. h. mit scharfen Waffen). In einem zweiten Schritt ab der Jahrhun-
dertwende vom 14. zum 15. Jahrhundert wurde dieser Kampf mit scharfen
Waffen dann auch in den höfischen Kontext überführt und von spontanen
Kämpfen zu organisierten Veranstaltungen mit Herausforderungsbriefen,
Eiden und Preisen. Neben dieser Sonderform des Turniers konnte der Grup-
penkampf zum anderen auch zum Bestandteil eines mehrtägigen Turnier-
97 Beispiele hierfür bei Barber / Barker, Geschichte, S. 27-28.
98 Hiltmann, Kampfspiel und mit zahlreichen Quellenbelegen Bumke, Höfische Kultur, S. 111,
357-360.
99 Barber / Barker, Geschichte, S. 50-51 und 164-165. Die berühmtesten Kämpfe wurden im
Rahmen der Belagerung von Calais (1346-1347) oder dem „Kampf der Dreißig" im März
1351 in der Bretagne im Gebiet zwischen den Burgen Ploërmel und Josselin ausgetragen. Ein
Jahr später scheint dieser Kampf Nachahmer im Grenzgebiet zwischen der Gascogne und
Frankreich gefunden zu haben, wo zwanzig französische Ritter zwanzig Gascogner heraus-
forderten. Auch Zweikämpfe scheinen bei Belagerungen gewöhnlich gewesen zu sein, wie
jener zwischen Bertrand du Guesclin und dem englischen Junker Nicholas Dagworth, die bei
der Belagerung von Rennes im Jahr 1357 dreimal drei Runden mit unterschiedlichen Waffen
gegeneinander zum Vergnügen der versammelten Heere kämpften.
 
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