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Symposium on Nubian Studies <2, 1972, Warschau> [Hrsg.]; Society for Nubian Studies [Hrsg.]; Michałowski, Kazimierz [Bearb.]
Nubia: récentes recherches ; actes du Colloque Nubiologique International au Musée National de Varsovie, 19 - 22 Juin 1972 — Varsovie: Musée National, 1975

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https://doi.org/10.11588/diglit.47598#0154

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C. Detlef G. Müller

Die nubische Literatur
Bestand und Eigenart
Im Sommer 1906 erwarb Carl Schmidt in Kairo zwei Serien von Pergamentfragmenten aus
Oberägypten in einer unbekannten Sprache und identifizierte die Texte rasch als christliche
Schriften nubischer Zunge. Noch im November des gleichen Jahres konnte dann Heinrich Schäfer
einen ersten genauen Bericht über den Inhalt der Funde liefern. Damit bekam die gelehrte Welt
erstmals Kenntnis von der Existenz einer nubisch-christlichen Literatur1. Doch war die Zahl der
Textreste nur gering und vermehrte sich durch Neufunde im Laufe der Jahrzehnte nur langsam.
Die nubische Sprachwissenschaft profitierte von ihnen zwar erheblich2. Der Ertrag für die
Geschichte Nubiens blieb jedoch gering, zumal sich ein grösserer Interessantenkreis nicht fand. Das
ist erst anders geworden, seit die neuen Ausgrabungen unsere Kenntnis des christlichen Nubiens
auf eine breitere Basis gestellt haben. Es scheint daher notwendig zu sein, noch einmal von Anfang
an die christlichen Literaturreste in altnubischer Sprache durchzugehen, nach ihrer Eigenart zu
fragen und sie in den Zusammenhang der nubischen Geschichte hineinzustellen. Trotz aller
Dürftigkeit erlauben sie ein gewisses Urteil über den Charakter der nubischen Kirche und werden
ihr Teil dazu beitragen, die noch immer strittigen Fragen der christlichen Geschichte Nubiens einer
Klärung näherzubringen.
Die Sprache der nun zu untersuchenden Texte ist das Altnubische, das Ernst Zyhlarz seiner Zeit als
„nationale Sprache der Nubier von der Mitte des 8. Jahrhunderts n.Chr. bis zum Beginn des 11.
Jahrhunderts” charakterisierte, also der Vorläufer des heute in wesentlich schärfer voneinander
abgespaltene Dialekte zertrennten Nilnubischen3. Die Schrift ist die Koptische, doch unter
Ersetzung einiger der koptischen Zusatzbuchstaben zum griechischen Alphabet durch eigene
Kreationen. Der Schöpfer dieser Schrift ist unbekannt.
In dem heutigen Vortrage wende ich mich nur den beiden, seit langem bekannten grösseren
Manuskripten zu und befrage sie. Hier liegt der Ausgangspunkt aller nubischen literarhistorischen
Bemühungen. Einige Fragmente, die Neufunde, aber auch die Graffiti und das epigraphische
Material werden später heranzuziehen sein, um das gewonnene Bild zu vervollkommen und zu
korrigieren.
Am bekanntesten ist ein Text, der sich mit den berühmten Märtyrer Menas (nubisch: MHN\)
befasst und inhaltlich ganz im unterägyptischen Milieu angesiedelt ist. Er liegt uns im orientalischen
Manuskript 6805 des Britischen Museums vor. Dieses 1907 von de Rustafjaell dem Britischen
Museum offerierte nubische Manuskript befand sich in enger Gemeinschaft mit koptischen
Manuskripten zunächst im Makarioskloster bei ’Edfü und war später (während der Verfolgungen
unter al-Häkim in den Jahren 1007 bis 1012) in Serra oder Serrah (koptisch: TTTECEppig) bei
Faras (Pachoras), wo auch eine Bibliothek existierte und später noch nachweislich ein koptisches
manuskript geschrieben wurde. Man wird dieses Pergamentmanuskript somit gegen 1000 ansetzen
1 Cf. F. LI. Griffith, Some Old Nubian Christian Texts, The Journal of Theological Studies, X (1909), S. 545-551 (hier
S. 545).
2 E. Zyhlarz, Grundzüge der nubischen Grammatik im christlichen Frühmittelalter (Altnubisch), Abhandlungen für die
Kunde des Morgenlandes, XVIII, 1, Leipzig 1928 ; cf. auch J. Simon, L’inventaire des monuments de la Nubie
médiévale, Orientalia, Nova Series, VI (1937), S. 360-379 (hier S. 367).
3 Cf. Zyhlarz, Grundzüge der nubischen Grammatik, S. 1-5. Der einst gebrauchte Ausdruck “Mittelnubisch” für diese
Sprachform ist abzulehnen, da das Meroitische nicht als Vorläufer anzusehen ist.

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