IX MODERNE BÄUFORMEN ( 3
ARBEITEN VON WILHELM KREIS
VON ERICH HAENEL, DRESDEN
Der zukünftige Geschichtschreiber der Baukunst
des neuen deutschen Reiches wird gut tun,
mit der Jahrhundertwende ein neues Kapitel zu
beginnen. Denn wer die Deutsche Bauausstellung,
die im Jahre 1900 in Dresden stattfand, aufmerksam
studierte, konnte in einem Meere von akademischer
Stilarchitektur und papierenem Formalismus die
ersten Dokumente einer neuen baukünstlerischen
Gesinnung deutlich spüren. Der grosse, in vielerlei
dämmrige Kabinen geteilte Mittelsaal, in dem die
staatliche und kommunale Bautätigkeit ihre Arbeiten
vorführte, blieb freilich im wesentlichen reaktions-
fromm. Erst wenn man sich in den linken, von Paul
Wallot mit einer ungemein vornehmen Pfeilerhalle
geschmückten Flügel vertiefte, grüsste hier und da
eine künstlerische Persönlichkeit aus der Masse
des Unzulänglichen. Fritz Schumacher hatte eine
Reihe von achtzehn Blatt Monumentalentwürfen
ausgestellt, die in ihrer energischen Charakterisie-
rung und der Sicherheit des Liniengefühls viel
beachtet wurden. Daneben fesselte der Ernst und
die Wucht, mit dem Paul Möbius, der zu früh Ver-
storbene, die Probleme des architektonischen Denk-
mals anpackte. Martin Dülfer brachte ausser Wohn-
häusern die ausgezeichnete Kaimsaalanlage, Theodor
Fischer die heute schon fast historisch gewordenen
Schulhäuser seiner ersten Münchner Periode. Der
zweifellos stärkste Eindruck dieser ganzen Abteilung,
ja, wenn wir nach dem Mass geschlossenen Ge-
staltens und selbständigen Empfindens überhaupt
fragen, der gesamten Ausstellung aber verknüpfte
sich mit dem Raum, in welchem Wilhelm Kreis
seine monumentalen Entwürfe vereinigt hatte. V
V Das war vor zehn Jahren. Der junge Ruhm,
der dem Siebenundzwanzigjährigen damals von
allen Seiten gespendet wurde, hat sich als dauer-
haft erwiesen. Und das, was damals als der
Hauptreiz seiner Schöpfungen festgestellt werden
konnte, blieb ihnen gewahrt: die knappe und
bedeutungsvolle Art der Behandlung des Steines,
der hier in der Leidenschaft des Wachstums,
dort in der gefestigten Kraft der Existenz die
Formen selbst aus sich heraus bilden lässt. Dem
alles überwältigenden Ansturm der Masse musste
oft das Ornament zum Opfer fallen; aber man
bemerkte das kaum, weil das ganze mächtige Ge-
bilde wie aus einem Gusse, harmonisch gewachsen
wie ein Werk der Natur selbst dastand, und Kraft
und Last, Tragendes und Getragenes in ihrer sinn-
gemässen Verkörperung jeden weiteren Schmuck
überflüssig machten. So erhob sich an dem gran-
diosen Völkerschlachtdenkmal für Leipzig die offne
kuppelartige Halle direkt aus dem viereckigen Unter-
bau, an dessen Fusse sich eine halbrunde Pfeiler-
halle vorlagert; so drängen sich an der Bismarck-
Säule die vier Rundpfeiler unter der Deckplatte
zusammen, durch sie hinauswachsend, bis die Masse
in einer stufenartig sich verjüngenden Quader-
schichtung ausklingt. Zeigte nun schon das Eise-
nacher Burschenschaftsdenkmal eine Weiterbildung
des Zentralbaus in der Richtung eines gesteigerten
Vertikalismus, so bringen einige neuere Studien
über dasselbe Problem diesen, wenn man so sagen
darf, gotisierenden Zug noch deutlicher zum Aus-
druck. Beim Burschenschaftsdenkmal fasst noch
ein mächtig profiliertes Hauptgesims die aufstreben-
den Kräfte zusammen und leitet sie, indem der
Rhythmus der peripherischen Akzente langsam
wechselt, zu der straffen, kuppelartigen Bekrönung
über. In der Studie zu dem Bismarckturm an der
Rottenburg, auf dem Kyffhäuser, haben sich die
Rundpfeiler in lisenenartige Streben verwandelt,
und das Hauptgesims, zurückhaltender in der Masse,
ruht erst auf dem zweiten, verjüngten Stockwerk
des Turmes. Die Vertikalteilung des eigentlichen
Massivs bleibt bis in den Anlauf unter der be-
krönenden Riesenschalegewahrt. Dieandre Variante
dieses Entwurfs lässt die Streben noch energischer
vor der, nur durch untre Oeffnungen durchbrochnen
Mauer heraustreten, lässt sie auch das Hauptgesims
