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Manchen, 6. Mai 1918.

BeMtge zar „Werkstatt der Kaaet" (E. A. Seeataaa, Leipzig).
Ersoheiati4 tägig aater Leitaag voa Maier Prof. Eraet Berger.

IIY. Jahrg.Nf. 17.

Inhalt: Der Maler und das Mikroskop. Von Hugo Hillig, Hamburg. — Kurze Bemerkungen zu Goethes Far-
benlehre. Von E. B. (i. Fortsetzung.) — Zwei Kapitel aus Church-Ostwald: Farben und Malerei. —
Aus Jodls „Acsthetik der bildenden Künste". — Ueber Radium-Leuchtfarben.

Der Maler und das Mikroskop.
Von Hugo Hillig, Hamburg.

Es lässt sich nicht viel denken, was grund-
verschiedener wäre, als was alles der Maler wissen
sollte, um seine Kunst, sofern sie ihm wirklicher
Beruf ist, in umfassender Weise zu beherrschen.
Auf der einen Seite steht das vollkommen freie
Bereich seiner Phantasie und Intuition und Psycho-
logie, auch seiner Philosophie, auf der anderen Seite
aber stehen die exakten Wissenschaften, die ihm
nicht fremd sein sollen, die Geometrie und die
Perspektive und die Optik mit ihrer starken Aus-
prägung der mathematischen und logischen Be-
griffe, da steht auch die mathematisch zu verstehende
Physik und schliesslich auch die Chemie, die ihm
ihre Rätsel aufgibt. Man kann es verstehen, dass
einer, der bemüht und es aber auch vermochte,
dies alles im Verhältnis seiner Zeit zu fassen, einer
Skulptur in seinem Wohnraum besonders zuge-
tan war, die einen Mann mit dem Stundenglas am
rollenden Wagen darstellte und die die Inschrift
trug: Noch immer lerne ich! Es war Lionardo
da Vinci.
Aber es war Lionardo da Vinci, hätte ich sagen
sollen. Und dieser Mann steht nicht nur unter
den Malern seiner Zeit und aller späteren Zeiten
allein; man braucht sich nich vor der Frage zu
scheuen, wie Lionardo sich in unsere Zeit mit ihren
doch um so vieles exakter gewordenen Kenntnissen
auf allen Gebieten und gerade auf den von ihm
so gepflegten Gebieten der naturwissenschaftlichen
Betrachtung gefunden haben würde wenn er in
ihr lebte. Alle die Hilfsmittel, die der Erkennt-
nis der Dinge und Vorgänge dienen und die heute
so vorzüglich entwickelt sind, fehlten zu Lionardos
Zeit. Was hätte dieser scharfe Beobachter, der
den Erscheinungen so gern auf den Grund nach-
ging, der Welt an Erkenntnissen auch auf seinen

ureigentlichem Gebiete, dem der Malerei, schenken
können, wenn es ihm möglich gewesen wäre, mit
einem Werkzeug über die Sehgrenze des mensch-
lichen Auges hinweg in das Reich der mikro-
kosmischen Natur einzudringen; möglicherweise
wäre dann sein Buch über die Malerei nicht unter
dem Vorwand eines Papiermangels, den es damals
also auch schon gab, zum grössten unwesentlichsten
Teile, soweit es die Farben und Farbstoffe be-
trifft, unvollendet geblieben. Ein brauchbares Mi-
kroskop hat es damals kaum gegeben, denn die ersten
eigentlichen mikroskopischen Beobachtungen sind
erst am Ende des 16. Jahrhunderts gemacht wor-
den und Bonanni, der 1691 davon berichtet, würde
doch jedenfalls, wenn sich unter seinenund Lionardos
Landsleuten solche Mikrologen befunden hätten,
diese nicht verschwiegen haben. Was zu Lionardos
Zeit an Vergrösserungsmitteln bekannt war, sind
höchstens Brenngläser und Schusterkugeln gewesen
und diese reichen nicht hin, um in das Reich der
Körper einzudringen, das der Maler in seinen Farb-
stoffen und in seinen Farbschichten vor sich hat
und bearbeitet, allerdings, wollte man sich in dieses
Reich der Kleinigkeiten versetzen, ganz als deus
ex machina. —
Wie für den menschlichen Geist die Vorstel-
lungsfähigkeit gegenüber den kleinsten denkbaren
oder begriffsmässig fassbaren Massen ebenso ver-
sagt, wie gegen die ganz grosse Masse, so hören
in nichtwissenschaftlichen Denken die Begriffe
schon da auf, wo die Emphndungsfahigkeit des
Auges seine Grenze hat. Das heisst, was man nicht
sieht, das versteht man nicht. Ist es aber nun
eine Notwendigkeit für den Maler, zu verstehen,
wie sich seine Arbeitsmittel verhalten, wie sie auf-
einander wirken und wie sie sich verändern können
 
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