TTmODERNE BAUFORMEN1/I2)
KASERNENBAUTEN VON SIGISMUND GÖSCHEL-MÜNCHEN
VON HANNS HUBER-MÜNCHEN
Mit dem Begriff Kaserne paart sich für uns
unter dem Zwange der Überlieferung un-
willkürlich die Vorstellung von Einförmigkeit und
Nüchternheit, Öde und Trostlosigkeit, und alle bis-
her versuchten Neuerungen, so auch mit dem
Barackensystem und den mehr oder minder ge-
schickten Verkleidungen, haben sie eher befestigt
als erschüttert. Bis in München die Kasernen-
bauten für das 1. Fussartillerieregiment und
das Telegraphendetachement erstanden, in
denen uns der Kgl. Bauinspektor Sigismund Gö-
schei den geradezu klassischen Beweis dafür
lieferte, dass auch die strengste Unterordnung unter
die Gesetze des militärischen Zweckes und Be-
dürfnisses wie insbesondere auch der militärischen
Bauordnung nicht immer und nicht auf ewig die
Eigenart in Idee und Bild, den künstlerischen Ge-
schmack und die ästhetische Schönheit unter-
drücken muss. Mit ebensoviel Kühnheit wie
Können hat Göschei die althergebrachte Archi-
tekturschablone für Kasernen aufgegeben, aber
nicht etwa um ein neuartiges, frappierendes Bild
um jeden Preis zu schaffen, am Ende auch unter
erbarmungsloser Aufopferung des besonderen Cha-
rakters der ganzen Schöpfung, sondern um erst
recht liebevoll, ja ostentativ Formen zu gestalten,
die die Stimmung, vor allem die Knappheit und
Strenge, wie sie gerade dem militärischen Milieu
eigen sind, getreu und restlos charakterisieren.
Das zeigt sich, um nur ein Beispiel zu nennen,
besonders deutlich bei den Dachaufbauten an den
Gebäuden für das Telegraphendetachement, deren
Charakteristikum sich noch steigern wird, wenn
erst einmal die Drahtleitungen aus den Lucken
hängen. Kommen dem Militärarchitekten auch
ganz besondere Umstände zu statten, so die grossen
Massen, die riesigen Dimensionen und die freie
Wahl im Ausdrucke des militärischen Baucharak-
ters, so treten ihm doch andererseits auch wieder
ganz aussergewöhnliche Schwierigkeiten entgegen.
So ist es z. B. schon dienstlich kaum möglich, sich
dem Schematismus, als so unfruchtbar er auch bis-
her empfunden worden sein mag, gänzlich zu ent-
ziehen; gehört er doch als fast untrennbarer Be-
standteil zum Charakter des Militarismus (hier
natürlich im eigentlichsten und besten Sinne des
Wortes). Weiter bilden grosse Hindernisse das
Massenquartier, unendlich lange Baufluchten, das
— aus sanitären Rücksichten — Unstatthafte der
Überbauungen zwischen zwei Gebäuden und die
Einhaltung gewisser Abstände, endlich die kolossal
grossen Exerzierhöfe, gegen deren Achsen und
Fernsichten man mit normalen Dimensionen über-
haupt nicht mehr aufzukommen vermag. Göschei
hat jene Vorteile mit Geist und Geschick genutzt
und diese Nachteile mit Kraft und Eleganz be-
zwungen. So brachte er in die einförmige Gerade
der Baulinie beim Kasernement des 1. Fussartillerie-
regiments dadurch Leben und Bewegung, dass er
einzelne Bauteile vorzog oder zurückrückte, und
in den Aufbau der Massen doch gleichzeitig
Rhythmus und Zusammenhalt, indem er dem über-
ragenden, blockigen Mannschaftsgebäude die Mittel-
stellung gab. Und um in die, einen riesigen Hof
umlagernden Gebäude des Telegraphendetache-
ments Zusammenhalt zu bringen, verwertete er
das gegen Süden eine bedeutende Senkung auf-
weisende Terrain also, dass er Mannschafts- und
Wirtschaftsgebäude auf etwa U/2 tn hohe, auf brei-
ten Freitreppen zu erreichende Terrassen stellte.
