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Moderne Bauformen: Monatshefte für Architektur und Raumkunst — 9.1910

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Braun, Edmund Wilhelm: Einige Gedanken über Leopold Bauer
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https://doi.org/10.11588/diglit.24106#0106

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68

EINIGE GEDANKEN ÜBER LEOPOLD BAUER

VON MUSEUMSDIREKTOR DR. EDMUND WILHELM BRAUN-TROPPAU

Die wenigen Leute von Geschmack und künst-
lerischem Empfinden, F. v. Feldegg, Karl M.
Kuzmany, Dr. Franz Servaes und Paul Althoff, die
sich bisher mit dem Schaffen Leopold Bauers,
des zukunftsreichsten und begabtesten unter den
jüngeren österreichischen Architekten beschäftigten,
suchten alle aus einem richtigen Gefühl heraus
nach der erklärenden Formel für diesen frischen,
kraftvollen, schöpferischen und stolzen Individualis-
mus, den ein starkes Zweckmässigkeitsempfinden
und eine gesunde Realistik im Banne hält. Mit
„Wien“, der „Wiener Note“ hat dieses Wesen
nichts zu tun, mich dünkt, die Formel löst sich
aber sofort ganz klar, wenn man in Bauers Heimat
zurückgeht. Das deutsche Gebirge Schlesiens, die
Berge und Täler um den Altvater herum, ist seinen
Kindern kein milder, verschwenderischer Vater;
hart und rauh ist das Klima, karg und schwer der
Verdienst, monatelange liegt grauer Dunst oder der
weisse Schnee auf den Hängen und nur im Spät-
herbst leuchtet der hohe, weite Himmel in tiefer,
klarer und märchenhafter Bläue über der Welt.
Rauh, nicht sehr gesprächig sind diese Menschen,
Wirklichkeitseher und doch voll tiefen leuchten-
den Humors und einer reichen Phantasie, die im
Innern wohnt. Das ist das Land, das die Rübe-
zahlmärchen geschaffen hat, das Land, das neben
kargem Getreide und den „Erdäpfeln“ in seinem
Boden Goldadern birgt. So wie hier Armut neben
Reichtum liegen, so schwebt des Schlesiers Wesen
zwischen den zügellosen Träumen der Phantasie und
der klaren harten Wirklichkeit. Und so ist auch
das schlesische Wesen in der Kunst zu erkennen, in
GerhartHauptmanns Dramen, in Adolf Zdrazilas Bil-
dern und Holzschnitten, in Leopold Bauers Schaffen.
Ein Schwerfälliger, dem Neuen gegenüber aus Tra-
dition, Blut und Erziehung misstrauisch und doch
das Alles so unendlich liebend, so kam der Jägern-
dorfer Jüngling nach Wien, an die Akademie,
in Otto Wagners Schule. Wagner, seinem hoch-
verehrten Meister, widmete er seine erste Publi-
kation, erschienen 1899 unter dem Titel „Ver-
schiedene Skizzen, Entwürfe und Studien“, denn
Bauer war stets ein Grübler, den es von Zeit zu
Zeit zu einer Art von Kontrolle und Revision seiner
selbst treibt, wobei er sich Rechenschaft über die Art
seines Schaffens und Empfindens gibt. Der him-
melstürmende, verstiegene und titanische Monu-
mentalismus dieser Studien ist das gute Recht der
genialen Jugend, merkwürdig ist aber unter den
zum Vergleiche herangezogenen Bauten, dass er
ganz naiv Meisterwerke der Antike, wie den Parthe-
non neben solchen des Mittelalters, der Renais-

sance und der Neuzeit zitiert, also das instinktiv
richtige Empfinden von der Einheit aller Kunst,
das selbstverständliche Ignorieren der engen Partei-
und Schulgrenzen. So hat sich auf direkt natur-
wissenschaftlicher Basis unter starker Einwirkung
der Darwinschen Anpassungstheorie bei Bauer eine
Art von naivem künstlerischem Eklektizismus ent-
wickelt, der ihn im Verein mit der stets frischen
und nie versiegenden eigenen Erfindungskraft be-
fähigt, das, was ihm jeweilig geeignet und richtig
an alten erprobten Kunstelementen erscheint, mit
dem Eigenen harmonisch zu verschmelzen. So ist
sein Schaffen stets ein lebendiges, niemals aka-
demisch oder trocken und voll eigenen künstleri-
schen Gehaltes. V

V Nichts ist für Bauers Art und Denken bezeich-

nender als der kleine rasch und doch so nach-
denkliche Aufsatz, den er auf Verlangen eines
Berliner Interviewers anlässlich der Ausstellung
einiger seiner Möbel diktiert hat, und den ich im
Auszuge wenigstens hier anfüge. V

V „Der Begriff „modernes Möbel“ ist ausserordent-
lich schwer zu definieren. Eine Zeit, welche erst
einen Stil gebären soll, kann wenig darauf Anspruch
machen, dass alle ihre Aeusserungen konsequent
und logisch sind. So sind auch auf dem Gebiete
der modernen Architektur und des modernen Möbel-
baues Anschauungen und Richtungen vertreten, die
für einen streng logisch Denkenden sich gegen-
seitig ausschliessen. Es gibt Verneiner jeglicher
Tradition, welche ihre Möbel aus gradlinigen, geo-
metrischen Elementen möglichst nach konstruktiven
und praktischen Voraussetzungen entwerfen; dann
gibt es solche, die das Schlagwort „Heimatskunst“
zu einem merkwürdigen Gemisch von Bequemlich-
keit und Verzicht auf Luxus zwingt. Von den
strengen Stilkopisten will ich nicht reden, denn
diese haben so ziemlich allen Kredit verloren. Es
war mir nicht möglich, mich nach meinem Empfinden
irgend einer von diesen Richtungen anzuschliessen,
denn es ist mir immer klarer geworden, dass der
Begriff „moderne Kunst“ doch etwas zuviel Schlag-
wort ist und dass wirklich echte Kunst unmöglich
etwa in alte oder neue Kunst eingeteilt werden
könne, denn es gibt überhaupt nur eine Kunst.

V Da ich ursprünglich aus einer streng modernen,
materialistisch gesinnten Schule hervorgegangen
bin, so haben diese Ideen zunächst nur langsam
bei mir Fuss gefasst, und wenn ich für meine
langsame Umwandlung eine logische Begründung
gebraucht hätte, so würde ich dieselbe vielleicht
in dem Gesetz der Erhaltung der Energie von
Robert Mayer gefunden haben. Geht in dem grossen
 
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