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FESTWESEN: THEATERGESCHICHTE

356 BRINKMANN, ALFONS, Liturgische und
volkstümliche Formen im geistlichen
Spiel des deutschen Mittelalters. Münster:
Aschendorff '32. VII, 92 S. = Forschgg.
z. deutschen Sprache u. Dichtung. 3.
B. sieht in der liturgischen und der
volkstümlichen Sinnrichtung im geist-
lichen Spiel des Mittelalters die beiden
Grundideen künstlerischen Schaffens und
geistigen Lebens. Wenn die liturgischen
Formen den stilisierenden Kunstwillen und
die volkstümlichen den illusionistischen
vertreten, und jene in der romanischen, diese
in der spätgotischen Zeit dominieren, so
wird damit auch die für unser Problem
wichtige Erscheinung betont, daß die
lateinische Sprache als Ausdrucksform der
liturgischen und die deutsche als solche der
volkstümlichen Gesinnung entspricht. Doch
zeigt B. an Beispielen, daß auch die deut-
sche Sprache zu liturgischem Ausdruck
befähigt ist und das Lateinische nicht
immer den liturgischen Gehalt einer
Szene garantiert. R. N.
357 SWAIN, BARBARA, Fools and Folly dur-
ing the Middle Ages and the Renaissance.
New York: Columbia Univ. Pr. '32.
234 S. = Columbia Univ. Studies in
Engi, and comparative literature. [71.]
Der Narr ist ursprünglich der von der
Natur stiefmütterlich behandelte Idiot, der
den Anforderungen des Daseins nicht ge-
wachsen ist und infolge seines mangelhaften
Denkvermögens und seiner verminderten
Urteilsfähigkeit gegen menschliche Satzung
und göttliches Gebot verstößt. Er ist auch
der spaßhafte Einfältige, der behaglich
vegetiert und bisweilen Wahrheiten aus-
spricht, die der Normalmensch zu sagen sich
hütet. Diese Einzelwesen, denen man noch
als Dorftrottel im Leben und als lustigen
Personen auf dem Theater begegnet, be-
zeichnen Ursprung und Ausklang des Nar-
rentums zugleich. Dazwischen liegt die
literarische Gestaltung und Definition von
Narren und Narrheit, welche Barbara Swain

vorwiegend an französischen und englischen
Literaturdenkmalen untersucht, gliedert
und deutet.
Der Narr ist anfangs der Dummkopf,
der sich im Leben nicht zurecht findet und
nicht auf seinen Vorteil bedacht ist. Er
wird dann — im Spiegel Catonischer Spruch-
weisheit — der Sünder schlechthin, der in-
folge seiner Schwächen nicht die Kraft fin-
det, sein Ende vorzubereiten und sich für
die Seligkeit zu rüsten. Damit bekommt
das Narrentum philosophische Bedeutung.
Denn an der Pforte des Todes begegnen sich
der Weise und der Narr, und die Frage, ob
das Bemühen um Erlösung nicht etwa auch
eitel Wahn sei, rückt in den Vordergrund
und findet die Antwort: Alles Streben ist
sinnlos; selig ist nur der Einfältige, der
Narr in Gott. Marcolf triumphiert über
Salomon; der Narr wird Repräsentant und
Symbol des Lebens und der Gegenspieler
des Todes. Er wird zum ironischen Richter
über diesseitigen Ehrgeiz und jenseitige
Spekulation (Lydgate „The Order of fools“).
Mit Bacchus und Juno als Schutzpatronen
und Seneca als Gevatter treten die „Lusti-
gen Gesellschaften“ (The Joyous Societies)
das Regiment an, mit deren ordnungswid-
rigem und lästerlichem Treiben weder
Kirche noch Obrigkeit fertigwerden. Die
szenischen Aufführungen dieser Bacchus-
Diener zielen auf die Lehre, daß jeder, der
sich weise dünkt, erst recht ein Narr ist. Dem
Elend des Alltags (tout le monde) wird die
Lustigkeit (passetemps) gegenübergestellt
und schließlich im Narrentum auch die
Lösung der sozialen Konflikte gesucht.
Wenn man auf diesem Wege zu der iro-
nischen Einsicht gelangt ist, daß Narrheit
die Welt regiert, und mit politischer Kritik
die Maßregelung und Unterdrückung der
Verfechter der närrischen Weisheit heraus-
fordert, so wird die didaktische Absicht der-
artiger Spiele doch ganz deutlich: die Über-
windung des irdischen Wahns.
Demgegenüber steht Sebastian Brant’s
„Narrenschiff“ (1494) mit der These: Ord-
 
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