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Moderne Bauformen: Monatshefte für Architektur und Raumkunst — 9.1910

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Nr. 12
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Schmidt, Karl Eugen: Die Münchener Kunstgewerbler in Paris
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https://doi.org/10.11588/diglit.24106#0749

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DIE MÜNCHENER KUNSTGEWERBLER IN PARIS

VON KARL EUGEN SCHMIDT-PARIS

Vor zwei Jahren hielten die französischen Kunst-
gewerbler ihre jährlichen AssLen in München,
und dabei machten sie die Bekanntschaft des dortigen
modernen Kunstgewerbes. Was sie sahen, begei-
sterte sie dermassen, dass der bekannte Bildhauer,
Frangois Rupert Carabin, der einen Bericht für den
Pariser Stadtrat auszuarbeiten hatte, darin zum
Schlüsse kam, das französische Kunsthandwerk
stehe vor dem Untergang und sei unstreitbar ver-
loren, und die Vorherrschaft auf diesem Gebiete
werde jetzt von Frankreich an Deutschland über-
gehen, und dass Francis Jourdain, der Präsident des
Pariser Herbstsalons, die Münchener Kunstgewerb-
ler einlud, den nächsten Herbstsalon zu beschicken.
Nachher sollen die Leute vom Herbstsalon ihre etwas
voreilige Einladung stark bereut haben, weil die
französische Presse sich die Schlüsse Carabins zu
eigen machte und meinte, der Leiter des Herbstsalons
habe sich als schlechter Franzose gezeigt, als er durch
seine Einladung der deutschen Konkurrenz Tor und
Türe öffnete. V

V Es war im Grunde ein wenig komisch, diese
Jeremiaden in der nämlichen Presse zu finden, die
sich sonst nie genug tun kann in dem Lobpreisen des
französischen Genies und Geschmacks. Wenn allein
schon die Ankündigung einer kunstgewerblichen
Ausstellung, veranstaltet von einer einzigen deut-
schen Stadt, hinreichte, um dem französischen Genie
und Geschmack im Kunstgewerbe den Garaus zu
machen, dann konnten diese vielgerühmten Dinge
doch nicht ganz so solid begründet sein, wie man
sich sonst immer den Anschein gab. V

V Auch die Leiter des Herbstsalons waren in etwas
katzenjämmerlicher Stimmung, wenn sie an die be-
vorstehende Debäcle des französischen Kunsthand-
werks dachten, eine Debäcle, die sie mutwillig und
frevelhaft selbst herbeigerufen hatten. Sie erliessen
in ihrer Not ein bewegliches Rundschreiben an alle
französischen Kunsthandwerker und forderten sie
auf, sich am diesjährigen Herbstsalon möglichst reich
und viel zu beteiligen, damit man der deutschen
Konkurrenz die Spitze bieten könne. Mehr als die
Hälfte des ganzen zur Verfügung stehenden Aus-
stellungsraumes wurde dem Kunstgewerbe über-
lassen, und ganz abgesehen von den Münchenern
nimmt das Kunstgewerbe im diesjährigen Herbstsalon
gewiss zwanzigmal mehr Platz ein als sonst. V
V Diese Einladung des französischen Kunstgewerbes
und seine breite Besitzergreifung war eigentlich

nicht sehr klug. Schlauer wäre eine grossmütige
Erklärung gewesen, dass man in diesem Jahre den
ganzen Platz den deutschen Genossen überlasse und
auf eine kunstgewerbliche Ausstellung französischer
Künstler ganz verzichte. Denn durch diese starke
Beteiligung der französischen Kunstgewerbler, denen
man ungefähr dreimal so viel Raum gegeben hat
als den Münchenern, wird der Besucher zu einem
Vergleiche gezwungen, und das lag eigentlich nicht
im Interesse des französischen Kunstgewerbes. Man
müsste denn denken, dass dem kranken französi-
schen Kunstgewerbe nur durch sehr verwegene
Mittel geholfen werden kann, und dass es nötig ist,
den Franzosen die Augen zu öffnen, um sie aus ihrer
Lethargie aufzurütteln. Dieses scheint jedoch nicht
aus der französischen Presse hervorzugehen, die
sich im Gegenteil bemüht, die Niederlage des fran-
zösischen Kunsthandwerkes zu verschleiern, und
die hie und da sogar von einer Niederlage der
Münchener zu sprechen wagt. V

V In Wirklichkeit musste der Sieg der Münchener,

der sich am allerdeutlichsten durch die Ziffern der
Verkäufe ausspricht, von vorneherein feststehen,
und zwar aus Gründen, die mit Geschmack und
Kunst gar nichts zu tun haben, also dass auch ein-
sichtsvolle Franzosen keinen Anstand nehmen, wie
der Bildhauer Carabin die französische Niederlage
unumwunden zuzugeben. V

V Diese Gründe liegen in den französischen Ver-
hältnissen, die von den deutschen von Grund aus
verschieden sind. Obgleich die Pariser die Bastille
gestürmt haben, und obgleich die Franzosen nicht
nur von sich selbst, sondern auch von so ziemlich
allen andern Leuten, die sie nicht kennen, für die
unerbittlichsten Neuerer und Revolutionäre gehalten
werden, sind sie doch in Wirklichkeit die aller-
zähesten Lobredner vergangener Zeiten und die
konservativsten Verehrer der althergebrachten Ver-
hältnisse. Als die moderne Bewegung im Kunst-
gewerbe einsetzte, beteiligten sich auch einige
französische Künstler daran, sie mussten aber bald
ihre Bemühungen einstellen, weil sie nirgends auf
Ermutigung stiessen, weder bei den Fabrikanten,
noch bei reichen Privatleuten, noch bei den öffent-
lichen Behörden. Der reiche Franzose kennt nichts
Schöneres und Vornehmeres als eine Einrichtung
in altem Stile, womöglich sogar mit echten alten
Möbeln. Weniger wohlhabende Leute behelfen sich
mit den modernen Nachahmungen der alten Stile,

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