allenthalben durchschneiden, um in den gewaltigen
Gestalten ruhig sitzender Adler zu enden. Diese
Adler kehren dann in dem Bismarckturm auf dem
Malakoff bei Jena wieder. Die schwerlastende Masse
des ungegliederten Rundbaus wird unten von einer
offnen Halle einfacher viereckiger Pfeiler um-
schlossen. So wird der Charakter des einladenden,
Schutz gewährenden Zielpunktes der Wanderung
in dem trotzigen Bau lebendig ausgeprägt. Wie sich
dann der Turm über dem Konsolengesims öffnet
und das Zehneck über die Kreisanlage siegt, das
weckt die Erinnerung an das erhabenste Denkmal
altgermanischer Baukunst, an Theodorichs Grabmal
bei Ravenna. Dort zeigte die ursprüngliche Anlage
aussen ja auch einst einen schmalen Umgang mit
breiteren Pfeilern an jeder Ecke und zwischen
diesen je eine Doppelarkade mit kleinen Tonnen,
welche auf horizontalen Unterzügen rechtwinklig
gegen den Mauerkörper liefen. Während aber bei
dem Grabmal des Gotenkönigs die unzugängliche
Sargkammer von einem kolossalen Monolithen in
Flachkuppel form gedeckt wird, dessen für den Trans-
port notwendige Ansätze zu den so charakteristischen
Henkeln umgebildet wurden, öffnet sich an dem
modernen Bauwerk die Masse in einem mächtigen,
von vier Streben gehaltenen Flammenbecken. So
kündet sich der Sinn der Anlage, ein riesiges Pie-
destal zu sein der Feuerzeichen, die zur Sonnwend-
feier, von Berg zu Berg, die Erinnerung an den
grossen Kanzler neu aufflammen lassen sollen, un-
verkennbar genug. Die Aufgabe, für einen Park
in Harburg einen Bismarckturm zu schaffen, musste
zu einer Gestaltung führen, bei der jener Zweck,
der sich bei der ebengenannten Anlage noch mit
dem eines Aussichtsturmes verband, ausser acht
gelassen werden und dafür die reine Denkmalsidee
zu Worte gelangen konnte. Als Abschluss einer
breiten Allee lagern sich zwei niedrige Terrassen,
die sich in einfachen Rundnischen gegen den
Nahenden öffnen. Zwischen ihnen eingezwängt,
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ARBEITEN VON WILHELM KREIS
VON ERICH HAENEL, DRESDEN
Der zukünftige Geschichtschreiber der Baukunst
des neuen deutschen Reiches wird gut tun,
mit der Jahrhundertwende ein neues Kapitel zu
beginnen. Denn wer die Deutsche Bauausstellung,
die im Jahre 1900 in Dresden stattfand, aufmerksam
studierte, konnte in einem Meere von akademischer
Stilarchitektur und papierenem Formalismus die
ersten Dokumente einer neuen baukünstlerischen
Gesinnung deutlich spüren. Der grosse, in vielerlei
dämmrige Kabinen geteilte Mittelsaal, in dem die
staatliche und kommunale Bautätigkeit ihre Arbeiten
vorführte, blieb freilich im wesentlichen reaktions-
fromm. Erst wenn man sich in den linken, von Paul
Wallot mit einer ungemein vornehmen Pfeilerhalle
geschmückten Flügel vertiefte, grüsste hier und da
eine künstlerische Persönlichkeit aus der Masse
des Unzulänglichen. Fritz Schumacher hatte eine
Reihe von achtzehn Blatt Monumentalentwürfen
ausgestellt, die in ihrer energischen Charakterisie-
rung und der Sicherheit des Liniengefühls viel
beachtet wurden. Daneben fesselte der Ernst und
die Wucht, mit dem Paul Möbius, der zu früh Ver-
storbene, die Probleme des architektonischen Denk-
mals anpackte. Martin Dülfer brachte ausser Wohn-
häusern die ausgezeichnete Kaimsaalanlage, Theodor
Fischer die heute schon fast historisch gewordenen
Schulhäuser seiner ersten Münchner Periode. Der
zweifellos stärkste Eindruck dieser ganzen Abteilung,
ja, wenn wir nach dem Mass geschlossenen Ge-
staltens und selbständigen Empfindens überhaupt
fragen, der gesamten Ausstellung aber verknüpfte
sich mit dem Raum, in welchem Wilhelm Kreis
seine monumentalen Entwürfe vereinigt hatte. V
V Das war vor zehn Jahren. Der junge Ruhm,
der dem Siebenundzwanzigjährigen damals von
allen Seiten gespendet wurde, hat sich als dauer-
haft erwiesen. Und das, was damals als der
Hauptreiz seiner Schöpfungen festgestellt werden
konnte, blieb ihnen gewahrt: die knappe und