V Die Bauten für das 1. Fussartillerieregi-
ment umfassen das Offizierskasino, die Mann-
schaftskaserne und ein Familienwohngebäude. Das
Offizierskasino enthält im Untergeschoss die Küche
mit den Nebenräumen, im Erdgeschoss die um
eine quadratische Halle gruppierten Geschäfts-
zimmer des Regiments, im Obergeschoss die Speise-
anstalt, im Dachgeschoss die Wohnung des Wirt-
schafters und Gesindestuben. Während die Archi-
tektur im Erdgeschoss auf Einzelformen ganz und
gar verzichtet, nimmt sie im Aufbau des Ober-
geschosses eine malerische Trennung der ein-
575
KASERNENBAUTEN VON SIGISMUND GÖSCHEL-MÜNCHEN
VON HANNS HUBER-MÜNCHEN
Mit dem Begriff Kaserne paart sich für uns
unter dem Zwange der Überlieferung un-
willkürlich die Vorstellung von Einförmigkeit und
Nüchternheit, Öde und Trostlosigkeit, und alle bis-
her versuchten Neuerungen, so auch mit dem
Barackensystem und den mehr oder minder ge-
schickten Verkleidungen, haben sie eher befestigt
als erschüttert. Bis in München die Kasernen-
bauten für das 1. Fussartillerieregiment und
das Telegraphendetachement erstanden, in
denen uns der Kgl. Bauinspektor Sigismund Gö-
schei den geradezu klassischen Beweis dafür
lieferte, dass auch die strengste Unterordnung unter
die Gesetze des militärischen Zweckes und Be-
dürfnisses wie insbesondere auch der militärischen
Bauordnung nicht immer und nicht auf ewig die
Eigenart in Idee und Bild, den künstlerischen Ge-
schmack und die ästhetische Schönheit unter-
drücken muss. Mit ebensoviel Kühnheit wie
Können hat Göschei die althergebrachte Archi-
tekturschablone für Kasernen aufgegeben, aber
nicht etwa um ein neuartiges, frappierendes Bild
um jeden Preis zu schaffen, am Ende auch unter
erbarmungsloser Aufopferung des besonderen Cha-
rakters der ganzen Schöpfung, sondern um erst
recht liebevoll, ja ostentativ Formen zu gestalten,
die die Stimmung, vor allem die Knappheit und
Strenge, wie sie gerade dem militärischen Milieu
eigen sind, getreu und restlos charakterisieren.
Das zeigt sich, um nur ein Beispiel zu nennen,
besonders deutlich bei den Dachaufbauten an den
Gebäuden für das Telegraphendetachement, deren
Charakteristikum sich noch steigern wird, wenn
erst einmal die Drahtleitungen aus den Lucken
hängen. Kommen dem Militärarchitekten auch
ganz besondere Umstände zu statten, so die grossen
Massen, die riesigen Dimensionen und die freie
Wahl im Ausdrucke des militärischen Baucharak-
ters, so treten ihm doch andererseits auch wieder
ganz aussergewöhnliche Schwierigkeiten entgegen.
So ist es z. B. schon dienstlich kaum möglich, sich
dem Schematismus, als so unfruchtbar er auch bis-
her empfunden worden sein mag, gänzlich zu ent-
ziehen; gehört er doch als fast untrennbarer Be-
standteil zum Charakter des Militarismus (hier
natürlich im eigentlichsten und besten Sinne des
Wortes). Weiter bilden grosse Hindernisse das
Massenquartier, unendlich lange Baufluchten, das
— aus sanitären Rücksichten — Unstatthafte der
Überbauungen zwischen zwei Gebäuden und die
Einhaltung gewisser Abstände, endlich die kolossal
grossen Exerzierhöfe, gegen deren Achsen und
Fernsichten man mit normalen Dimensionen über-
haupt nicht mehr aufzukommen vermag. Göschei
hat jene Vorteile mit Geist und Geschick genutzt
und diese Nachteile mit Kraft und Eleganz be-
zwungen. So brachte er in die einförmige Gerade
der Baulinie beim Kasernement des 1. Fussartillerie-
regiments dadurch Leben und Bewegung, dass er
einzelne Bauteile vorzog oder zurückrückte, und
in den Aufbau der Massen doch gleichzeitig
Rhythmus und Zusammenhalt, indem er dem über-
ragenden, blockigen Mannschaftsgebäude die Mittel-
stellung gab. Und um in die, einen riesigen Hof
umlagernden Gebäude des Telegraphendetache-
ments Zusammenhalt zu bringen, verwertete er
das gegen Süden eine bedeutende Senkung auf-
weisende Terrain also, dass er Mannschafts- und
Wirtschaftsgebäude auf etwa U/2 tn hohe, auf brei-
ten Freitreppen zu erreichende Terrassen stellte.
V Die Bauten für das 1. Fussartillerieregi-
ment umfassen das Offizierskasino, die Mann-
schaftskaserne und ein Familienwohngebäude. Das
Offizierskasino enthält im Untergeschoss die Küche
mit den Nebenräumen, im Erdgeschoss die um
eine quadratische Halle gruppierten Geschäfts-
zimmer des Regiments, im Obergeschoss die Speise-
anstalt, im Dachgeschoss die Wohnung des Wirt-
schafters und Gesindestuben. Während die Archi-
tektur im Erdgeschoss auf Einzelformen ganz und
gar verzichtet, nimmt sie im Aufbau des Ober-
geschosses eine malerische Trennung der ein-
575