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MITTELALTER

I. BEGRIFF DES MITTELALTERS

730 FALCO, GIORGIO, La polemica sul medio
evo. Vol. 1. Torino: Fedetto '33. VII,
414
Erster und voraussichtlich einziger Teil
eines großen Werkes, in dem der hervor-
ragende Medievalist die wichtigsten Dar-
stellungen des Mittelalters schildern und
die Polemik der historiographischen Metho-
dologie in Hinsicht auf den Begriff Mittel-
alter, auf seine Periodisierung usw. unter-
suchen will. Beide Fragen sollen, indem
an ihnen die Veränderung des Geschichts-
bildes geschildert wird, der Vertiefung
unseres heutigen historischen Bewußtseins
dienen. Der vorliegende Band erörtert nur
die erste Frage, während für die zweite
sowie für die Schlußfolgerungen auf den
zweiten Band verwiesen wird. Die Unter-
suchung beschränkt sich auf „einige der
wichtigsten Vertreter der allgemeinen Ge-
schichtsschreibung vom Humanismus bis
zur Romantik", um zu zeigen, wie die Vor-
stellung des Mittelalters sich von einem
Zeitalter zum andern, von einem Erlebnis
zum andern gestaltet habe.
An einer großen Fülle von Belegen wird
gezeigt, wie der christliche Glaube der
ersten Jahrhunderte, der in sich die rö-
misch-alexandrinische Kultur mit der he-
bräischen vereint, die Theorien „der vier
Monarchien" und der „sechs Zeitalter der
Welt" hervorgebracht habe; nach und nach
treten in der mittelalterlichen Publizistik
und Historiographie selbst die Motive der
„Schenkung Konstantins“ und der „trans-
latio imperii" Karls d. Gr. besonders her-
vor, die „das Bewußtsein der Perpetuität,
der Einheit des Imperiums“, seiner „Grund-
lage und seiner religiösen Sendung“ zum
Ausdruck bringen: Diesen zwei Schemata
bleibt, nach dem Verf., die katholische
Tradition bis zum hl. Antoninus von
Florenz, bis zu Bossuet und bis ins
18. Jahrh. treu. Humanistische Feindselig-
keit und Polemik haben gewiß dazu bei-

getragen, den Begriff des Mittelalters als
Zeitalter zu schaffen, sind aber nicht das
einzige Element: „Mittelalter, Zwischen-
alter, Erwartung einer heilsamen Krise“ sind
im Bewußtsein der jeweiligen Zeitgenossen
etwas fest Verwurzeltes, von Otto III.
und seinem Glauben an die Renovatio, von
Joachim von Floris bis zu den Spiritualen,
bis zu Nikolaus von Cues. Nach erfolgter
Erneuerung symbolisiert der Begriff „Mit-
telalter" die Kritik der Humanisten, drückt
aber auch wesentlich die politische und
religiöse Krise aus, aus der das moderne
Europa hervorgeht. Die Historiographie
des florentinischen Humanismus erfaßt den
Wert des Mittelalters nicht; tieferblickend
sind Schedel und Nauclerus mit ihrem
katholischen Glauben und ihrem germa-
nisch-kaiserlichen Nationalgefühl. Die erste
organische Vision des Mittelalters haben
die deutschen Reformatoren: sie grenzen
es ab gegen die „inclinatio imperii", das
Wiederaufblühen der Künste und die neu-
gestärkte Religion. Das 17. Jahrh. schema-
tisiert und bereichert diese Periodisierung;
es überliefert dem 18. Jahrh. das Erbe des
Antikatholizismus, für den erst das Zeit-
alter der Vernunft die heilbringende Krise
bringt und schildert das Bild des Mittel-
alters im wesentlichen als das des Kosmo-
politismus. Dieses Bild wird von Condorcet
und von Robertson negativ beurteilt, und
endlich faßt die Gibbon’sche „aequitas“,
die in dem Mißtrauen des großen Eng-
länders gegen den Nationalismus und in
seiner großen Menschlichkeit begründet ist,
in einem einzigen großen Bilde die historio-
graphische Arbeit der Aufklärung zusam-
men: sie verschärf t die Stellungen, indem sie
die Leidenschaften j ener den aufklärerischen
Ideen so fremden Periode wenigstens zum
Teil erneuert. Nach Gibbon ist Schlözer,
obwohl als Protestant und Aufklärer dem
weltlichen Fürstentum der Kirche abge-
neigt, gezwungen, deren Bedeutung für die
 
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