bedeutungsvolle Art der Behandlung des Steines,
der hier in der Leidenschaft des Wachstums,
dort in der gefestigten Kraft der Existenz die
Formen selbst aus sich heraus bilden lässt. Dem
alles überwältigenden Ansturm der Masse musste
oft das Ornament zum Opfer fallen; aber man
bemerkte das kaum, weil das ganze mächtige Ge-
bilde wie aus einem Gusse, harmonisch gewachsen
wie ein Werk der Natur selbst dastand, und Kraft
und Last, Tragendes und Getragenes in ihrer sinn-
gemässen Verkörperung jeden weiteren Schmuck
überflüssig machten. So erhob sich an dem gran-
diosen Völkerschlachtdenkmal für Leipzig die offne
kuppelartige Halle direkt aus dem viereckigen Unter-
bau, an dessen Fusse sich eine halbrunde Pfeiler-
halle vorlagert; so drängen sich an der Bismarck-
Säule die vier Rundpfeiler unter der Deckplatte
zusammen, durch sie hinauswachsend, bis die Masse
in einer stufenartig sich verjüngenden Quader-
schichtung ausklingt. Zeigte nun schon das Eise-
nacher Burschenschaftsdenkmal eine Weiterbildung
des Zentralbaus in der Richtung eines gesteigerten
Vertikalismus, so bringen einige neuere Studien
über dasselbe Problem diesen, wenn man so sagen
darf, gotisierenden Zug noch deutlicher zum Aus-
druck. Beim Burschenschaftsdenkmal fasst noch
ein mächtig profiliertes Hauptgesims die aufstreben-
den Kräfte zusammen und leitet sie, indem der
Rhythmus der peripherischen Akzente langsam
wechselt, zu der straffen, kuppelartigen Bekrönung
über. In der Studie zu dem Bismarckturm an der
Rottenburg, auf dem Kyffhäuser, haben sich die
Rundpfeiler in lisenenartige Streben verwandelt,
und das Hauptgesims, zurückhaltender in der Masse,
ruht erst auf dem zweiten, verjüngten Stockwerk
des Turmes. Die Vertikalteilung des eigentlichen
Massivs bleibt bis in den Anlauf unter der be-
krönenden Riesenschalegewahrt. Dieandre Variante
dieses Entwurfs lässt die Streben noch energischer
vor der, nur durch untre Oeffnungen durchbrochnen
Mauer heraustreten, lässt sie auch das Hauptgesims
allenthalben durchschneiden, um in den gewaltigen
Gestalten ruhig sitzender Adler zu enden. Diese
Adler kehren dann in dem Bismarckturm auf dem
Malakoff bei Jena wieder. Die schwerlastende Masse
des ungegliederten Rundbaus wird unten von einer
offnen Halle einfacher viereckiger Pfeiler um-
schlossen. So wird der Charakter des einladenden,
Schutz gewährenden Zielpunktes der Wanderung
in dem trotzigen Bau lebendig ausgeprägt. Wie sich
dann der Turm über dem Konsolengesims öffnet
und das Zehneck über die Kreisanlage siegt, das
weckt die Erinnerung an das erhabenste Denkmal
altgermanischer Baukunst, an Theodorichs Grabmal
bei Ravenna. Dort zeigte die ursprüngliche Anlage
aussen ja auch einst einen schmalen Umgang mit
breiteren Pfeilern an jeder Ecke und zwischen
diesen je eine Doppelarkade mit kleinen Tonnen,
welche auf horizontalen Unterzügen rechtwinklig
gegen den Mauerkörper liefen. Während aber bei
dem Grabmal des Gotenkönigs die unzugängliche
Sargkammer von einem kolossalen Monolithen in
Flachkuppel form gedeckt wird, dessen für den Trans-
port notwendige Ansätze zu den so charakteristischen
Henkeln umgebildet wurden, öffnet sich an dem
modernen Bauwerk die Masse in einem mächtigen,
von vier Streben gehaltenen Flammenbecken. So
kündet sich der Sinn der Anlage, ein riesiges Pie-
destal zu sein der Feuerzeichen, die zur Sonnwend-
feier, von Berg zu Berg, die Erinnerung an den
grossen Kanzler neu aufflammen lassen sollen, un-
verkennbar genug. Die Aufgabe, für einen Park
in Harburg einen Bismarckturm zu schaffen, musste
zu einer Gestaltung führen, bei der jener Zweck,
der sich bei der ebengenannten Anlage noch mit
dem eines Aussichtsturmes verband, ausser acht
gelassen werden und dafür die reine Denkmalsidee
zu Worte gelangen konnte. Als Abschluss einer
breiten Allee lagern sich zwei niedrige Terrassen,
die sich in einfachen Rundnischen gegen den
Nahenden öffnen. Zwischen ihnen eingezwängt,
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